Ann-Kathrin Büüsker: Langzeitarbeitslose wieder ins Arbeitsleben integrieren – das ist das Ziel der Bundesregierung. Sie schafft dafür einen sogenannten sozialen Arbeitsmarkt. Das entsprechende Gesetz wird heute verabschiedet.
In Berlin wird heute das Teilhabe-Chancengesetz verabschiedet, ein sozialer Arbeitsmarkt, um Langzeitarbeitslose wieder ins Arbeitsleben zu integrieren. Ein guter Schritt? Darüber möchte ich jetzt mit Ulrich Schneider sprechen, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. Schönen guten Morgen!
Ulrich Schneider: Einen schönen guten Morgen.
Büüsker: Herr Schneider, die Regierung tut gezielt etwas für Langzeitarbeitslose. Wie groß sind da Ihre Freudensprünge?
Schneider: Na, ich hüpfe schon, aber nicht sonderlich hoch. Auf der einen Seite ist natürlich absolut anzuerkennen, dass endlich, muss man sagen, etwas getan wird für die Langzeitarbeitslosen. Wir haben Hunderttausende von Menschen, von denen wir wissen, sie sind einfach nicht mehr ohne weiteres vermittelbar auf dem ersten Arbeitsmarkt. Auch die haben ein Recht auf Arbeit. Deswegen ist das, was der Arbeitsminister Hubertus Heil hier auf den Weg bringt, absolut richtig.
Nur - und darin besteht das Problem wie so oft in der Großen Koalition -, die Richtung ist richtig. Aber kaum, dass man losgefahren ist, wird schon die Handbremse angezogen, das ganze Gesetz so verregelt, dass man sich schon Sorgen machen muss, ob es überhaupt ein Erfolg werden kann.
"Gebt den Jobcentern vor Ort Spielraum"
Büüsker: Woran stören Sie sich denn da?
Schneider: Das eine ist die Zielgruppe. Um wen geht es da? Nun wird gesagt, jemand, der hier mitmachen darf, der muss innerhalb der letzten sieben Jahre sechs Jahre im Leistungsbezug von Hartz IV gewesen sein, sprich langzeitarbeitslos, und das ist natürlich eine enorm kleine Gruppe. Das heißt, hier passgenau vor Ort jemanden zu finden, auf den das zutrifft, einen Job zu finden, wo der Arbeitgeber auch mitspielt, das wird natürlich dadurch ungeheuer schwierig. Denn wir wissen, Arbeitgeber haben leider Vorbehalte gegen Langzeitarbeitslose. Es wird ganz schwierig, diese Gruppe von Menschen, die so lange aus dem Arbeitsprozess ist, zu vermitteln. Wir hätten uns gewünscht, dass man sagt, jeder, der zwei Jahre und länger arbeitslos ist, hat Anrecht, an diesem Programm mitzuwirken. Dann hätten wir viel bessere Chancen, das Programm auch umzusetzen.
Büüsker: Aber die Sozialpolitiker der Bundesregierung argumentieren ja, dass sie das jetzt erst mal überhaupt testen wollen, ob das funktioniert. Da macht es doch durchaus Sinn, mit einer etwas kleineren Gruppe zu starten.
Schneider: Ich denke, man weiß ja, wo die Schwierigkeiten sind. Wir haben Regionen in Deutschland, da ist die Arbeitslosigkeit glücklicherweise bei einem Prozent, und wir haben Regionen in Deutschland, da haben wir wirklich massenhaft Langzeitarbeitslosigkeit. Wir haben dringend geraten, weil wir die Situation, die Praxisprobleme vor Ort kennen, gebt den Jobcentern vor Ort Spielraum, damit sie es umsetzen können. Das ist leider nicht geschehen.
Ein zweites ist auch etwas, was wir ziemlich schwierig finden. Es wurde gesagt, es soll ein Regelinstrument eingeführt werden, nicht mehr Maßnahmen von Jahr zu Jahr und immer mal wieder durch den Bundestag. Das soll wirklich ins Gesetz rein und ab sofort können die Menschen, die langzeitarbeitslos sind, so was machen. Nun sind die, die es eigentlich gar nicht machen müssen, hingegangen und haben diesem Gesetz ein Verfallsdatum gegeben. 2024 soll Schluss sein. Das heißt, nach einigen Jahren soll es abgeschafft werden. Auch das ist jetzt vereinbart worden, und das ist schon seltsam. Entweder eine Sache ist gut, dann kann man sie auch als Regelinstrument machen. Das heißt nicht, dass man sie unmodifiziert fortführt. Da muss immer was geändert werden. Aber abzuschaffen in 2024, das irritiert und da haben sich wohl die durchgesetzt, die die ganze Richtung stört, denen die ganze Richtung nicht passt.
