Mittwoch, 24. April 2024

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Syrische Flüchtlinge
"Es wird immer schwieriger, Schutz zu finden"

Nach fünf Jahren Krieg werde die Lage für syrische Flüchtlinge immer schwieriger, sagte UNHCR-Sprecherin Melissa Fleming im DLF. Eine halbe Million Menschen müssten dringend umgesiedelt werden, weil sie unter schrecklichen Bedingungen lebten. Die Aufnahmeangebote der Länder seien viel kleiner als das tatsächliche Bedürfnis, sagte sie mit Blick auf die heutige UNO-Konferenz in Genf.

Melissa Fleming im Gespräch mit Thielko Grieß | 30.03.2016
    Die Sprecherin des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Melissa Fleming.
    Die Sprecherin des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Melissa Fleming. (Imago / Xinhua)
    Thielko Grieß: Das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR bittet Mitgliedsstaaten dringend darum, mehr zu tun für Flüchtlinge, die aus Syrien heraus wollen oder schon heraus gekommen sind. Die Last, die dadurch entstehe, sei nicht allein bei den umliegenden Staaten und einigen wenigen europäischen Staaten abzuladen und könne dort nicht bleiben. Die Last zu verteilen, dazu dient eine Konferenz, die heute in Genf begonnen hat.
    Jetzt ist am Telefon Melissa Fleming, Sprecherin des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR. Guten Tag, Frau Fleming!
    Melissa Fleming: Guten Tag!
    Grieß: Um wie viele Menschen, wie viele Flüchtlinge geht es eigentlich aktuell?
    Fleming: Eigentlich geht es um zehn Prozent, das heißt also knapp eine halbe Million Flüchtlinge, die in den Nachbarländern sind, schätzen wir, müssen umgesiedelt werden. Die Bedingungen für sie sind schrecklich. Das sind Leute, die ziemlich … mehr schutzbedürftig sind als die anderen. Ich würde sagen fast alle wohnen in schlimmen Zuständen, aber sie sind die Opfer von Sachen, wo sie nicht gut überleben können dort.
    Grieß: Wir haben fünf Millionen Flüchtlinge insgesamt, lese ich jetzt aus Ihrer Zahl. Zehn Prozent …
    Fleming: Fünf Millionen, ja, zehn Prozent davon.
    Grieß: Genau, zehn Prozent sind 500.000 Menschen, die besonders verletzlich sind, besonders verletzbar. Wie kommen Sie zu dieser Zählung?
    "Ohne Unterstützung werden sie weiter kommen"
    Fleming: Wir kennen die Leute, also wir machen Interviews, wir registrieren die Leute, und wir wissen genau, was ihre Probleme sind. Also zum Beispiel, es gibt Folteropfer, die völlig traumatisiert sind. Es gibt Leute, die Krankheiten haben, die nicht behandelt werden können in Libanon oder in Jordanien. Es gibt Frauen, die ganz alleine sind oder auch Opfer sind von Vergewaltigung zum Beispiel. Also das sind unsere Kategorien. Es gibt noch dazu – und das, was sehr wichtig ist, das sind mindestens zehn Prozent von der Bevölkerung –, darüber hinaus sagen wir, es gibt auch zusätzlich andere Wege, weil Sie haben das gesehen in Deutschland, was das für Leute sind, die gekommen sind auf dem gefährlichen Schiffsweg. Das waren Studenten, das waren Architekten, das waren alles mögliche von Leuten. Wir wollen auch dadurch verhindern durch legale Wege, dass die Bevölkerung solche Reisen machen muss. Wir sagen, zuerst, wenn sie nicht vor Ort unterstützt werden, werden sie weiterhin kommen. Wenn sie vor Ort unterstützt werden und auch mögliche Wege haben für die Bevölkerung, die das brauchen, legal in andere reichere Länder zu kommen, dann nennen wir das nicht mehr große Krise. Das können wir händeln dann.
    Grieß: Aber der Trend spricht nicht für Ihr Anliegen. Der Trend geht eher Richtung Abschottung. Frau Fleming, wenn Sie davon sprechen, dass Sie Hilfe organisieren wollen für besonders zum Beispiel traumatisierte Menschen, die aus Syrien geflohen sind, dann kommt ja nicht jedes Land in Frage, dann ist die Zahl derjenigen Länder, die da helfen können, eher klein. Welche Länder schweben Ihnen vor?
    Fleming: Wir haben ein Programm seit 40 Jahren, und das führen wir ganz erfolgreich, mit sehr vielen Ländern, auch Deutschland. Es ist nur, die Zahlen, die angeboten sind von den Ländern, sind viel zu knapp für das Bedürfnis, das da ist, an Menschen, die so ein Resettlement brauchen. Deswegen fordern wir auch nicht nur, dass die traditionellen, sogenannten Resettlement-Länder ein bisschen mehr tun, sondern auch, dass es andere Länder gibt, die dazukommen können, die vorher wenig getan haben. Also das ist, wir müssen erinnern, dass dieser Konflikt in Syrien ist … oder präsentiert die größte Flüchtlingskrise in einer Generation.
    Grieß: Zu den traditionellen Resettlement-Ländern zählen welche?
