Tierhaltungskennzeichnung
Nur ein kleiner Schritt fürs Tierwohl

Immer mehr Verbraucher wünschen sich bessere Haltungsbedingungen für Tiere. Eine Kennzeichnung soll zum 1. März 2026 in Kraft treten und mehr Transparenz bringen. Doch am Tierleid dürfte das Siegel wenig ändern.

Von Tobias Pastoors |
    Mehrere Schweine schauen durch das Absperrgitter eines Schweinestalls
    Eine Frage der Haltung: Bessere Orientierung beim Kauf von Schweinefleisch soll ein staatliches Kennzeichen ab März 2026 bringen. (picture alliance / imageBROKER / Anja Uhlemeyer-Wrona)
    Ab dem März 2026 muss Schweinefleisch aus deutscher Produktion mit Informationen über die Haltungsbedingungen gekennzeichnet sein. In etwa zwei Jahren soll die Kennzeichnung dann auf weitere Tierarten, auf verarbeitete Produkte und auch die Gastronomie ausgeweitet werden.
    Verbraucher werden damit etwas mehr Transparenz haben, doch sie sollten die Aussagekraft der Kennzeichnung nicht überschätzen. Denn sie ist höchstens eine grobe Annäherung an das Wohl oder Leid der Tiere.

    Überblick

    Wie sind Produkte bisher gekennzeichnet?

    Über hundert verschiedene Siegel gibt es in Deutschland. Was sie gewährleisten und was nicht, sei für Verbraucher kaum nachvollziehbar, sagt Jochen Geilenkirchen vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. Zudem seien sie nicht verpflichtend.
    Neben den zahlreichen Siegeln gibt es daher auch Produkte ohne jegliche Zertifizierung. Verbraucher könnten so nicht angemessen vergleichen: „Das führt eher zu Verwirrung als zu mehr Transparenz“, so Geilenkirchen.
    Im Jahr 2019 brachte der Lebensmittelhandel etwas Ordnung in den Siegel-Dschungel. Die verschiedenen Label können sich seitdem Haltungsformen zuordnen. Seit Juli 2024 gibt es darin fünf Formen: „Stall“, „Stall + Platz“, „Frischluftstall“, „Auslauf/Weide“ und „Bio“.  Nach einer repräsentativen Forsa-Umfrage kennen über 80 Prozent der Verbraucher diese Kennzeichnung.
    Die Initiative des Lebensmittelhandels habe etwas mehr Übersicht gebracht, sagt Verbraucherschützer Geilenkirchen. Das zentrale Problem bestehe aber weiter: Die Hersteller können kennzeichnen – müssen aber nicht. Nach Zahlen der Trägergesellschaft der privaten Haltungsform-Kennzeichnung waren im Jahr 2023 etwa 13 Prozent des Rindfleisches im Handel nicht gekennzeichnet, bei Milch waren es fast 45 Prozent. Der Anteil ungekennzeichneter Produkte sei zwar rückläufig. Geilenkirchen fordert dennoch, Handel und Industrie in die Pflicht zu nehmen.

    Was verrät die Kennzeichnung über das Tierwohl?

    Die verpflichtende staatliche Kennzeichnung wird fünf Haltungsformen umfassen. Bisher sind die Kriterien nur für Schweine gesetzlich festgelegt. Die Haltungsformen unterscheiden sich hauptsächlich darin, wieviel Platz ein Tier haben muss. In der Form eins gilt der gesetzliche Mindeststandard: Pro ausgewachsenes Schwein muss der Stall einen Quadratmeter Platz bieten. In der Stufe fünf sind 2,7 Quadratmeter vorgeschrieben, etwas mehr als einer davon muss an der frischen Luft sein.
    Frische Luft haben Schweine ab der dritte Haltungsstufe verpflichtend dauerhaft zur Verfügung, es reicht aber, wenn eine Seite des Stalls offen ist. Zugang zu Außenbereichen ist ab Stufe vier garantiert, außerdem haben die Schweine da auch Stroh, in dem sie weicher liegen können.
    Die Kriterien, die in der Kennzeichnung erfasst werden, haben einen „signifikanten Einfluss auf das Tierwohl“, sagt Helen Louton, Professorin für Tierschutz und Tierhaltung. Dass die Kennzeichnung im öffentlichen Diskurs manchmal als Tierwohl-Siegel bezeichnet werde, sei allerdings „wissenschaftlich nicht haltbar“. Denn um Tierwohl zu bewerten, müsse man wesentlich mehr Faktoren berücksichtigen: „Tierwohl ist mehrdimensional und umfasst nicht nur die körperliche Gesundheit und die Unterbringung, sondern eben auch emotionale Zustände und das normale Verhalten von Tieren.“
    Letzteres sei „einer der sensibelsten Indikatoren für abweichendes Tierwohl“, sagt Louton. Doch das Verhalten der Tiere spielt für die Einstufung keine Rolle. „Es ist keine Tierwohlkennzeichnung, sondern eine Haltungsformkennzeichnung“, betont die Expertin.
    Auch die Kriterien zur Haltung sind sehr schlank gehalten. So haben Landwirte selbst in den oberen Haltungsstufen viel Spielraum bei der Bodengestaltung. Im Regelfall verbringen Schweine den Großteil ihres Lebens auf Betonböden. Erst in Stufe 4 müssen Teile des Stalls mit Stroh eingestreut sein. Weiche Liegemöglichkeiten seien für die Lebensqualität von Schweinen ein sehr relevanter Faktor, sagt Louton.
    Die Qualität des Bodens ist nur ein weiterer von zahlreichen Aspekten, die in der staatlichen Tierhaltungskennzeichnung keine Rolle spielen – für das Tierwohl aber sehr relevant sind. Schweine sind sehr soziale Lebewesen, unter naturnahen Bedingungen leben sie in kleinen Gruppen von bis zu 30 Tieren. In der Landwirtschaft werden sie zu Hunderten in Ställen gehalten und auch manchmal neu sortiert. Das kann zu Stress und Aggressionen führen.
    Auch die Auswahl der Rassen spielt keine Rolle, obwohl bestimmte Rassen zwar wirtschaftlich, aber sehr stressempfindlich sind. In der staatlichen Kennzeichnung wird zudem nur die Phase der Mast erfasst. Davor haben die Schweine aber schon vier bis zwölf Wochen in der Aufzucht gelebt. Nicht berücksichtigt wird außerdem, wie die Tiere transportiert und geschlachtet werden.

