Dina Netz: "Intelligente Konzepte für eine Kulturversorgung der Zukunft" wollen wir hier in "Kultur heute" finden, so der Titel unserer Oster-Reihe. Es geht darum, die Zukunft der Kultur angesichts leerer öffentlicher Kassen zu diskutieren. Oliver Scheytt, Geschäftsführer der "Kulturexperten" und Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft, hat sich mit dem Thema in einem Kommentar für die "Kulturpolitischen Mitteilungen" befasst. Darin schreibt er: "Die Kulturpolitik tut sich keinen Gefallen damit, wenn sie sich auf ihre Bunkermentalität besinnt und jene altbekannten Argumente wiederholt, die ihrerseits infarktbedroht sind", und als Beispiele nennt er Sätze wie "Mit dem wenigen Geld, das die Kultur braucht, kann kein Haushalt saniert werden" oder "Eine Einrichtung, die geschlossen wurde, ist ein für alle Mal weg." Ich habe Oliver Scheytt gefragt: Das sind in der Tat die altbekannten Argumente, aber ja auch die zutreffenden - warum sollen die nicht mehr gelten?
Oliver Scheytt: Diese Argumente sind immer wieder zu verwenden, weil es ist schon richtig, wenn eine Einrichtung einmal geschlossen wird, dann ist sie weg. Aber das reicht eben nicht, denn wir müssen bedenken, dass es in Deutschland schon einen Boom von neuen Institutionen gegeben hat und gibt - nehmen wir nur mal die Zahl der Museen, die wirklich exorbitant gestiegen ist in den letzten Jahrzehnten. Und insofern haben die Autoren an einem Punkt recht: Die Grenzen des Wachstums in der kulturellen Infrastruktur scheinen erreicht zu sein und es kann nicht darum gehen, immer nur noch mehr von Bauten zu errichten und wir am Ende dastehen und sagen, Hülle statt Fülle. Wir müssen über die Inhalte nachdenken und anhand der gesellschaftlichen Entwicklungen unsere Infrastruktur auch immer wieder neu justieren.
Netz: Sie schreiben in diesem Kommentar auch, dass es um einen kompetenten Diskurs über eine kluge Revision der kulturellen Infrastruktur geht. Was könnte denn solch eine kluge Revision der kulturellen Infrastruktur sein?
Scheytt: Es gibt viele gute Beispiele von Einrichtungen, die sich auf neue Kulturproduktionsweisen, auf Kulturvermittlung und Ähnliches einstellen. Nehmen wir nur einmal ein Beispiel wie "Pakt Zollverein". Das ist ein choreografisches Zentrum, was aber längst Cross-over, wie man so schön sagt, zwischen den Sparten Kunstproduktion macht, in einem internationalen Netzwerk agiert und gar nicht mehr nur ein Ensemble unterhält, sondern vielen Künstlern Gelegenheit gibt, sich zu entfalten. Solche modernen Einrichtungen sind ein gewisses Gegenbild zum traditionellen Stadttheater mit großem Ensemble, einem eingefahrenen Betrieb, und insofern muss man sich an solchen guten Beispielen auch entlanghangeln und auch fragen, ob nicht hier und da eine Einrichtung einfach umgesteuert wird und in eine neue Produktionsform überführt wird.
Netz: Herr Scheytt, was genau ist für Sie an "Pakt Zollverein", dem Beispiel, was Sie jetzt genannt haben, so modern? Vielleicht können Sie es noch mal allgemeiner formulieren.
Scheytt: Ja! Dort gibt es eine künstlerische Leitung, es gibt eine kleine technische Mannschaft, es gibt eine sehr, sehr gute Vermittlungsarbeit, ein gutes Kulturmarketing und es gibt eine sehr schlanke Struktur, die aber immer dann zum tragen kommt und aufgebaut wird noch mal mit zusätzlichen Kräften, wenn es darum geht, eine große Produktion zu machen. Und gleichzeitig ist diese Einrichtung vernetzt. Sie hat internationale Produktionen, die eingeladen werden, es werden Künstlern über mehrere Monate Residenzen gegeben, und damit wird ein wirklich produktiver Betrieb ans laufen gebracht mit einem viel geringeren Budget, als es traditionell Stadttheater zum Beispiel haben.
Ich will jetzt wie gesagt nicht sagen, man soll Stadttheater schließen, aber man muss dort mal lernen, dort mal in die Schule gehen bei solchen moderneren anderen Betrieben, und dann sieht man, dass man mit demselben Geld auch manchmal etwas Besseres machen kann.
