Dienstag, 19. März 2024

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Tarifverhandlungen
"Der öffentliche Dienst wurde über Jahre klein gespart"

Vor Beginn der neuen Tarifrunde fordert Ulrich Silberbach vom Deutschen Beamtenbund mehr Investitionen in den öffentlichen Dienst. Wenn man nicht in die Infrastruktur investiere, werde das zu Lasten der nachfolgenden Generationen gehen, sagte er im Dlf. Es könne nicht immer um Schuldenabbau gehen.

Ulrich Silberbach im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 05.01.2019
    09.04.2018, Berlin: Beschäftigte im öffentlichen Dienst demonstrieren mit dem Beamtenbund dbb. Die Gewerkschaften Verdi und dbb hatten vor der Schlussrunde der Tarifverhandlungen für Bund und Kommunen vermehrt Warnstreiks angekündigt. Foto: Arne Bänsch/dpa | Verwendung weltweit
    Der Deutsche Beamtenbund fordert mehr Geld für den öffentlichen Dienst (dpa / Arne Bänsch)
    Noch im Januar beginnt die Tarifrunde für den öffentlichen Dienst. Es geht um 3,3 Millionen Beschäftigte, die sechs Prozent mehr Geld fordern. Die Kollegen und Kolleginnen, insbesondere im Landesdienst, merkten, dass die Steuerkassen voll seien, sie selber aber von der allgemeinen Einkommensentwicklung abgehangen, sagte Ulrich Silberbach, Vorsitzender des deutschen Beamtenbundes im Dlf. "Deswegen wollen sie, wie die Kolleginnen und Kollegen bei Bund und Kommunen, diese Einkommensentwicklung auch für sich feststellen können", sagte er.
    Zulasten der weniger finanzstarken Bundesländer
    Der Deutsche Beamtenbund stehe zwar weiterhin dazu, dass es nicht zu einer Neuverschuldung kommen dürfe, aber beim Thema Schuldenabbau müsse man nachhaltig denken. "Es ist für uns ein falscher Ansatz zu sagen, wenn wir Schulden abbauen, ist das die Nachhaltigkeit alleine. Nein. Die jüngeren Generationen leben davon, dass wir eben auch einen starken, leistungsfähigen öffentlichen Dienst haben", sagte Silberbach. Wenn man nicht in die Infrastruktur investiere, dann werde das zu Lasten der nachfolgenden Generationen gehen. "Das erkennen wir jetzt schon. Über Jahre und Jahrzehnte hinweg haben wir den öffentlichen Dienst klein gespart." Jetzt müsse mehr investiert werden und das koste eben mehr Geld.
    Für die gleiche Leistung werden Beamte und Beamtinnen in unterschiedlichen Bundesländern anders bezahlt. "Das macht keinen Sinn", sagte Silberbach. Der Wettbewerb der hier stattfinde, ginge dann zulasten der Länder, die weniger finanzstark seien.

    Lesen Sie hier das gesamte Interview:
    Jürgen Zurheide: Noch im Januar beginnt die Tarifrunde für den öffentlichen Dienst. Da geht es um viel Geld, es geht um 3,3 Millionen Beschäftigte, sechs Prozent mehr wollen sie haben, das ist zumindest die Forderung. Viele sagen, das ist ein ordentlicher Schluck aus der Pulle, also wird vermutlich hart verhandelt. Und wenn wir als Bürgerinnen und Bürger Pech haben, dann gibt es Streiks, dann werden die Mülltonnen nicht abgeholt und so weiter und so weiter. Und im Übrigen trifft sich am Montag dann der Deutsche Beamtenbund, und das ist ein wichtiger Mitspieler in dieser Tarifrunde. Ich bin froh, dass jetzt Ulrich Silberbach, der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes hier bei uns im Deutschlandfunk ist. Zunächst einmal: Guten Morgen, Herr Silberbach!
