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Teil 3: Bürgerbeteiligung und kulturelle Bildung in Mannheim

In Mannheim leben 173 Nationen. Mit dem Projekt "Wir" wolle die Stadt auch die kulturelle Vielfalt Mannheims abdecken und ein "Cultural Mapping" skizzieren, sagt Peter Kurz, Oberbürgermeister der Stadt. Im Rahmen dieses Projekts solle auch eine Produktion mit unterschiedlichsten Kunstformen zusammengeführt werden.

Peter Kurz im Gespräch mit Beatrix Novy |
    Beatrix Novy: Bevor das noch vergessen wird: vor Günter Grass war der Kulturaufreger der letzten Wochen der Kulturinfarkt, also der Streit um eine Kulturförderung, die viel zu viel Geld ausgebe, so hieß es, für das Falsche. Wir sind in diesen Ostertagen seither auf der Suche nach dem Positiven, unsere Reihe heißt deshalb "Intelligente Konzepte für eine Kulturversorgung der Zukunft". Mannheim, die Stadt des rationalen Entwurfs, ist heute unser Beispiel. Fragt man in Mannheim nach Kulturpolitik, wird man auf besondere Formen des Quartiersmanagements verwiesen, also der auch in anderen Städten gepflogenen gezielten, problembewussten Betreuung von einzelnen Stadtteilen. Da geht es um Integration, um Ausgleich sozialer Schieflagen, Bildung, Teilhabe am Gemeinwesen. Deshalb habe ich Mannheims OB und Kulturbürgermeister Peter Kurz gefragt, welche Rolle die Kultur für kommunale Strategien der Stadtplanung und Stadtentwicklung denn in seiner Stadt spielt.

    Peter Kurz: Ich will das jetzt gar nicht von unserer Seite beurteilen. Ich kann nur für uns sagen, dass sie bei uns eine große Rolle spielt. Die Kultur ist ein wesentlicher Treiber, letztlich Verständigungsprozesse, die in einer Großstadt und gerade in einer multikulturellen Großstadt eine zentrale Bedeutung haben, voranzubringen und zu stabilisieren. Die ganzen Fragen von Identität und Teilhabe sind ja letztlich Fragen einer Kultur des Zusammenlebens und die sind natürlich auch am besten mit kulturellen Mitteln im weitesten Sinne zu bearbeiten, und deswegen spielt die Kulturarbeit vor Ort und die Kultur eine ganz große Rolle bei eben der Gestaltung von dem sozialen Zusammenleben in der Stadt, eben auch in den Quartieren, und damit ist es ein wichtiges Element unseres Quartiersmanagements.

    Novy: Sie bauen natürlich ausdrücklich nicht nur auf die Mitarbeit von den üblichen Akteuren, Wohnungsbaugenossenschaften oder Leuten, die im Sozialen, in der Bildung tätig sind, sondern eben auf die kulturellen Akteure. Aber um mal konkret zu werden: Wer bietet sich da an, wer sind diese Leute?

    Kurz: Wir haben beispielsweise Gemeinschaftszentren, die ein großes Element von Kulturarbeit vor Ort mit einbringen, wir haben in einem Quartier eine jetzt seit Jahren arbeitende, italienischstämmige Theaterpädagogin, die mit vor allen Dingen türkischen, italienischen Jugendlichen regelmäßig Straßentheaterproduktionen, meistens in Mannheim mit Schiller-Bezug, auf die Straße bringt, die damit aber auch das Quartier im wahrsten Sinne des Wortes bewegt, ihm ein verändertes Gesicht vermittelt. Es gibt in einem anderen Stadtteil Mannheims eine Veranstaltung, eine sogenannte Lichtmeile, eine Kulturveranstaltung, in der sich ganz, ganz viele freie Künstler, Künstlergruppen, aber eben auch Einzelhandel und ähnliche, die sich sonst logischerweise jetzt nicht als Kulturträger bezeichnen und verstehen, mit einbringen im Rahmen einer solchen Kulturveranstaltung und selbst zu Orten von Kulturproduktionen werden an so ein, zwei Tagen, die damit aber tatsächlich auch die Kooperationsstrukturen in einem Stadtteil verändern, die verändertes Selbstverständnis eines solchen Stadtquartiers ermöglichen.

    Novy: Das italienische Theater, bleiben wir doch mal bei diesem Beispiel. Ist das mehr oder weniger von italienischen Mitgliedern getragen, oder fügt sich da allerhand zusammen?