Netz: Ja aber wie geht das denn? Das Problem zum Beispiel bei Museen ist ja oft, dass sie auch ein großes Haus unterhalten müssen. Theater: Da gibt es Tarifverträge genau wie bei Orchestern. Wie kann man denn solche Institutionen, die, wie Sie sagen, relativ groß und relativ starr sind, flexibler bekommen?
Scheytt: Das Hauptthema, um das ich mich jetzt in nächster Zeit auch immer stärker kümmern werde und auch schon in letzter Zeit gekümmert habe, ist, dass wir sehr, sehr gute Führungskräfte in den Einrichtungen brauchen, die bereit sind, sich auf neue Modelle einzulassen, die sich engagieren für Kulturvermittlung, die ein gutes Kulturmarketing machen und die nicht nur aus dem Habitus eines Intendanten, der mit Autorität und Charisma einen Betrieb leitet, sondern aus einem modernen Verständnis von Kulturmanagement einen solchen Betrieb führen, aus dem herausgearbeitet wird. Und ich sehe immer wieder, dass manche noch nach dem Motto handeln, wie es mir mal ein älterer Intendant gesagt hat, die Freiheit des Intendanten besteht darin, das Fenster auszuwählen, zu dem er das Geld hinauswirft, und das hat mir jemand vor einigen Jahren noch gesagt und das als gut empfunden. Das kann nicht akzeptiert werden und da müssen Kulturpolitiker auch gegenhalten und mit neuen und moderneren Überlegungen an die Sache herangehen.
Netz: Das sagen wahrscheinlich heute auch nicht mehr so viele Intendanten. - Herr Scheytt, Sie kennen als lange Jahre Essener Kulturdezernent und dann als Geschäftsführer der Kulturhauptstadt "Ruhr 2010" das Ballungsgebiet Ruhrgebiet ja sehr gut mit vielen hoch verschuldeten Kommunen. Dort wird schon seit vielen Jahren über alles Mögliche diskutiert: Theaterschließungen, Spartenschließungen. Wie könnte denn speziell in einer so gebeutelten Region, die andererseits sehr viele große Institutionen hat, eine kluge Revision der kulturellen Infrastruktur aussehen?
Scheytt: Das ist ja zum Beispiel ein sehr gutes Beispiel, was wir in der Kulturhauptstadt mit den Ruhr-Kunstmuseen angeregt haben und was jetzt auch weitere Früchte trägt. Die 20 Museen haben sich zusammengeschlossen, sie betreiben gemeinsam Marketing, sie haben ihre Vermittlungsarbeit ausgetauscht, es fahren Busse zwischen den Museen hin und her, um die Bevölkerung auch auf die Angebote aufmerksam zu machen, die Arbeit für Kinder wird verstärkt und es wird auch im Kulturtourismus gemeinsam gearbeitet. Also hier sieht man, dass man mit Zusammengehen von Einrichtungen eine Menge erreichen kann. Da geht es nicht um Kooperation um der Kooperation willen, sondern darum, dass man das Geld, was man hat, noch besser einsetzt, und vor allen Dingen auch, dass dem Motto der "Kultur für alle", was ich nach wie vor für ganz entscheidend halte, Rechnung getragen wird, indem mehr Menschen dazu gebracht werden, in die Museen und in die Einrichtungen zu kommen.
Netz: Wir haben jetzt viel darüber gesprochen, wie bestehende Einrichtungen mehr Publikum mit weniger Geld erreichen können. Die Autoren des "Kulturinfarkts" wünschen sich ja auch ganz konkret mehr Geld für bestimmte Bereiche, zum Beispiel für Laienkultur, für Design-Games, Digitalisierung. Gibt es Ihrer Meinung nach auch Bereiche, die stärker als bisher finanziell unterstützt werden müssten?
Scheytt: Natürlich ist es so, dass in Deutschland die Gefahr besteht, dass man das Traditionelle mehr unterstützt und fördert als das Zeitgenössische. Wir brauchen mehr Zeitgenossenschaft, und deshalb ist es richtig, dass man dafür Fonds schafft, dass man dafür Einrichtungen auch speziell schafft, die da Aufmerksamkeit haben. Beispielsweise die Medienkunst oder die Tanzkunst sind zwei Felder, die ich nennen möchte, die Weltmusik, die wir fördern sollten, neue Felder, wo auch Menschen mit Migrationshintergrund stärker angesprochen werden, wo Jugendliche stärker angesprochen werden, und deshalb braucht man auch genügend freie Mittel, um solche Angebote zu machen und dafür auch neue Produktionseinheiten zu schaffen.