    Ulrich Silberbach: Guten Morgen, Herr Zurheide, ich grüße Sie!
    Älterer Mann mit Halbglatze in Anzug, sitzend, im Gespräch
    Ulrich Silberbach, Vorsitzender des Deutschen Beamtenbundes, im Gespräch im Deutschlandfunk (Deutschlandradio/ Bettina Fuerst-Fastre)
    Zurheide: Herr Silberbach, sechs Prozent mehr – die Finanzminister schreien und sagen, das geht doch überhaupt nicht. Sind Sie verrückt geworden?
    Silberbach: Nein, wir sind gar nicht verrückt geworden, sondern wir merken ja, dass unsere Kolleginnen und Kollegen hier im Landesdienst insbesondere - denn um die geht die Tarifrunde, deswegen kann ich Sie direkt beruhigen, es gibt keine Streikaktion, wo die Mülltonnen nicht abgeholt werden, sondern auf der Landesebene reden wir über Bildungsbereiche und innere Sicherheit. Die Kolleginnen und Kollegen merken aber, dass die Steuerkassen voll sind ohne Ende und dass sie eben auch abgehangen sind von der allgemeinen Einkommensentwicklung bisher, und deswegen wollen sie hier eben auch genauso wie die Kolleginnen und Kollegen bei Bund und Kommunen auch hier die Teilhabe an der allgemeinen Einkommensentwicklung für sich feststellen können.
    "Jetzt muss mehr investiert werden"
    Zurheide: Sie sagen als Beamtenbund und gemeinschaftlich mit ver.di, dass Ihnen im Moment wichtiger ist, mehr Geld in die Taschen der Menschen zu bekommen, das ist Ihnen wichtiger als der Schuldenabbau. Das sind neue Töne beim Beamtenbund, oder?
    Silberbach: Ja, ein Stück weit neue Töne. Wir stehen weiterhin für die Frage "keine Neuverschuldung", das unterstreichen wir, aber beim Thema Schuldenabbau sagen wir, hier müssen wir ein Stück weit mehr nachhaltig denken. Es ist für uns ein falscher Ansatz zu sagen, wenn wir Schulden abbauen, ist das die Nachhaltigkeit alleine. Nein, die jüngeren Generationen leben davon, dass wir eben auch einen starken, leistungsfähigen öffentlichen Dienst haben, denn wenn wir nicht in die Infrastruktur – ob digitale Infrastruktur, ob Ausstattung des öffentlichen Dienstes mit Personal und Sachmitteln – investieren, dann wird es eben zulasten der nachfolgenden Generationen gehen. Das erkennen wir jetzt schon, über Jahre hinweg, Jahrzehnte hinweg haben wir diesen öffentlichen Dienst kleingespart. Jetzt muss mehr investiert werden, das kostet dann logischerweise auch mehr Geld.
    Zurheide: Jetzt sagen aber viele, mehr Geld alleine reicht nicht, weil die Strukturen oft falsch sind. Und gerade, weil Sie die Länder ansprechen, geht es ja darum, dass oft jedes Land sein eigenes Ding macht. Wie können Sie das denn verhindern?
    Silberbach: Leider können wir es so nicht verhindern, aber wir appellieren natürlich an den Gesetzgeber und sind deswegen auch in der Diskussion. Das wird auch ein Thema der Jahrestagung ab Montag sein, dass wir sagen, der Föderalismuswettbewerb, der sich insbesondere in Fragen der Besoldung und anderer Bereiche hier aufgetan hat, der ist Teufelszeug, der muss wieder ein Stück weit begradigt werden.
    Zurheide: Das heißt, dass in unterschiedlichen Ländern gleiche Dinge unterschiedlich bezahlt werden.
