Dienstag, 14. Mai 2024

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Syrien
"Wir können Frieden und eine Lösung nicht militärisch erringen"

In Syrien ist die vereinbarte Waffenruhe nach dem Angriff auf einen UNO-Hilfskonvoi gescheitert. Die Lage sei hoffnunglos, sagte der frühere Diplomat Jürgen Chrobog im DLF. Trotzdem müssten die Friedensverhandlungen wieder aufgenommen werden.

Jürgen Chrobog im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 21.09.2016
    Der frühere Diplomat Jürgen Chrobog.
    Der frühere Diplomat Jürgen Chrobog. (Imago / Müller-Stauffenberg)
    Jeder, der diplomatische Lösungen einfordere, mache sich schon ein wenig lächerlich in der öffentlichen Meinung, sagte Chrobog. Aber es gibt keine andere Möglichkeit als die diplomatische Lösung. "Ich finde die Aussage von Präsident Obama, es bleibt nur der Weg, der harte Weg der Diplomatie, es kann keinen militärischen Sieg geben, vollkommen richtig. Nur dieser Weg ist möglich. Man muss weiter daran arbeiten und man kann nur die Hoffnung haben, dass irgendwo die Gespräche weitergehen."
    Chrobog stellte außerdem klar: "Es bedarf natürlich einer ganz klaren Übereinstimmung zwischen Russland und den Vereinigten Staaten, nicht nur in der Beurteilung, sondern auch in der Durchsetzung dessen, was getan wird. Man muss sich abstimmen über militärische Aktionen im Lande, in Syrien. Man kann nicht aneinander vorbeiarbeiten und weiter diese Risiken eingehen."

