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Teil 2: Der sächsische "Kulturraum"

Solidarität in der Kulturförderung - so lässt sich das sächsische "Kulturraumgesetz" verkürzt beschreiben. Bisher ein bundesweit einzigartiges Konezpt, das aber Vorbildcharakter übernehmen könnte, meint die sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Sabine von Schorlemer.

Sabine von Schorlemer im Gespräch mit Stefan Koldehoff |
    Stefan Koldehoff: Die teilweise doch sehr unfundierten Argumente um den sogenannten "Kulturinfarkt", die Debatte über eine angebliche Überversorgung in Deutschland mit Einrichtungen der Hochkultur, sollte man sicherlich mit Vorsicht genießen. Aber sie hat doch eines deutlich gemacht: Angesichts der leeren öffentlichen Kassen muss die Kulturwelt über intelligente Konzepte für eine Kulturversorgung der Zukunft nachdenken. Das wollen wir in diesen Tagen tun, indem wir mit Menschen über solche Ideen sprechen.

    Heute geht es um das Kulturraumgesetz in Sachsen, das schon wenige Jahre nach der Vereinigung von Deutschland-West und –Ost entwickelt wurde und die Lasten anders verteilt als in anderen Ländern. Ich habe Sabine von Schorlemer, Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, zunächst einmal gefragt, welche Idee damals hinter diesem Gesetz steckte.

    Sabine von Schorlemer: Sachsen ist in der Tat das einzige Bundesland, in dem die Förderung von Kunst und Kultur als Staatsziel in der Verfassung verankert ist. Der Staat fördert das kulturelle Schaffen und als Ausdruck dieses Verfassungsziels gibt es auch einen gesetzlichen Rahmen: das Kulturraumgesetz, welches 1994 angenommen wurde. Es macht Kultur zur Pflichtaufgabe der Kommunen, es gibt den Kommunen jährlich eine Zuweisung des Freistaates in Höhe von 86,7 Millionen Euro, das ist bundesweit einzigartig, und es verpflichtet die Regionen des Landes jetzt zu einer solidarischen Zusammenarbeit, wie gesagt Kulturpflege als kommunale Pflichtaufgabe. Das ist das besondere und das bedeutet nichts anderes, dass hier über die kommunalen Grenzen hinaus zusammengearbeitet wird, eine solidarische Zusammenarbeit der Regionen.

    Koldehoff: Das bedeutet konkret aber auch, man teilt sich Aufgaben und Lasten. Oder, um es ein bisschen platter zu formulieren: nicht mehr in jeder Kleinstadt, in jedem Dorf müssen alle kulturellen Institutionen vorgehalten werden, sondern man verschiebt bestimmte Schwerpunkte. Ist das so richtig?

    von Schorlemer: Nein! Es ist so, dass tatsächlich der Sinn und Zweck ist, in der Fläche auch kulturelle Angebote vorzuhalten. Man arbeitet zusammen. Zum Beispiel gibt es acht Kulturräume und davon fünf ländliche, drei in den kreisfreien Städten, und in einem solchen ländlichen Kulturraum etwa, da arbeiten auch zwei Landkreise in einer Art Zweckgemeinschaft zusammen. Das heißt, sie lassen sich beraten, auch sie nehmen eigene Förderrichtlinien an und auch Bewertungskriterien für die Kulturförderung und entscheiden selbst in kommunaler Selbstverantwortung, welche Kulturförderung sie wollen und welche Kulturangebote sie vorhalten. Und der Freistaat unterstützt dies.

    Es ist also so, dass an die Finanzzuweisung des Freistaates im Verhältnis zwei zu eins dann die Landkreise und die kreisfreien Städte eine selbst festgelegte Kulturanlage erheben. Das heißt, wir haben hier ein System der solidarischen Finanzierung und parallel dazu noch einen sogenannten Sitzgemeindeanteil, also auch die Kommunen beteiligen sich angemessen an dem Kulturangebot, über das wie gesagt die Kulturräume selbst entscheiden.