Netz: Sie haben jetzt schon zwei wichtige Punkte angesprochen, auf die auch gestern in unserer Sendung der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz kam. Lassen Sie uns darauf noch mal detailliert eingehen. Der hat nämlich plädiert für eine größere Durchlässigkeit zwischen Basis- und Hochkultur und damit auch zwischen sozialen Schichten und Milieus. Ist das also auch für Sie ein Gebot der Stunde?
Scheytt: In der Tat! Die Schichten in unserer Gesellschaft sind ja auch viel komplexer geworden, als es früher der Fall gewesen ist. Ich würde es gar nicht mehr als Schichten bezeichnen, sondern es gibt eine Pluralisierung. Wir haben eine Pluralisierung unserer Gesellschaft und das Kulturangebot muss sich darauf einstellen, dass die Gesellschaft immer komplexer wird und dass viele Dinge heute auch über das Internet ubiquitär sind. Das geht aber nicht mit pauschalen Urteilen, sondern das muss vor Ort in jeder Stadt, in jedem Land, in jeder Region neu entschieden werden und neu darüber nachgedacht werden, wie man am Puls der Zeit bleibt.
Netz: Herr Scheytt, mit Gelegenheit für ein Schluss-Plädoyer: Warum braucht es weiter Kultur und welche Rolle soll sie auch künftig in unserer Gesellschaft spielen?
Scheytt: Ich bin zutiefst der Überzeugung, dass jeder Einzelne, wenn er kompetent ist in kulturellen Dingen, mehr Orientierung für sich schaffen kann. Kunst, Glaube, Wissenschaft sind die großen Orientierungsbereiche und die Künste zeigen uns, wie man mit der Vergangenheit, mit gesellschaftlichen Fragen umgegangen ist, wie wir heute leben, und stellen vor allen Dingen die Frage, wo geht es hin, wo geht die Reise hin. Und wenn Menschen sich mit Kunst auseinandersetzen, dass sie es selber tun oder Rezipienten sind, dann haben sie mehr Orientierungswissen und können sich in der globaler und medialer werdenden Gesellschaft besser zurechtfinden.
Netz: Oliver Scheytt war das in unserer Reihe über Konzepte für eine Kulturversorgung der Zukunft.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Weitere Beiträge de Serie:
Teil 1: Prioritätensetzung in großen Städten
Teil 2: Der sächsische "Kulturraum"
Teil 3: Bürgerbeteiligung und kulturelle Bildung in Mannheim
Oliver Scheytt: Diese Argumente sind immer wieder zu verwenden, weil es ist schon richtig, wenn eine Einrichtung einmal geschlossen wird, dann ist sie weg. Aber das reicht eben nicht, denn wir müssen bedenken, dass es in Deutschland schon einen Boom von neuen Institutionen gegeben hat und gibt - nehmen wir nur mal die Zahl der Museen, die wirklich exorbitant gestiegen ist in den letzten Jahrzehnten. Und insofern haben die Autoren an einem Punkt recht: Die Grenzen des Wachstums in der kulturellen Infrastruktur scheinen erreicht zu sein und es kann nicht darum gehen, immer nur noch mehr von Bauten zu errichten und wir am Ende dastehen und sagen, Hülle statt Fülle. Wir müssen über die Inhalte nachdenken und anhand der gesellschaftlichen Entwicklungen unsere Infrastruktur auch immer wieder neu justieren.
Netz: Sie schreiben in diesem Kommentar auch, dass es um einen kompetenten Diskurs über eine kluge Revision der kulturellen Infrastruktur geht. Was könnte denn solch eine kluge Revision der kulturellen Infrastruktur sein?
