Beatrix Novy: Nachdem der fastenzeitliche Vorstoß von vier Kulturmanagern, die das System der Kulturförderung grundlegend infrage stellen, nachdem also das Buch "Kulturinfarkt" in den letzten Wochen für die angestrebte Aufregung gesorgt hat, stellen wir uns mal auf österlichen Frieden ein. In diesen Tagen sucht "Kultur heute" nach dem Positiven, also nach Antworten auf eine Frage, die ja nicht unanständig ist: Kann unsere Kulturversorgung effizienter, breit gestreuter, gerechter, zukunftstauglicher und vielleicht auch etwas günstiger gestaltet werden? Heute antwortet Jobst Fiedler auf diese Fragen, Jurist, Politik- und Wirtschaftswissenschaftler, in Problemen öffentlicher Verwaltungen versiert, seit 2005 bei der Hertie School of Governance in Berlin. Jobst Fiedler habe ich zunächst nach seiner Meinung zu den geforderten Mittelkürzungen für die Kultur gefragt.
Jobst Fiedler: Also nach meiner Einschätzung: Größere Kürzungsszenarien sind weder vertretbar, noch realisierbar und auch nicht realistisch in Deutschland. Natürlich sind die Kulturausgaben verfünffacht seit 1975 bis 2010. Andererseits ist es so, dass die Schuldenbremse erfordert, bis 2020 aus den öffentlichen Defiziten noch circa 15 Milliarden, die jetzt noch jährlich als Defizit und Neuverschuldung kommen, herausnehmen zu können. Das heißt also, es wird auch nicht möglich sein, umgekehrt, während alle anderen Bereiche irgendwie diese 15 Milliarden erbringen müssen, dass der Kulturbereich gänzlich ungeschoren davonkommt und genau das Niveau halten kann, was wir jetzt erreicht haben.
Novy: Aber, Herr Fiedler, darf ich mal eben unterbrechen. Wir hören in den letzten Jahren immer wieder von Kürzungen. Sie haben zwar gerade gesagt, dass sich in den letzten Jahrzehnten die Ausgaben verfünffacht haben, aber der unmittelbare Eindruck von Theatern besonders in Regionen in Ostdeutschland oder im Ruhrgebiet, Museen, überall eigentlich, ist ja ein anderer. Wie kommt das eigentlich?
Fiedler: Die Zahl der Spielstätten, wenn man jetzt gerade mal die festeren Häuser nimmt, nicht die freien Gruppen und anderes, die ist seit 1991 um fast 80 Prozent gestiegen. Das heißt, mit immer mehr Spielstätten ist das gleiche Geld natürlich pro Institution zum Teil immer knapper geworden in den letzten Jahren. Wir haben auch Hoffnungssignale. Wahrscheinlich wird die Zahl derer, die für Kulturangebote in Bezug auf Interesse und Zeit ansprechbar und auch richtig interessiert sind, in der nächsten Zeit immer noch weiter steigen. Bei den Jüngeren haben wir jetzt deutschlandweit Abiturientenquoten zwischen 30 und 40 Prozent eines Jahrgangs, bei den heute 70-, 80-Jährigen waren das gerade mal acht oder zehn Prozent. Die älteren werden zahlreicher und das sind auch die Zeitreichen. Das heißt, es wird wahrscheinlich eine nach wie vor steigende Nachfrage auch nach dem Teil der Kultur geben, der nicht ganz ohne öffentliche Subventionierung auskommt, unabhängig von Musicals, Kino und Internet und allem anderen.
Novy: Das heißt, die 80 Prozent mehr Spielstätten, von denen Sie sprachen, die entstehen wirklich aus einem echten Bedarf, zumindest zum großen Teil, und nicht nur aus der Lust der Macher, auf die Bühne zu steigen?
Fiedler: Ja. Nicht jede Einzelne, aber jedenfalls diese Gesamtentwicklung beurteile ich als positiv, und deswegen geht es gar nicht um diesen pathetischen Begriff, "Wir dürfen als Kulturnation unsere Identität nicht verlieren". Es ist wahrscheinlich gerade in den nächsten 20 Jahren wahnsinnig wichtig, dass an sich ein breites öffentliches Kulturangebot besteht. Aber das ist in großen Teilen eben öffentlich verfasst. Es muss innerhalb sozusagen des Kuchens, der für Kultur da ist und der auch nicht prinzipiell etwa gefährdet sein darf, anders vorgegangen werden.
Novy: Sie haben ja von Umschichtung gesprochen. Wie soll man sich das nun konkret vorstellen?