    Kurz: Da fügt sich allerhand zusammen und das Interessante ist dann auch noch einmal der Brückenschlag auch hin zur sogenannten Hochkultur. Wir haben ja in Mannheim die Schiller-Tage, zweifellos eine Hochkulturveranstaltung, da ist diese sogenannte "creative factory" mit dabei, mit gesetzt mit ihren Produktionen, nehmen dann auch teil oder wahr, was tatsächlich auch an anderen Veranstaltungen im Rahmen der Schiller-Tage stattfindet, also da gibt es auch den Brückenschlag.

    Novy: Wie muss ich mir diesen Brückenschlag vorstellen? Gehen da auch die Formen von Kultur ineinander? Durchdringt sich da Hochkultur und Basiskultur?

    Kurz: Das würde ich generell auch als Trend nehmen. Das war ja natürlich auch schon immer so, beziehungsweise unser Hochkulturbegriff ist ja historisch ein relativ junger. Insofern hat ja Kultur immer das aufgenommen, was sich gesellschaftlich bewegt, und gerade auch sich immer auf die Suche begeben von Neuem. Und diese Integrationsleistung, die ist jetzt vielleicht etwas signifikanter - einfach deswegen, weil wir erstmals sozusagen Kultur in einem anderen Zusammenhang durch die großen Institutionen auf so ein Podest gestellt haben, und dann ist es sensationell, wenn man sich jetzt auf einmal neuerer Formen - die sind ja jetzt auch schon wieder älter - wie Rappern etc. bedient und sie integriert, oder Street Art und die Sprayer und diese Ausdrucksformen. Das gehört natürlich mittlerweile heute fast dazu. Wenn das nur jetzt nette Garnierung bleibt, glaube ich, ist es nicht sonderlich interessant; wenn es tatsächlich dazu führt, dass es Begegnungen stärkt zwischen unterschiedlichen auch Milieus in einer Stadt, dann ist es wirklich ein echter Beitrag.

    Novy: Da gibt es ja dieses Projekt "Wir", das auch jetzt dieses Jahr zu Ende gehen soll und sich dann präsentieren kann. Können Sie mal beschreiben, was das ist und was bisher daraus geworden ist?

    Kurz: "Wir" ist ein Projekt, das entstanden ist im Rahmen einer Vorbereitung für die Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt, und es geht tatsächlich zunächst darum, die kulturelle Vielfalt Mannheims abzudecken und zum Ausdruck zu bringen und über dieses Projekt zunächst einmal auch so etwas vorzunehmen wie ein "Cultural Mapping", also überhaupt tatsächlich zu registrieren, was gibt es überhaupt alles in der Stadt, und es dann in einer Kooperation zusammenzuführen, von der wir hoffen, dass sie natürlich auch über dieses Projekt weiter hinausträgt. Im Rahmen dieses Projekts soll eine große Produktion entstehen, die unterschiedlichste Kunstformen zusammenführt und die mit professionellen Künstlern und Jugendlichen gemeinsam eben dieses Projekt realisiert. Mir begegnet jetzt gerade in den letzten Wochen immer wieder das Projekt "Wir" in verschiedensten Veranstaltungen, indem tatsächlich Veranstaltungen begleitet werden, kulturell aus diesem Projekt heraus, mit ganz neuen, in Teilen wirklich wilden Kombinationen. Ich erinnere mich gerade an eine Veranstaltung, wo ein Blasorchester gemeinsam mit einer türkischen Tanz-Folklore-Gruppe auftrat, ein wirklich ganz schräger Effekt, aber allein dass sie gemeinsam kooperiert haben und ein gemeinsames Projekt, einen gemeinsamen Auftritt realisiert haben, ist wirklich etwas ganz Neues und aus diesen Bausteinen, die gerade zusammengestellt werden, soll sich dann tatsächlich ein Ganzes entwickeln.

    Novy: 173 Nationen sind in Mannheim vertreten, habe ich dem Papier von "Wir" entnommen. Für eine Stadt wie Mannheim klingt das furchtbar viel, aber wahrscheinlich muss man einfach genau hingucken und erfährt das dann wahrscheinlich überall.

    Kurz: Ja! Das ist durchaus gelebter Alltag. Er wird einfach durchs genauere Hinschauen noch einmal stärker präsent und wir wollen eben genau diese Vielfalt als Stärke verstehen und nutzen. Wir haben ja gerade den Katholikentag in wenigen Wochen zu Gast in unserer Stadt, da wird es eine Reihe von Rahmenveranstaltungen mitgeben und eine der Kulturbühnen lautet "Ghana, Eritrea, Indonesien und die Pfalz zu Gast" - finde ich auch eine schöne Kombination.

    Novy: Das war der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz über Kultur, die für die Stadt was bewirken kann.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


    Weitere Beiträge de Serie:

    Teil 1: Prioritätensetzung in großen Städten
    Teil 2: Der sächsische "Kulturraum"
    Teil 4: Struktureller Umbau, aber wie?