Scheytt: Es gibt viele gute Beispiele von Einrichtungen, die sich auf neue Kulturproduktionsweisen, auf Kulturvermittlung und Ähnliches einstellen. Nehmen wir nur einmal ein Beispiel wie "Pakt Zollverein". Das ist ein choreografisches Zentrum, was aber längst Cross-over, wie man so schön sagt, zwischen den Sparten Kunstproduktion macht, in einem internationalen Netzwerk agiert und gar nicht mehr nur ein Ensemble unterhält, sondern vielen Künstlern Gelegenheit gibt, sich zu entfalten. Solche modernen Einrichtungen sind ein gewisses Gegenbild zum traditionellen Stadttheater mit großem Ensemble, einem eingefahrenen Betrieb, und insofern muss man sich an solchen guten Beispielen auch entlanghangeln und auch fragen, ob nicht hier und da eine Einrichtung einfach umgesteuert wird und in eine neue Produktionsform überführt wird.
Netz: Herr Scheytt, was genau ist für Sie an "Pakt Zollverein", dem Beispiel, was Sie jetzt genannt haben, so modern? Vielleicht können Sie es noch mal allgemeiner formulieren.
Scheytt: Ja! Dort gibt es eine künstlerische Leitung, es gibt eine kleine technische Mannschaft, es gibt eine sehr, sehr gute Vermittlungsarbeit, ein gutes Kulturmarketing und es gibt eine sehr schlanke Struktur, die aber immer dann zum tragen kommt und aufgebaut wird noch mal mit zusätzlichen Kräften, wenn es darum geht, eine große Produktion zu machen. Und gleichzeitig ist diese Einrichtung vernetzt. Sie hat internationale Produktionen, die eingeladen werden, es werden Künstlern über mehrere Monate Residenzen gegeben, und damit wird ein wirklich produktiver Betrieb ans laufen gebracht mit einem viel geringeren Budget, als es traditionell Stadttheater zum Beispiel haben.
Ich will jetzt wie gesagt nicht sagen, man soll Stadttheater schließen, aber man muss dort mal lernen, dort mal in die Schule gehen bei solchen moderneren anderen Betrieben, und dann sieht man, dass man mit demselben Geld auch manchmal etwas Besseres machen kann.
Netz: Ja aber wie geht das denn? Das Problem zum Beispiel bei Museen ist ja oft, dass sie auch ein großes Haus unterhalten müssen. Theater: Da gibt es Tarifverträge genau wie bei Orchestern. Wie kann man denn solche Institutionen, die, wie Sie sagen, relativ groß und relativ starr sind, flexibler bekommen?
Scheytt: Das Hauptthema, um das ich mich jetzt in nächster Zeit auch immer stärker kümmern werde und auch schon in letzter Zeit gekümmert habe, ist, dass wir sehr, sehr gute Führungskräfte in den Einrichtungen brauchen, die bereit sind, sich auf neue Modelle einzulassen, die sich engagieren für Kulturvermittlung, die ein gutes Kulturmarketing machen und die nicht nur aus dem Habitus eines Intendanten, der mit Autorität und Charisma einen Betrieb leitet, sondern aus einem modernen Verständnis von Kulturmanagement einen solchen Betrieb führen, aus dem herausgearbeitet wird. Und ich sehe immer wieder, dass manche noch nach dem Motto handeln, wie es mir mal ein älterer Intendant gesagt hat, die Freiheit des Intendanten besteht darin, das Fenster auszuwählen, zu dem er das Geld hinauswirft, und das hat mir jemand vor einigen Jahren noch gesagt und das als gut empfunden. Das kann nicht akzeptiert werden und da müssen Kulturpolitiker auch gegenhalten und mit neuen und moderneren Überlegungen an die Sache herangehen.
Netz: Das sagen wahrscheinlich heute auch nicht mehr so viele Intendanten. - Herr Scheytt, Sie kennen als lange Jahre Essener Kulturdezernent und dann als Geschäftsführer der Kulturhauptstadt "Ruhr 2010" das Ballungsgebiet Ruhrgebiet ja sehr gut mit vielen hoch verschuldeten Kommunen. Dort wird schon seit vielen Jahren über alles Mögliche diskutiert: Theaterschließungen, Spartenschließungen. Wie könnte denn speziell in einer so gebeutelten Region, die andererseits sehr viele große Institutionen hat, eine kluge Revision der kulturellen Infrastruktur aussehen?