    Silberbach: Genau. Für die gleiche Leistung werden Beamtinnen und Beamte anders bezahlt, sie haben andere Arbeitszeitvorschriften und dergleichen mehr. Das macht keinen Sinn, weil der Wettbewerb, der hier stattfindet, geht zulasten halt der Länder, die nicht so finanzstark sind, und das kann nicht im Sinne des Erfinders sein. Unser Grundgesetz garantiert gleiche Lebensbedingungen, und deswegen müssen wir hier auch ein Stück weit mit dem Wettbewerb enden.
    "Gebt den Bürgerinnen und Bürgern mehr Sicherheit"
    Zurheide: Als Steuerzahler meinte ich jetzt allerdings eher andere Strukturen. Wenn ich zum Beispiel an die innere Sicherheit denke und wenn ich mir dann vorstelle, dass bei manchen Fällen 40 Behörden zum Beispiel beteiligt sind und eben nicht zu den Ergebnissen kommen, die Bürger auch erwarten können, dann glaube ich, können Bürger zu Recht neues Strukturen da anmahnen, gerade wenn denn mehr Geld in so einen Bereich fließen soll. Was antworten Sie denen?
    Silberbach: Dass wir da mit den Bürgerinnen und Bürgern auch an einer Seite sind, denn auch wir sagen, der Zuständigkeitswirrwarr in diesem Land, der muss ein Stück weit behoben werden. Das liegt aber leider nicht in der Zuständigkeit von Beamtenbund und Tarifunion, dann hätten wir es schnell gelöst, sondern es liegt in der Zuständigkeit der Politik, die entscheidet, welche Aufgaben und welche Zuständigkeiten hier zu definieren sind. Deswegen der Appell an die Politik: Schaut auf schlanke Strukturen, gebt dem öffentlichen Dienst wieder einen Wert, gebt den Bürgerinnen und Bürgern mehr Sicherheit und mehr Zukunftsfragen auch in der Beantwortung, dann ist das für dieses Land der richtige Weg.
    Zurheide: Gerade wenn wir auf die Länder schauen, dann ist natürlich die Polizei ein wichtiges Instrument der Länder, wo auch Staat und Staatlichkeit sichtbar werden – da gibt es ein Unsicherheitsgefühl. Jetzt können wir lange darüber streiten, ob das nur gefühlt ist oder ob das ein reales ist, es ist da. Ich vertrete jetzt die These, das ist auch das Ergebnis von 20 Jahren privat vor Staat. Sehen Sie das inzwischen auch so?
    Silberbach: Das sehen wir nicht nur inzwischen so, sondern waren schon sehr früh auf der Seite derer, die gesagt haben, diese These, privat vor Staat, ist überholt. Ich komme selber aus diesem Bundesland Nordrhein-Westfalen, wo eine schwarz-gelbe Landesregierung diese These zur Maxime erhoben hat, und wir leiden heute noch an den Folgen. Wir haben beim öffentlichen Dienst auf Kante gespart, wir haben in die Infrastruktur zu wenig investiert, und das rächt sich heute. All die Fragen, die zu lösen sind, und die Probleme, die zu lösen sind, können wir eben nicht von heute auf morgen lösen, dazu muss jetzt eben auch ausgebildet werden, eingestellt werden et cetera, das geht alles nicht von heute auf morgen, sind aber Fehlentwicklungen genau dieser These "privat vor Staat".
    "Vieles auf Kante genäht"
    Zurheide: Auf der anderen Seite gibt es inzwischen aus unterschiedlichen Ländern immer wieder Meldungen, dass gerade im Sicherheitsbereich auch Polizisten und andere sich rechts äußern. Dass das gar nicht geht, müssen wir nicht diskutieren, ich unterstelle, dass Sie das auch nicht goutieren. Was müsste getan werden, damit diejenigen, die den Staat vertreten und auch für das Grundgesetz eintreten müssen, das Grundgesetz achten?