    "Ein Stipendium ist ein riesiges Geschenk für die Zukunft"
    Fleming: Das sind zum Beispiel USA, Kanada, Australien, Schweden, Deutschland. Das sind die Topländer. Es gibt andere europäische Länder, die auch Resettlement machen, aber nur ganz wenig. Wir hoffen heute, dass diese Länder nicht nur sagen, wir werden mehr durch diese Kanäle aufnehmen, sondern dass es andere Länder gibt, die bisher nichts gemacht haben. Wir haben auch andere Optionen angeboten, zum Beispiel eine ganz wunderbare Möglichkeit ist für Studenten, dass sie ein Visum, ein Stipendium bekommen können an einer Universität. Das ist ein riesiges Geschenk für die Zukunft, nicht nur für diesen jungen Menschen, sondern auch für die Zukunft von Syrien.
    Grieß: Frau Fleming, es gibt in der arabischen Welt etliche reiche Ölstaaten oder Gasstaaten, die sich bislang weitgehend heraushalten, jedenfalls bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Wie kann es gelingen, diese Staaten, die auch in der Region liegen, auch kulturelle Beziehungen haben zu Syrien, diese Staaten mit ins Boot derjenigen Länder zu holen, die helfen wollen?
    Fleming: Deswegen sagen wir allen Länder, es gibt verschiedene Optionen. Geld alleine geben ist wunderbar, brauchen wir dringend für die Leute, die vor Ort bleiben, aber das wird nicht genug sein. Alle sollen bereit sein, Flüchtlinge aufzunehmen, oder ich muss sagen, bei vielen Ländern in den Arabischen, also den Golf, gibt es sehr viele Syrer, die dort arbeiten traditionell, und sie werden auf jeden Fall nicht zurückgeschoben, also sie dürfen da bleiben, und das ist etwas, was wir begrüßen. Natürlich könnten sie mehr machen.
    Grieß: Aber das sind Arbeitsmigranten … Richtig, das sind Arbeitsmigranten, das sind keine Flüchtlinge.
    "Man muss anerkennen, was in der Region gemacht wurde"
    Fleming: Die sind Flüchtlinge, weil sie nicht mehr … Also sie waren einmal Arbeitsmigranten, aber jetzt sind sie Flüchtlinge. Sie können nicht mehr … Ein Flüchtling ist ein Mensch, der nicht nach Hause gehen kann, weil das zu gefährlich wäre, weil ihr Leben bedroht würde.
    Grieß: Gibt es denn Signale aus den arabischen Staaten, darauf einzugehen?
    Fleming: Wir müssen abwarten, bis die Konferenz heute zu Ende ist, aber eher wenig. Eher wenig, aber wir … Man muss anerkennen, wenn man sagt, was in der Region gemacht worden ist für syrische Flüchtlingen, die unmittelbare Region – Libanon, Jordanien, Irak, Ägypten und die Türkei haben fünf Millionen aufgenommen und haben ihr Bestes getan, ohne die Unterstützung, die wir jedes Jahr, Jahr für Jahr gefordert haben, dass die Menschen in Würde leben können.
    Grieß: Frau Fleming, der Krieg ist im fünften Jahr in Syrien. Fünf Millionen haben Sie gezählt. Wie ändert sich die Zusammensetzung der Flüchtlinge, die jetzt noch aus Syrien kommen? Welche Menschen fliehen jetzt? Während es zu Anfang wahrscheinlich junge Männer vor allem waren, wer kommt jetzt?
    Fleming: Eigentlich stimmt das nicht, das sind die Fernsehbilder in Europa –,
    Grieß: Oh, dann korrigieren Sie uns.
    "Nicht nur die Grenzen von Europa gehen zu"
    Fleming: – aber eigentlich sind die meisten, die gekommen sind und die jetzt bis vor Kurzem, bevor die Grenzen zugemacht worden sind, waren Frauen und Kinder. Es sind natürlich auch zu 50 Prozent … Im Laufe des Herbstes waren Männer entweder mit Familien oder sie haben ihre Familien hinterlassen, weil sie gesagt haben, das ist zu gefährlich, aber die Leute, die jetzt in Syrien sind, was unsere Besorgnis ist, ist, dass es immer schwieriger wird, für syrische Leute, die immer noch in Syrien sind, Schutz zu finden, weil es ist nicht nur die Grenzen von Europa, die zugehen, sondern von den Nachbarländern, die gesagt haben, wir haben zu wenig Unterstützung bekommen, wir können nicht mehr aufnehmen. Also wir sorgen uns auch, und ich muss sagen, die meisten Flüchtlinge, die nach Europa gekommen sind jetzt im Herbst, die sind direkt aus Syrien gekommen. Das ist auch nicht nur so, dass sie aus den Nachbarländern gekommen sind. Also das muss man auch wissen.
    Grieß: Und eben jetzt vor allem Familien, wenn ich Sie richtig verstehe.
    Fleming: Natürlich. Im Moment sind es meistens Frauen und Kinder, die zum Beispiel in Griechenland sind.
    Grieß: Melissa Fleming, Sprecherin des UNO-Flüchtlingshilfswerks, UNHCR, heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk anlässlich einer Konferenz des Flüchtlingshilfswerks in Genf, wo versucht wird, Flüchtlinge über mehr Staaten zu verteilen als bislang. Frau Fleming, Danke für das Gespräch!
    Fleming: Ich danke Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.