Scheytt: Das ist ja zum Beispiel ein sehr gutes Beispiel, was wir in der Kulturhauptstadt mit den Ruhr-Kunstmuseen angeregt haben und was jetzt auch weitere Früchte trägt. Die 20 Museen haben sich zusammengeschlossen, sie betreiben gemeinsam Marketing, sie haben ihre Vermittlungsarbeit ausgetauscht, es fahren Busse zwischen den Museen hin und her, um die Bevölkerung auch auf die Angebote aufmerksam zu machen, die Arbeit für Kinder wird verstärkt und es wird auch im Kulturtourismus gemeinsam gearbeitet. Also hier sieht man, dass man mit Zusammengehen von Einrichtungen eine Menge erreichen kann. Da geht es nicht um Kooperation um der Kooperation willen, sondern darum, dass man das Geld, was man hat, noch besser einsetzt, und vor allen Dingen auch, dass dem Motto der "Kultur für alle", was ich nach wie vor für ganz entscheidend halte, Rechnung getragen wird, indem mehr Menschen dazu gebracht werden, in die Museen und in die Einrichtungen zu kommen.
Netz: Wir haben jetzt viel darüber gesprochen, wie bestehende Einrichtungen mehr Publikum mit weniger Geld erreichen können. Die Autoren des "Kulturinfarkts" wünschen sich ja auch ganz konkret mehr Geld für bestimmte Bereiche, zum Beispiel für Laienkultur, für Design-Games, Digitalisierung. Gibt es Ihrer Meinung nach auch Bereiche, die stärker als bisher finanziell unterstützt werden müssten?
Scheytt: Natürlich ist es so, dass in Deutschland die Gefahr besteht, dass man das Traditionelle mehr unterstützt und fördert als das Zeitgenössische. Wir brauchen mehr Zeitgenossenschaft, und deshalb ist es richtig, dass man dafür Fonds schafft, dass man dafür Einrichtungen auch speziell schafft, die da Aufmerksamkeit haben. Beispielsweise die Medienkunst oder die Tanzkunst sind zwei Felder, die ich nennen möchte, die Weltmusik, die wir fördern sollten, neue Felder, wo auch Menschen mit Migrationshintergrund stärker angesprochen werden, wo Jugendliche stärker angesprochen werden, und deshalb braucht man auch genügend freie Mittel, um solche Angebote zu machen und dafür auch neue Produktionseinheiten zu schaffen.
Netz: Sie haben jetzt schon zwei wichtige Punkte angesprochen, auf die auch gestern in unserer Sendung der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz kam. Lassen Sie uns darauf noch mal detailliert eingehen. Der hat nämlich plädiert für eine größere Durchlässigkeit zwischen Basis- und Hochkultur und damit auch zwischen sozialen Schichten und Milieus. Ist das also auch für Sie ein Gebot der Stunde?
Scheytt: In der Tat! Die Schichten in unserer Gesellschaft sind ja auch viel komplexer geworden, als es früher der Fall gewesen ist. Ich würde es gar nicht mehr als Schichten bezeichnen, sondern es gibt eine Pluralisierung. Wir haben eine Pluralisierung unserer Gesellschaft und das Kulturangebot muss sich darauf einstellen, dass die Gesellschaft immer komplexer wird und dass viele Dinge heute auch über das Internet ubiquitär sind. Das geht aber nicht mit pauschalen Urteilen, sondern das muss vor Ort in jeder Stadt, in jedem Land, in jeder Region neu entschieden werden und neu darüber nachgedacht werden, wie man am Puls der Zeit bleibt.
Netz: Herr Scheytt, mit Gelegenheit für ein Schluss-Plädoyer: Warum braucht es weiter Kultur und welche Rolle soll sie auch künftig in unserer Gesellschaft spielen?
Scheytt: Ich bin zutiefst der Überzeugung, dass jeder Einzelne, wenn er kompetent ist in kulturellen Dingen, mehr Orientierung für sich schaffen kann. Kunst, Glaube, Wissenschaft sind die großen Orientierungsbereiche und die Künste zeigen uns, wie man mit der Vergangenheit, mit gesellschaftlichen Fragen umgegangen ist, wie wir heute leben, und stellen vor allen Dingen die Frage, wo geht es hin, wo geht die Reise hin. Und wenn Menschen sich mit Kunst auseinandersetzen, dass sie es selber tun oder Rezipienten sind, dann haben sie mehr Orientierungswissen und können sich in der globaler und medialer werdenden Gesellschaft besser zurechtfinden.
Netz: Oliver Scheytt war das in unserer Reihe über Konzepte für eine Kulturversorgung der Zukunft.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Weitere Beiträge de Serie:
Teil 1: Prioritätensetzung in großen Städten
Teil 2: Der sächsische "Kulturraum"
Teil 3: Bürgerbeteiligung und kulturelle Bildung in Mannheim