Fiedler: Also bei Umschichtung stellt sich die Frage, dürfen wir auch mal reden über Abbau einzelner Institutionen, und da kommen die extremen Schwierigkeiten.
Novy: Das heißt, ein Theater schließen, ein Museum schließen?
Fiedler: Ja. Und das ist im öffentlichen Bereich deshalb so schwer, weil alle öffentlichen Bediensteten nicht kündbar sind, und das heißt, man muss das Ganze rausnehmen aus der kurzatmigen Sparpolitik des nächsten Jahres. Das heißt, man muss sich Gedanken machen, wie kann man durch Fusion von Institutionen es schaffen, dass auch mal Institutionen hinterfragt werden.
Novy: Das passiert ja aber auch schon.
Fiedler: Ja und das wird auch weiter passieren, und das ist die große Herausforderung, dass Bestehendes hinterfragt werden kann.
Novy: Wie würden Sie das dem Publikum und der Bevölkerung vermitteln?
Fiedler: Das eine ist, dass man tatsächlich auch mit den jährlichen Zahlen arbeitet. Man muss auch dann jeweils mitteilen, was ist dann eigentlich geleistet worden, das heißt, wie groß ist der Kuchen auch gewachsen in den letzten Jahren, man muss darauf hinweisen, dass dies mehrjährig, nicht nur kurzatmig aufs nächste Jahr hin eine Grenze hat, dass es sozusagen einen Gesamttopf gibt, und man muss dann die Kulturöffentlichkeit dazu bringen, damit drei Institutionen auskömmlich finanziert werden können, eine Vierte langsam abschmelzt. Man muss also schon 2013 etwas einleiten, was dann erst in seinem finanziellen Effekt sich vielleicht bis 2019/20 erst voll auswirkt.
Nun hat natürlich jede Institution ihren Freundeskreis, ihre Gruppe, die dafür kämpft, und da liegt die Hauptschwierigkeit, weil es ist, natürlich auch ein Versuch der Mittelschicht, einen Teil der Steuern, die sie zahlen - und das sind ja die verlässlichsten Steuerzahler -, über Kultursubventionen wieder zurückzubekommen. Und wir brauchen ein viel größeres Bewusstsein: Es geht um eine Gesamtleistungsfähigkeit dessen, was in Kultur für eine Stadt gemacht werden kann.
Novy: Das heißt, man könnte auch folgendermaßen argumentieren: Ihr verliert jetzt was hier, aber ihr bekommt auch etwas dafür, nämlich zum Beispiel eine andere Institution, die sich jetzt mehr darauf konzentriert, andere Bevölkerungsschichten an klassische Kultur heranzuführen, und das ist für alle was wert?
Fiedler: Ja, es gibt natürlich ohnehin die unterschiedlichsten richtigen Ziele innerhalb jetzt dieses Oberbegriffs "Kulturförderung". Da ist das Heranführen, da sind ganz neue Themen, Migrantenthemen, gesellschaftliche Debatten anzetteln, all das muss dabei sein. Das ist wahrscheinlich sogar die Hauptschwierigkeit, weil jede Teilausprägung von Kultur hat noch mal wieder ihre besonderen Anhänger und die sind nicht ohne Weiteres unter der Klammer "wir müssen die Gesamtheit der Kultur in der Stadt im Auge haben, und was wir B nehmen, das hat A dann oder haben mehrere andere Institutionen mehr". Aber das ist die Aufgabe!
Wenn es dann Institutionen gibt, die auskömmlicher finanziert sind und die nicht langsam sozusagen mit scheibchenweisen Reduzierungen mehr aufzufangen sind durch das, was viele Kulturmanager ja schon machen, sich die richtige Zielgruppenorientierung zu überlegen, ihre internen Kosten zu optimieren, das ist vielfach auch schon geschehen. Dann gibt es natürlich die Möglichkeit, wenn das durch auskömmlichere Finanzierung, die allerdings Aufgabe an anderer Stelle voraussetzt, geschehen ist, dann kann man natürlich auch, damit man immer wieder offenbleibt für Neues, sich vorstellen, dass alle etwas abgeben in einen Fonds und dass - und das setzt gute Jurys voraus, gute Zusammensetzung, auch Rotation in solchen Jurys - dann entschieden wird, was sind sozusagen Schwerpunkte, die wir auf die nächsten zwei Jahre besonders fördern wollen, das heißt, man kann das nur innerhalb der Theater machen, man kann das auch innerhalb der Museen machen. Das heißt, dass nicht einfach festes Haus, feste Finanzierung ist, sondern dass man einen Teil sich durch ein gutes Projekt, eine gute Idee aus diesem Topf sozusagen durch eigene Kraft und durch Ideen erarbeitet. Etwas Wettbewerb muss nämlich sein. Man kann sich nicht nur ausruhen darauf, dass man quasi staatliche Institution ist.
