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Suche nach dem Nachwuchs-Allgemeinmediziner

In Greifswald hat die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin in dieser Woche eine Summerschool organisiert, um den potenziellen Nachwuchs ganz direkt anzusprechen. Denn es besteht hier ein echter Arztmangel.

Von Lenore Lötsch | 02.09.2013
    "Also, das kann schon auch mal ganz böse wehtun, so ein operierter Oberarmbruch, dass man auch mal ein Opiat braucht. Also, Schmerzlinderung ist sicher eine wichtige Aufgabe."

    In der Greifswalder Jugendherberge diskutieren Medizinstudenten, was von der langen Medikamentenliste einer Patientin gestrichen werden kann. Mit einem einzigen Medikament gegen Bluthochdruck, von ihrem Hausarzt verschrieben, war sie in die Klinik gekommen, als sie wieder herauskam, sollte sie 20 verschiedene Pillen schlucken.

    "Wir haben ein Zuviel an Medizin. Hier ist die Gefahr also eher, dass ich was zu viel bekomme, als das mir was vorenthalten wird."
    sagt Jean Francois Chenot, der die Abteilung Allgemeinmedizin an der Greifswalder Universität leitet und gleichzeitig eine Hausarztpraxis führt. Und es ist ein erstaunlicher Satz, in einer Gegend, in der 70-jährige Ärzte verzweifelt nach Nachfolgern suchen. Längst gibt es eine gefährliche Schieflage, sagt Chenot.

    "Wir haben noch nie so viele arbeitende Ärzte gehabt. Wir haben einfach eine Fehlverteilung und es finden medizinisch Dinge statt, die nicht notwendig sind: Wir brauchen unbedingt Herzkatheder, aber nicht so viele. Fünfmal mehr als in Holland! Das wird natürlich gesteuert durch die Zahl der Ärzte, weil, wer einen Hammer hat, der sieht einen Nagel und schlägt drauf."

    Die 30 Teilnehmer der Summerschool "Allgemeinmedizin" kommen aus ganz Deutschland und sie sind auf der Suche nach anderem Werkzeug, als die Uni vermitteln kann. Untersuchungstechniken lernen, fern ab von High-Tech-Apparatemedizin, aber auch motivierende Gesprächsführung stehen auf dem Stundenplan. Die Studierenden stehen entweder kurz vor dem Examen oder wollen bald ihr praktisches Jahr beginnen. Doch während sie von Kommunen als potenzielle Hausärzte umworben werden, ist die Wahrnehmung an einigen Universitäten, aber auch im persönlichen Umfeld, mitunter ganz anders, erzählt Miriam Becker von der Universität Freiburg.

    "Ich habe zuletzt auch meiner Schwester erzählt, dass ich mit dem Gedanken spiele, Allgemeinmedizin zu machen. Da kam direkt: warum denn das? Die wissen alles ein bisschen, aber nichts richtig. In der Klinik wird man halt denn im Chirurgieteil blöd angeguckt, wenn man sagt, ich mache Allgemeinmedizin. Dann wird sich nicht richtig gekümmert, also auch in der Klinik. Der Ruf muss verbessert werden."

    Ihr Kommilitone Andreas Keller ist skeptisch, ob die bisherigen Maßnahmen auf der Suche nach Allgemeinmedizinern wirklich etwas bringen.

    "Natürlich fallen einem die ganzen Plakatkampagnen auf, aber ich bezweifele, dass Medizinstudenten sich jetzt dadurch beeinflussen lassen in ihrer Entscheidung. Ich glaube, dass die Allgemeinmedizin an der Uni so ein bisschen stiefmütterlich behandelt wird. Es gibt aus vielen Fachbereichen Koryphäen, die versuchen, ihr Fach möglichst öffentlichkeitswirksam zu platzieren. Und die Allgemeinmedizin steht so ein bisschen zwischen allen Stühlen."

    Die Studierenden der Summerschool haben konkrete Vorstellungen, wie das geändert werden kann: Ambulante Medizin muss schon im Studium eine größere Rolle spielen, in qualifizierte und überprüfbare Weiterbildung sollte investiert werden, Allgemeinärzte und Spezialisten, müssen verpflichtet werden, enger zusammenarbeiten. Vor allem aber: Der Hausarzt entscheidet über spezielle Untersuchungen, das würde den Dünkel manches Kollegen abbauen, sind die Studierenden überzeugt. Ums Geld aber geht es ihnen nicht in erster Linie, hat auch Heinz Hammermayer festgestellt, der in Greifswald eine Hausarztpraxis führt und Studierende ausbildet.

    "Es ist einiges getan worden: Der Beruf ist sicher attraktiv, zumindest was die wirtschaftliche Situation betrifft. Man sollte eben nur darüber nachdenken, dass man in der Politik die Modelle, wo ein, zwei oder drei Kollegen sich die Arbeit teilen, noch attraktiver macht."

    Das würde auch Antje Müller entgegenkommen. Sie kommt aus Hannover und hat sich schon entschieden für die Allgemeinmedizin während einer Famulatur.

    "Ich war beim Hausarzt mal bei einem älteren Herrn und der hatte Diabetes gehabt und da hieß es: Herbert, du kannst das doch nicht essen. Da hat der gesagt: Doktor, Sie können mir doch nicht das Leberwurstbrot nehmen, da können sie mich ja gleich über den Zaun hängen. Irgendwie war das so ein Erlebnis, wo ich dachte: Es sind nicht immer nur die Normwerte, sondern es muss alles noch menschlich bleiben. Und ich mag das, dieses Persönliche. Und deswegen würde ich das gerne machen. "