    Silberbach: Sie sagen zu Recht, dass der DBB, Beamtenbund und Tarifunion, hier eben auch klare Kante gezeigt haben. Wir äußern uns hier sehr deutlich, dass wir sagen, unsere Tätigkeit unserer Kolleginnen und Kollegen müssen immer auf dem Boden des Grundgesetzes agieren, was wir aber erwarten, ist, dass die Politik genauso auch agiert. Und wenn wir erleben eben, dass hier eine Diskussion stattfindet über Verhältnismäßigkeit, die die Kolleginnen und Kollegen dann auch immer wieder in ihrer Arbeitsweise infrage stellt, das ist alles das, was im Moment sehr hinderlich ist.
    Zurheide: Was heißt das konkret, wenn ich dazwischengehen darf?
    Silberbach: Ja, die Verhältnismäßigkeit, die hier infrage gestellt wird: Wir haben zu wenig Personal, deswegen wird auch hier, auch bei Fragen der inneren Sicherheit, vieles auf Kante genäht, es entsteht große Unsicherheit. Wenn Sie in der normalen Besatzung von zwei Menschen im Streifenwagen durch das ein oder andere Stadtviertel fahren, wo Ihnen dann auf einmal 20, 30 Menschen entgegenkommen, dann haben Sie hier auch ein Stück weit Sorge um Ihr eigenes Leben. Dazu sind die Beamtinnen und Beamten auch bereit, sich sogar einzusetzen für den Dienst am Gemeinwesen, aber das kann nicht Sinn der Übung sein. Deswegen muss hier mehr Personal auch vorhanden sein, und die Kolleginnen und Kollegen brauchen aber dazu auch die politische Unterstützung in vielen Fragen.
    Zurheide: Brauchen wir noch – das ist eine Frage, die wahrscheinlich immer wieder gestellt wird –, brauchen wir das Beamtentum in der Form, wie wir es heute haben, oder könnte man das nicht auf einige wenige Sicherheitsbereiche begrenzen. Ich weiß, Sie haben da immer oder Sie müssen wahrscheinlich, dafür werden Sie bezahlt, eine andere Haltung haben. Wie sehen Ihre Argumente da aus?
    "Ich bin sehr zuversichtlich"
    Silberbach: Nein, nicht nur, weil ich dafür bezahlt werde, das wäre der falsche Ansatz, sondern weil ich davon überzeugt bin, dass ich auch heute sage, nie war das Berufsbeamtentum so wertvoll wie heute. Schauen Sie ins europäische Nachbarland, Frankreich, schauen Sie in andere europäische Staaten, Italien et cetera, wie geht es denn da ab ohne einen starken öffentlichen Dienst? Chaos steht auch da immer wieder vor der Tür. Und ich bin froh, dass wir durch all diese Krisen – Migrationsfragen, Wirtschafts- und Finanzkrise et cetera – durch einen starken öffentlichen Dienst so gut durchgekommen sind wie bisher. Deswegen: Berufsbeamtentum, auch in Fragen der Bildung, für uns eben Garanten dafür, dass es diesem Staat so gut geht, wie es ihm derzeit geht.
    Zurheide: Jetzt kommt Bundesinnenminister Seehofer (vielleicht ein letztes Mal) zu Ihrer Tagung am Montag. Was erwarten Sie konkret von ihm, was muss, was soll er mitbringen?
    Silberbach: Na ja, er soll das Fortune, das er in Bayern halt zugrunde gelegt hat, auch mit auf die Bundesebene transferieren. Er soll seinen Länderministern im Innenbereich wie aber auch im Finanzbereich ins Gebetbuch schreiben, für den öffentlichen Dienst analog zu Bayern hervorragende Arbeits- und Einkommensbedingungen auch zu generieren. Das ist das, was die Kolleginnen und Kollegen erwarten von einem guten Bundesinnenminister, und ich bin sehr zuversichtlich, dass Horst Seehofer das uns am Montag auch ins Gebetbuch schreiben wird.
    Zurheide: Und darüber werden wir berichten. Herzlichen Dank für das Gespräch!
    Silberbach: Herzlichen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.