Novy: Das war Jobst Fiedler über intelligentes Sparen im Gegensatz zum dummen Sparen an der Kultur.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Weitere Beiträge de Serie:
Teil 2: Der sächsische "Kulturraum"
Teil 3: Bürgerbeteiligung und kulturelle Bildung in Mannheim
Teil 4: Struktureller Umbau, aber wie? Das Beispiel Metropole Ruhr
Jobst Fiedler: Also nach meiner Einschätzung: Größere Kürzungsszenarien sind weder vertretbar, noch realisierbar und auch nicht realistisch in Deutschland. Natürlich sind die Kulturausgaben verfünffacht seit 1975 bis 2010. Andererseits ist es so, dass die Schuldenbremse erfordert, bis 2020 aus den öffentlichen Defiziten noch circa 15 Milliarden, die jetzt noch jährlich als Defizit und Neuverschuldung kommen, herausnehmen zu können. Das heißt also, es wird auch nicht möglich sein, umgekehrt, während alle anderen Bereiche irgendwie diese 15 Milliarden erbringen müssen, dass der Kulturbereich gänzlich ungeschoren davonkommt und genau das Niveau halten kann, was wir jetzt erreicht haben.
Novy: Aber, Herr Fiedler, darf ich mal eben unterbrechen. Wir hören in den letzten Jahren immer wieder von Kürzungen. Sie haben zwar gerade gesagt, dass sich in den letzten Jahrzehnten die Ausgaben verfünffacht haben, aber der unmittelbare Eindruck von Theatern besonders in Regionen in Ostdeutschland oder im Ruhrgebiet, Museen, überall eigentlich, ist ja ein anderer. Wie kommt das eigentlich?
Fiedler: Die Zahl der Spielstätten, wenn man jetzt gerade mal die festeren Häuser nimmt, nicht die freien Gruppen und anderes, die ist seit 1991 um fast 80 Prozent gestiegen. Das heißt, mit immer mehr Spielstätten ist das gleiche Geld natürlich pro Institution zum Teil immer knapper geworden in den letzten Jahren. Wir haben auch Hoffnungssignale. Wahrscheinlich wird die Zahl derer, die für Kulturangebote in Bezug auf Interesse und Zeit ansprechbar und auch richtig interessiert sind, in der nächsten Zeit immer noch weiter steigen. Bei den Jüngeren haben wir jetzt deutschlandweit Abiturientenquoten zwischen 30 und 40 Prozent eines Jahrgangs, bei den heute 70-, 80-Jährigen waren das gerade mal acht oder zehn Prozent. Die älteren werden zahlreicher und das sind auch die Zeitreichen. Das heißt, es wird wahrscheinlich eine nach wie vor steigende Nachfrage auch nach dem Teil der Kultur geben, der nicht ganz ohne öffentliche Subventionierung auskommt, unabhängig von Musicals, Kino und Internet und allem anderen.
Novy: Das heißt, die 80 Prozent mehr Spielstätten, von denen Sie sprachen, die entstehen wirklich aus einem echten Bedarf, zumindest zum großen Teil, und nicht nur aus der Lust der Macher, auf die Bühne zu steigen?
Fiedler: Ja. Nicht jede Einzelne, aber jedenfalls diese Gesamtentwicklung beurteile ich als positiv, und deswegen geht es gar nicht um diesen pathetischen Begriff, "Wir dürfen als Kulturnation unsere Identität nicht verlieren". Es ist wahrscheinlich gerade in den nächsten 20 Jahren wahnsinnig wichtig, dass an sich ein breites öffentliches Kulturangebot besteht. Aber das ist in großen Teilen eben öffentlich verfasst. Es muss innerhalb sozusagen des Kuchens, der für Kultur da ist und der auch nicht prinzipiell etwa gefährdet sein darf, anders vorgegangen werden.
Novy: Sie haben ja von Umschichtung gesprochen. Wie soll man sich das nun konkret vorstellen?
Fiedler: Also bei Umschichtung stellt sich die Frage, dürfen wir auch mal reden über Abbau einzelner Institutionen, und da kommen die extremen Schwierigkeiten.
Novy: Das heißt, ein Theater schließen, ein Museum schließen?
Fiedler: Ja. Und das ist im öffentlichen Bereich deshalb so schwer, weil alle öffentlichen Bediensteten nicht kündbar sind, und das heißt, man muss das Ganze rausnehmen aus der kurzatmigen Sparpolitik des nächsten Jahres. Das heißt, man muss sich Gedanken machen, wie kann man durch Fusion von Institutionen es schaffen, dass auch mal Institutionen hinterfragt werden.