    Koldehoff: Das bedeutet aber doch zum Beispiel auch, dass im Umkreis der drei großen Städte, die Sie gerade genannt haben, die kleineren Kommunen für deren Institutionen eine Umlage mitentrichten.

    von Schorlemer: Es ist in der Tat so, dass die Kommunen sich über den Sitzgemeindeanteil beteiligen. Aber wie gesagt, das wird gekoppelt an die Finanzzuweisung des Freistaates. Ein gewisser Eigenanteil ist nötig, aber es ist dann eben auch mehr Geld vorhanden aufgrund der Landeszuweisung und das ist in der Tat ein großes Plus für die Kulturförderung in diesem Land.

    Koldehoff: Ist es dadurch zu eklatanten Schließungen gekommen, was Theater, was Konzerthäuser, was möglicherweise auch Stadtbibliotheken, andere kulturelle Einrichtungen angeht?

    von Schorlemer: Die Kulturräume selbst, die müssen Prioritäten setzen. Sie dürfen Prioritäten setzen mit den Geldern, die ihnen ja auch der Freistaat Sachsen gewährt, in der Höhe von 86,7 Millionen Euro pro Jahr. Sie haben dabei auch die notwendigen strukturellen Anpassungen vorzunehmen, das ist eine Verantwortung, sie führt zu einer fortlaufenden Überprüfung der Strukturen, aber genau das ist auch vom Kulturraumgesetz so intendiert.

    Koldehoff: Nun werden Sie als Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst sicherlich sehr aufmerksam die aktuelle "Kulturinfarkt"-Debatte verfolgen. Was bedeutet sie für Ihr Bundesland, für Sachsen? Sehen Sie oder folgen Sie der Analyse dieser vier Autoren, die dieses Buch herausgegeben haben, dass es ein Überangebot an Hochkultur gibt?

    von Schorlemer: Der Freistaat Sachsen verfügt über eine einzigartige, außerordentlich dichte Kulturlandschaft, wir haben eine große Tradition, das ist ein einzigartiges kulturelles Erbe. Darin sehen wir eine Kernkompetenz unseres Landes. Wir wissen, dass wir das auch als kulturellen Schwerpunkt aufrecht erhalten wollen, und sehen uns natürlich auch in der Verantwortung, die Grundsicherung für die kulturelle Infrastruktur zu übernehmen. Insofern ist das Kulturraumgesetz auch das Mittel, um diese einzigartige, außerordentlich dichte Kulturlandschaft abzusichern, in die Zukunft zu führen, in einem solidarischen Beitrag zwischen dem Freistaat Sachsen und den kommunalen Gebietskörperschaften, und ich denke, das ist wirklich ein Instrument, welches dem Lande dient.

    Koldehoff: Jetzt haben Sie zum dritten Mal die Solidarität der Gebietskörperschaften und auch der Einrichtungen betont. Könnte das ein Modell auch für andere Regionen und Bundesländer in Deutschland sein? Sind Sie da mit Kollegen im Gespräch? Erkundigen die sich bei Ihnen, wie es denn so läuft?

    von Schorlemer: In der Tat, wir sind dort im Austausch. Es war auch schon ein Thema im Deutschen Bundestag. Das ist ein Thema, das ist tatsächlich ja das einzige bundesweit gültige Kulturfachgesetz, und insofern interessieren sich auch die Kollegen für dieses Instrumentarium.

    Koldehoff: Die sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Sabine von Schorlemer, über die Auswirkungen und mögliche Vorbildfunktion des sächsischen Kulturraumgesetzes.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Weitere Beiträge de Serie:

    Teil 1: Prioritätensetzung in großen Städten
    Teil 3: Bürgerbeteiligung und kulturelle Bildung in Mannheim
    Teil 4: Struktureller Umbau, aber wie?