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Studie zu Kindesmissbrauch im englischen Fußball
"Es gibt keine Entschuldigung"

Im Jahr 2016 wurde beim englischen Fußballverband FA das Ausmaß eines Kindesmissbrauch-Skandals publik. Eine vom Verband in Auftrag gegebene Untersuchung kommt jetzt zu dem Schluss: Der Verband selbst hat das Feld für Misshandlungen junger Spieler bereitet und nicht genug für die Sicherheit der Kinder getan.

Von Christine Heuer | 17.03.2021
Alte Bank in einer Umkleidekabine
"Es wäre total naiv zu glauben, dass es nicht wieder passieren kann." (imago/Deutzmann/Eibner-Pressefoto)
Mindestens 240 Verdächtige und 692 Opfer zwischen 1970 und heute: Schon diese Zahlen zeigen das erschreckende Ausmaß sexuellen Missbrauchs von Kindern im englischen Fußball. Bis 1995 wurde das Problem komplett ignoriert. Im Sommer dieses Jahres wurde Barry Bennell, früher Trainer bei Crewe Alexandra und Manchester City, in Florida wegen Kindesmissbrauchs verurteilt. Trotzdem dauerte es nochmal fünf Jahre, bis der englische Fußballverband ein umfassendes Schutzprogramm für Kinder auflegte. Clive Sheldon, der den Skandal im Auftrag der Football Association FA untersucht hat, findet unentschuldbar, wie lange das gedauert hat: eben von 1995 bis 2000.
"In dieser Zeit hat die FA nicht genug getan, damit die Kinder sicher sind. Das sind gravierende Fehler der ganzen Institution, für die es keine Entschuldigung gibt."
Die Reaktionen der Missbrauchsopfer fallen gemischt aus
Was Sheldon nicht feststellen muss: Dass es so etwas wie einen Pädophilen-Ring im englischen Fußball gegeben hat. Fünf Jahre lang hat der Anwalt mit Opfern gesprochen. Ihre Aussagen sind anonym in seinen 710 Seiten starken Untersuchungsbericht eingeflossen. Der Autor glaubt nicht, dass die Täter ihre Opfer gemeinsam missbraucht oder sich über den Missbrauch ausgetauscht haben. Obwohl sie sich kannten. Die Fußball-Welt ist auch in England überschaubar in ihrer Größe. Inzwischen, das legt der Bericht nahe, gibt es in ihr keinen systematischen Kindesmissbrauch mehr. Trotzdem ruft Clive Sheldon zur Wachsamkeit auf und dazu, im Kampf gegen das Problem nicht nachzulassen.
Die Reaktionen der missbrauchten Jungs, von denen viele Profi-Fußballer geworden sind, fallen gemischt aus. Sie finden es wichtig, dass der Skandal aufgerollt wurde. Es sei ein wichtiger Tag für sie alle, sagt auch Gary Cliffe, der als Nachwuchsspieler bei Manchester City jahrelang von Bennell missbraucht wurde. Clive Sheldon sei aber nicht weit genug gegangen.
"Durch den gesamten Bericht zieht sich, dass Leute wussten oder einen Verdacht hegten, aber keiner von ihnen hatte den Mumm, es offen zu sagen: Der Polizei, den Sozialdiensten, irgendwem. Insofern ist es sehr enttäuschend."
"Naiv zu glauben, dass es nicht wieder passieren kann"
Ian Ackley, dem dasselbe passiert ist wie Gary Cliffe, vertritt die Überlebenden des Missbrauchs in der FA. Er sagt, der Missbrauch sei vielleicht weniger geworden, verschwunden sei er nicht.
"Es wäre total naiv zu glauben, dass es nicht wieder passieren kann oder gerade jetzt passiert. Passt auf, dass Eure Kinder in Sicherheit sind!"
Der englische Fußballverband hat zerknirscht auf den Bericht reagiert. FA-Geschäftsführer Mark Bullingham hat sich aus tiefem Herzen bei den Opfern entschuldigt. "Kein Kind", heißt es in seinem schriftlichen Statement weiter, "sollte erleben müssen, was Ihr durch den Missbrauch erlebt habt. Ihr habt Schreckliches durchgemacht, und es ist bestürzend, dass der Fußball Euch nicht so beschützt habt, wie ihr es verdient hättet."