    Das Interview in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Was kann man tun, um Syrien zu retten, um die Menschen in Syrien vor der Vernichtung durch den Krieg zu bewahren? Die Vereinten Nationen versuchen, eine diplomatische Lösung zu finden, doch sie scheint fast unmöglich. Beide Seiten dieses Krieges verüben unsagbare Verbrechen. Doch eine Seite tut das mit internationaler Rückendeckung, nämlich durch Russland. Moskau steht hinter Assad. Das wurde auch in der gestrigen Generaldebatte klar und das wird wohl auch heute in der Sitzung des Weltsicherheitsrates wieder deutlich werden.
    Was kann die Weltgemeinschaft noch ausrichten, um die Menschen in Syrien zu retten? Darüber möchte ich mit Jürgen Chrobog sprechen, ehemaliger Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Kenner des Nahen Ostens und früherer Botschafter. Guten Morgen, Herr Chrobog.
    Jürgen Chrobog: Guten Morgen, Frau Büüsker.
    Büüsker: Herr Chrobog, ist die internationale Diplomatie in Syrien am Ende?
    Chrobog: Es sieht natürlich so aus und jeder, der sich jetzt auf diplomatische Lösungen beruft und diese einfordert, macht sich schon ein wenig lächerlich - in der öffentlichen Meinung jedenfalls. Aber dennoch: Es gibt keine andere Möglichkeit. Und ich finde die Aussage von Präsident Obama, es bleibt nur der Weg, der harte Weg der Diplomatie, es kann keinen militärischen Sieg geben, vollkommen richtig. Nur dieser Weg ist möglich. Man muss weiter daran arbeiten und man kann nur die Hoffnung haben, dass irgendwo die Gespräche weitergehen. Vor allen Dingen bedarf es natürlich einer ganz klaren Übereinstimmung zwischen Russland und den Vereinigten Staaten, nicht nur in der Beurteilung, sondern auch in der Durchsetzung dessen, was getan wird. Man muss sich abstimmen über militärische Aktionen im Lande, in Syrien. Man kann nicht aneinander vorbeiarbeiten und weiter diese Risiken eingehen, wie wir sie jetzt gehabt haben durch den Angriff auf den Konvoi und auch den Angriff auf die syrischen Soldaten.
    Büüsker: Aber wie genau soll das hergestellt werden, weil die USA und Russland liegen so weit auseinander mit ihren Einschätzungen? Wie stellen Sie sich das vor, dass die zusammenkommen?
    Chrobog: Ich glaube, Lawrow und Kerry haben in Sofia einen Versuch gemacht, diese Waffenruhe erst mal zu vereinbaren. Ich glaube, beide Seiten werden auch nicht ganz aufgeben. Aber das Vertrauen bricht natürlich vollkommen weg auf beiden Seiten. Das macht die Sache so schwer.
    Aber die Interessenlage ist auch so hoch kompliziert in Syrien. Assad ist auf einem Wege zum Erfolg inzwischen. Er ist sehr viel stärker geworden. Und er will Aleppo einnehmen um jeden Preis, hat dazu auch natürlich die Unterstützung Russlands. Wer Aleppo beherrscht, der beherrscht auch letzten Endes die Routen und die Sicherheit in Nordsyrien, den ganzen Grenzbereich zwischen der Türkei und Jordanien. Aleppo ist einmal wichtig strategisch, aber wichtig auch politisch, und wer Aleppo am Ende hat, hat auch eine starke Position bei zukünftigen Friedensgesprächen. Deswegen: Bevor Aleppo nicht in irgendeiner Weise übernommen worden ist, entweder durch die syrische Armee, oder weiter so diesen Krieg führt, wird eine Lösung gar nicht möglich sein.
    "Wir können einen Frieden und eine Lösung in Syrien nicht militärisch erringen"
    Büüsker: Herr Chrobog, Sie sagen jetzt, Russland unterstützt Assad. Wie sehr macht Russland sich dann auch mitschuldig an den vielen Toten und an den vielen Flüchtlingen?
    Chrobog: Natürlich macht es sich mitschuldig daran und die Sache, wie Russland diesen Krieg aufseiten von Assad unterstützt hat, übrigens auch Iran, macht die Sache außerordentlich kompliziert. Aber das können wir nur feststellen, wir können es nur beklagen, aber wir können nicht jetzt daraus die Schlussfolgerung ziehen, eine Zusammenarbeit ist nicht mehr möglich, oder auch eine Verhandlungsbemühung kann nicht mehr stattfinden. Das wäre die falsche Aussage. Wir müssen weiter arbeiten. Wir können einen Frieden und eine Lösung in Syrien nicht militärisch erringen. Wir müssen dies auf dem Verhandlungswege tun. Wir waren ja schon einmal etwas daran, als die Friedenskonferenz begann. Selbst die Iraner und die Saudis waren einmal alle an einem Tisch gemeinsam. Dies muss wieder aufgenommen werden, aber es bedarf noch sehr, sehr viel Anstrengungen, um so weit zu kommen.
    Büüsker: Dann gucken wir vielleicht auf einen anderen Akteur, der Anstrengungen unternehmen muss. Das sind die USA. Die stecken gerade mitten drin im Wahlkampf und unser Korrespondent aus Kairo hat gestern gesagt, dass er das Gefühl hat, dass dieser Wahlkampf die USA mit Blick auf Syrien komplett lähmt und die USA da eigentlich zu gar nichts mehr fähig ist. Wie würden Sie das beurteilen?
    Chrobog: Ich glaube, es geht auch das Vertrauen in die USA verloren, weil man weiß, dass jetzt eine Zeit der Wahlen, des Wahlkampfes begonnen hat und deswegen Obama auch nicht mehr handlungsfähig ist im eigentlichen Sinne. Und darauf setzen natürlich wieder die Akteure. Keiner weiß, wie nach den Wahlen dann die amerikanische Position aussehen wird. Die Rolle von Trump ist ja durchaus zwiespältig, was Russland angeht. Frau Clinton ist wahrscheinlich sehr viel härter sogar noch in dem Umgang mit Russland und in der Auseinandersetzung mit Syrien als Obama. Also hier ist die Frage offen und jetzt spekulieren natürlich alle wieder darauf, was wird sich nach den Wahlen entwickeln, und das trägt auch nicht zu einer Friedensbereitschaft und Verhandlungsbereitschaft bei.
    Büüsker: Das macht die Akteure eher schwach. Herr Chrobog, vielleicht können Sie aus Ihrer Erfahrung uns schildern: Wie dürfen wir uns solche diplomatischen Gespräche, wie sie da in New York jetzt stattfinden, eigentlich vorstellen? Wie sehr wird da auch Tacheles geredet?
    Chrobog: Gestern die Erklärung von Ban Ki-Moon fand ich ja sehr bemerkenswert. Er hat ja keinerlei diplomatische Rücksicht mehr genommen. Er hat wirklich jetzt diejenigen auch zur Verantwortung gezogen, verbal, die Verantwortung tragen, und jeder weiß, wer gemeint ist. Aber er kann jetzt nur weiter drängen, auch im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wieder, um die Menschen, um die Partner an den Verhandlungstisch zu bekommen. Aber es ist eine ziemlich schwierige Situation im Augenblick. Ich sehe wenig Hoffnung für die unmittelbare Zukunft.
    "Man muss die Menschen und die Staaten an den Verhandlungstisch wieder bekommen"
    Büüsker: Das klingt nicht allzu gut. Welche Position könnte vielleicht auch Europa in dieser Sache einnehmen? Müssten wir Europäer da uns mehr einbringen, mehr auf Frieden drängen?
    Chrobog: Ich glaube, die Macht liegt im Augenblick in der Tat bei Russland und bei den USA, denn die haben sich ja eingemischt in diesen Krieg jetzt und werden auch die Dinge weiterführen müssen. Ohne beide Staaten geht es nicht, übrigens auch nicht ohne die Anrainerstaaten in der Region. Iran und Saudi-Arabien, die Türkei, alle spielen ja doch irgendwo eine unsägliche Rolle. Hier muss weitergearbeitet werden. Man muss die Menschen und die Staaten an den Verhandlungstisch wieder bekommen. Aber ich finde, dass Europa hier sich auch schon sehr stark eingebracht hat, und wenn man mal daran denkt, wie Herr Steinmeier oder wie die Bundesregierung insgesamt betrieben hat den Friedensprozess, wie man versucht hat, auch bei den Gesprächen in Genf und in Wien sich mit einzubringen, mehr können wir, glaube ich, nicht tun, als Europa auch einen Platz am Tisch zuzuweisen sozusagen und Europa dazu zu bringen, sich einzumischen. Aber die Macht in dieser Frage liegt allein in anderen Händen.
    Büüsker: Das heißt, man kann immer nur wieder bitten und bitten und bitten. Wie hoffnungslos ist die Lage dann?
    Chrobog: Sie ist hoffnungslos im Augenblick. Das muss ich schon ganz ehrlich sagen. Aber dennoch: Am Ende bleibt immer die Notwendigkeit, weitere Versuche zu machen. Vielleicht bei dem Elend, was jetzt ausbricht dort, bei diesen Verbrechen, die begangen worden sind, vielleicht stimmt es ja auch manche der Akteure nachdenklich.
    Büüsker: … sagt Jürgen Chrobog, ehemaliger Botschafter und Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Herr Chrobog, vielen Dank für das Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk.
    Chrobog: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.