"Er hat die Probleme erkannt"
Büüsker: Herr Schneider, ich glaube, Sie tun da der Bundesregierung gerade ein bisschen Unrecht, weil ja, es ist erst mal limitiert bis 2024, aber es soll dann überprüft werden, und es sagt ja niemand, dass das Gesetz dann komplett gestrichen wird. Es kann ja auch fortgesetzt werden.
Schneider: Na, es ist schon ein Unterschied. Wenn ich ein Gesetz erst mal habe und überprüfe, dann brauche ich eine Mehrheit, um es abzuschaffen. Wenn ich von vornherein sage, es ist dann abgeschafft, brauche ich eine Mehrheit, um es überhaupt neu aufzusetzen. Jeder der mitbekommen hat, wie schwer man sich auch getan hat jetzt mit diesem sozialen Arbeitsmarkt, weiß, das wird keine Selbstverständlichkeit werden. Deswegen gucken wir schon mit großen Sorgen dahin.
Aber ich will noch mal unterstreichen: Es soll jetzt losgehen. Wir werden als Wohlfahrtsverbände alles tun, um mitzuhelfen, dass dieses ein Erfolg wird, weil das die Menschen verdient haben. Aber nichts desto trotz: Unsere Kritik bleibt natürlich bestehen und wir müssen sehen, wie wir damit umgehen.
Büüsker: Aber grundsätzlich gut finden Sie die Sache schon?
Schneider: Ja, sicher! Es ist absolut notwendig. Und noch mal: Der Arbeitsminister Hubertus Heil ist hier auf den völlig richtigen Weg gegangen. Er hat die Probleme erkannt. Er hat hier was auf den Weg gebracht, was zukunftsweisend sein könnte. Und es ist sicherlich nicht sein Verschulden, dass diese hoch komplizierten Regelungen dort jetzt mit verabschiedet werden.
Büüsker: Katja Kipping von den Linken sieht das Ganze ein bisschen kritischer. Sie sagt, es geht nicht um Chancen, es geht um Erpressung, und dabei geht es dann um die Frage, ob Arbeitslose diese Jobangebote letztlich auch ablehnen dürfen, nicht eingehen. Wie stehen Sie dazu?
Schneider: Da habe ich überhaupt kein Problem mit. Denn es wird vor Ort so sein, dass wir ohnehin froh sein können, wenn wir genügend Menschen finden, die auch die Arbeitgeber dann nehmen, wo auch wirklich Jobs eingerichtet werden. Die Zwangsproblematik, die Frage, was passiert, wenn jemand ablehnt, die muss sich in der Praxis erst mal stellen. Da habe ich im Moment gar keine Befürchtungen.
"Wir als Paritätischer lehnen Sanktionen schlechthin ab"
Büüsker: Aber es gibt ja durchaus auch immer wieder Fälle, wenn wir auf den Hartz-IV-Bezug gucken, wo Leute konkrete Jobangebote ablehnen. Sind Sie der Meinung, dass man dann die Bezüge kürzen muss?
Schneider: Das ist noch mal eine grundsätzliche Frage. Wir als Paritätischer lehnen Sanktionen schlechthin ab. Wir sagen, es kann nicht sein, dass Menschen unters Existenzminimum gekürzt werden. Wir haben da auch verfassungsrechtliche Bedenken. Und es kann vor allen Dingen dann nicht sein, wenn man weiß, dass die tatsächliche Vermittlungsquote der Jobcenter bei Langzeitarbeitslosen bei gerade mal etwa drei bis vier Prozent liegt. Deswegen sagen wir, weg mit den Sanktionen.
Büüsker: Aber es geht ja auch darum, die Menschen zu befähigen, und manchmal muss man da unter Umständen ja auch jemanden ein bisschen anschubsen, damit er in die Fähigkeit reinkommt.
Schneider: Das ist richtig. Aber sehen Sie, ich bin von Hause aus Pädagoge, Erziehungswissenschaftler, und ich sage, Tadel und Zwang und Druck allein bringen gar nichts. Wirkliche Förderung, wirkliche Befähigung, wirkliche Ermunterung ist viel hilfreicher, und das kann ich auch nur den Jobcentern empfehlen. Also: Weg mit den Sanktionen und vielmehr hin zu echter Förderung.
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