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Stuttgart 21
Etappenziel erreicht, Kontroverse geht weiter

Der Tunneldurchschlag bei der Großbaustelle Stuttgart 21 steht unmittelbar bevor, die Bahn feiert ihn als Etappenziel. Dennoch: Bei dem rund 6,5 Milliarden Euro teuren Projekt gibt es weiterhin Ärger um die Kostenbeteiligungen. Und der Tunnelbau ist aufgrund möglicher aufquellender Schichten womöglich ein Problem - und damit ein neuer politischer Zankapfel.

Von Thomas Wagner | 19.12.2016
    Journalisten stehen in Stuttgart (Baden-Württemberg) während einer Begehung der Baustelle des Bahn-Projekts Stuttgart 21 in einem Nebentunnel des sogenannten Stadtschachts.
    Baustelle Stuttgart 21: Immer neue Debatten um die Kosten. (dpa / picture alliance / Lino Mirgeler)
    "Wir brauchen Stuttgart 21."
    "Das ist doch schon lange genehmigt worden, das 21. Und alles war dafür."- "Wieso jetzt dafür? Das verstehe ich nicht. Das ist klar teurer geworden."
    Es gibt sie durchaus auch noch trotz aller Proteste: Befürworter des Großprojektes Stuttgart 21. Doch die angesprochenen Mehrkosten sorgten gerade in den vergangenen Wochen, so kurz vor dem heutigen Tunnelausstieg, für ziemlich viel Streit unter den Projektpartnern. Dazu gehören neben der Deutschen Bahn AG unter anderem die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg.
    Ganz am Anfang, in den 90er-Jahren, war von Baukosten um die 2,5 Milliarden Euro die Rede. Zwischen den Vertragspartnern war dann später eine Summe von 4,5 Milliarden Euro vereinbart wurden. Seit über drei Jahren steht allerdings fest: Stuttgart 21 ist nicht unter 6,5 Milliarden Euro zu machen.
    Die Frage ist nur: Wer soll die gut zwei Milliarden Mehrkosten bezahlen? Die Bahn findet: alle, die als Projektpartner im Stuttgart-21-Boot sitzen. Das sehen vor allem die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg aber völlig anders. Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg:
    "Ich erinnere daran, dass mein Vorgänger Erwin Teufel lediglich einer Vorfinanzierung zugestimmt hat. Und daraus sind dann mit der Zeit verlorene Zuschüsse geworden. Und wir stehen zu diesen Zusagen."
    Stuttgart und Baden-Württemberg wollen keine Mehrkosten tragen
    Die sich aber auf eine Beteiligung von 930 Millionen Euro beziehen. Und, wie Ministerpräsident Kretschmann nicht müde wird zu betonen, keinen Cent mehr. Erst Ende November hatte die Bahn Klage eingereicht gegen das Land Baden-Württemberg und gegen die Stadt Stuttgart. Sie will ihre Projektpartner gerichtlich zwingen, anteilig die Mehrkosten zu übernehmen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann zeigt sich darüber "not amused":
    "Mehr ist nicht möglich, sind wir nicht willens. Und dafür gibt es einfach keine vertragliche Grundlage. Und deshalb glauben wir, dass wir da sehr gute Karten haben werden vor Gericht. Ich finde es dann auch merkwürdig, dass die Bahn klagen will."
    Doch die Bahn klagt schon alleine deshalb, um möglichen Verjährungsfristen aus dem Weg zu gehen. Und lässt an einem keinen Zweifel:
    "Dieses Projekt ist unumkehrbar. Stuttgart 21 wird kommen, genauso wie die Schnellbahnstrecke nach Ulm. Und darauf bin ich stolz. Und wir werden weiter durchhalten und hier sehr gute Arbeit leisten."
    So Rüdiger Grube, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG, in einem Video der "Interessensgemeinschaft Bürger für Baden-Württemberg". Immerhin stimmten in einer Volksabstimmung in Baden-Württemberg Ende November 2011 knapp 60 Prozent der Abstimmungsteilnehmer gegen einen Ausstieg des Landes aus dem Projekt Stuttgart 21. Und damit für den Großbahnhof in der Tiefe.
    Eine Art Gips könnte zu Problemen führen
    Den nach 33 Monaten Bauzeit anstehenden Tunneldurchschlag zwischen Stuttgart-Hauptbahnhof und Bad Cannstatt heute Nachmittag feiert die Bahn als Erreichen eines weiteren Etappenziels. Dagegen steht beim Tunnelbau neuer Ärger ins Haus: Ein ausgerechnet im Auftrag des Bahn-Aufsichtsrates erarbeitetes Gutachten der Beratungsgesellschaft KPMG spricht von Unwägbarkeiten in Zusammenhang mit Anhydrit-Schichten im Erdreich rings um Stuttgart. Anhydrit ist eine Art Gips und quillt bei Kontakt mit Wasser auf.
    Der Betrieb der Tunnel könnte so zum dauerhaften Sanierungsfall werden, heißt es in dem Papier, das Südwestrundfunk und "Stuttgarter Zeitung" auszugsweise veröffentlichten.
    "Wenn das wahr ist, was da drin steht, dann sind ja die schlimmsten Befürchtungen der Kritiker auch noch von den Bahnexperten bestätigt worden."
    So der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann von den Grünen. Die Bahn selbst dementiert Prognosen, wonach es bei den neuen S21-Tunnels gravierende Anhydrid-Probleme geben könnte. Sämtliche vorliegenden Messwerte lägen unterhalb der Toleranzschwelle. Allerdings zeigt das Beispiel des nahe gelegenen Engelberg-Autotunnels, dass die Gefahr an sich nicht von der Hand zu weisen ist: Dort stehen seit Jahren immer wieder wegen aufquellender Anhydrit-Schichten kostspielige Sanierungen an.