Novy: Das passiert ja aber auch schon.
Fiedler: Ja und das wird auch weiter passieren, und das ist die große Herausforderung, dass Bestehendes hinterfragt werden kann.
Novy: Wie würden Sie das dem Publikum und der Bevölkerung vermitteln?
Fiedler: Das eine ist, dass man tatsächlich auch mit den jährlichen Zahlen arbeitet. Man muss auch dann jeweils mitteilen, was ist dann eigentlich geleistet worden, das heißt, wie groß ist der Kuchen auch gewachsen in den letzten Jahren, man muss darauf hinweisen, dass dies mehrjährig, nicht nur kurzatmig aufs nächste Jahr hin eine Grenze hat, dass es sozusagen einen Gesamttopf gibt, und man muss dann die Kulturöffentlichkeit dazu bringen, damit drei Institutionen auskömmlich finanziert werden können, eine Vierte langsam abschmelzt. Man muss also schon 2013 etwas einleiten, was dann erst in seinem finanziellen Effekt sich vielleicht bis 2019/20 erst voll auswirkt.
Nun hat natürlich jede Institution ihren Freundeskreis, ihre Gruppe, die dafür kämpft, und da liegt die Hauptschwierigkeit, weil es ist, natürlich auch ein Versuch der Mittelschicht, einen Teil der Steuern, die sie zahlen - und das sind ja die verlässlichsten Steuerzahler -, über Kultursubventionen wieder zurückzubekommen. Und wir brauchen ein viel größeres Bewusstsein: Es geht um eine Gesamtleistungsfähigkeit dessen, was in Kultur für eine Stadt gemacht werden kann.
Novy: Das heißt, man könnte auch folgendermaßen argumentieren: Ihr verliert jetzt was hier, aber ihr bekommt auch etwas dafür, nämlich zum Beispiel eine andere Institution, die sich jetzt mehr darauf konzentriert, andere Bevölkerungsschichten an klassische Kultur heranzuführen, und das ist für alle was wert?
Fiedler: Ja, es gibt natürlich ohnehin die unterschiedlichsten richtigen Ziele innerhalb jetzt dieses Oberbegriffs "Kulturförderung". Da ist das Heranführen, da sind ganz neue Themen, Migrantenthemen, gesellschaftliche Debatten anzetteln, all das muss dabei sein. Das ist wahrscheinlich sogar die Hauptschwierigkeit, weil jede Teilausprägung von Kultur hat noch mal wieder ihre besonderen Anhänger und die sind nicht ohne Weiteres unter der Klammer "wir müssen die Gesamtheit der Kultur in der Stadt im Auge haben, und was wir B nehmen, das hat A dann oder haben mehrere andere Institutionen mehr". Aber das ist die Aufgabe!
Wenn es dann Institutionen gibt, die auskömmlicher finanziert sind und die nicht langsam sozusagen mit scheibchenweisen Reduzierungen mehr aufzufangen sind durch das, was viele Kulturmanager ja schon machen, sich die richtige Zielgruppenorientierung zu überlegen, ihre internen Kosten zu optimieren, das ist vielfach auch schon geschehen. Dann gibt es natürlich die Möglichkeit, wenn das durch auskömmlichere Finanzierung, die allerdings Aufgabe an anderer Stelle voraussetzt, geschehen ist, dann kann man natürlich auch, damit man immer wieder offenbleibt für Neues, sich vorstellen, dass alle etwas abgeben in einen Fonds und dass - und das setzt gute Jurys voraus, gute Zusammensetzung, auch Rotation in solchen Jurys - dann entschieden wird, was sind sozusagen Schwerpunkte, die wir auf die nächsten zwei Jahre besonders fördern wollen, das heißt, man kann das nur innerhalb der Theater machen, man kann das auch innerhalb der Museen machen. Das heißt, dass nicht einfach festes Haus, feste Finanzierung ist, sondern dass man einen Teil sich durch ein gutes Projekt, eine gute Idee aus diesem Topf sozusagen durch eigene Kraft und durch Ideen erarbeitet. Etwas Wettbewerb muss nämlich sein. Man kann sich nicht nur ausruhen darauf, dass man quasi staatliche Institution ist.
Novy: Das war Jobst Fiedler über intelligentes Sparen im Gegensatz zum dummen Sparen an der Kultur.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Teil 4: Struktureller Umbau, aber wie? Das Beispiel Metropole Ruhr