    Welche Reformen planen Union und SPD?

    Der frühere Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (B'90/Grüne) hatte die staatliche Kennzeichnung mit der Ampelkoalition auf den Weg gebracht. Eigentlich sollte sie am 1. August 2025 in Kraft treten. Doch die neue schwarz-rote Bundesregierung verschiebt die Einführung auf den 1. März 2026 – und plant Änderungen. Demnach wollen Union und SPD sowohl die Praxistauglichkeit als auch das Tierwohl in den Blick nehmen. Es geht insbesondere um eine Schwachstelle: Die bisherige Kennzeichnung umfasst nur die Mastphase.
    „Aus meiner Sicht ist das ein bisschen ein Betrug am Konsumenten, am Tier, aber auch an den Tierhaltern hier im Land“, sagt Hermann Färber (CDU), Vorsitzender im Agrarausschuss des Bundestages. Nach aktueller Gesetzeslage ist die Herkunft der Ferkel nicht relevant. Selbst Landwirte, die ihre Schweine in der Haltungsform 4 mästen, könnten Ferkel aus dem Ausland kaufen, bei denen nicht einmal der deutsche Mindeststandard garantiert wäre. Färber fordert, dass in den höheren Haltungsformen auch die Aufzucht dem gesetzlichen Standard in Deutschland entsprechen müsse.

    Einige Unionspolitiker wollten das Gesetz abschaffen

    Auch die Ampelregierung wollte das gesamte Tierleben von der Aufzucht bis zur Schlachtung berücksichtigen, fand aber keine mehrheitsfähige Lösung. Wie dieser Punkt in der Reform des Gesetzes aussehen soll, ist noch nicht bekannt. Das CSU-geführte Bundeslandwirtschaftsministerium hat die Fragen des Deutschlandfunks dazu nicht beantwortet. Die Arbeit daran habe begonnen und man könne sich deshalb nicht genauer dazu äußern.
    Teile der Union wollten das Gesetz lieber abschaffen als es zu reformieren. Im Juli 2025 versuchten Landesagrarminister von CDU und CSU, das Gesetz über den Bundesrat zu blockieren, setzten sich aber nicht durch. Manche Kritik sei strategisch und ziele in Wahrheit darauf, die Einführung zum Scheitern zu bringen, sagt Zoe Mayer von den Grünen. Sie hat das Gesetz mit erarbeitet und sieht selbst einige Defizite in der Kennzeichnung, sagt aber auch: „Wenn die staatliche Tierhaltungskennzeichnung, so wie sie jetzt konzeptionell auf dem Tisch liegt, nicht kommt, wird gar keine kommen.“ Auch niemand anderes habe „im Rahmen der Gegebenheiten“ das „perfekte System“.

    Warum kann die Kennzeichnung höchstens ein erster Schritt Richtung Tierwohl sein?

    Für mehr Tierwohl müssen die Haltungsbedingungen nicht nur bekannt sein, sie müssen sich ändern. Die Kennzeichnung könnte allerdings sogar das Gegenteil erreichen, befürchtet der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, Thomas Schröder. Denn die Kriterien der Kennzeichnung sind so aufgebaut, dass sie den Status quo abbilden. Etwa 80 Prozent der aktuellen Schweinefleisch-Produktion werden in Haltungsform eins und zwei fallen.
    Schröder zufolge sind diese zwei unteren Haltungsformen tierschutzwidrig. Die Tiere haben keinen Zugang zu natürlichem Licht oder zur frischen Luft: „Diese Systeme müssen eigentlich vom Markt verschwinden. Dieses Zeichen aber legitimiert diese Systeme und siegelt sie quasi und sagt dem Landwirt, damit bist du gut. Und das ist ein falsches, fatales Signal auch für den Landwirt als Planungssicherheit.“
    Ursprünglich hatte Ex-Landwirtschaftsminister Cem Özdemir mehr Ambitionen. In der zweiten Haltungsform „Stall plus Platz“ hatte er 20 Prozent mehr Fläche vorgesehen als es der gesetzliche Mindeststandard garantiert. Handel und Fleischwirtschaft liefen dagegen Sturm, Özdemir gab nach. Nun sind es nur 12,5 Prozent. Zahlreiche Supermärkte hatten angekündigt, ab 2025 kein Fleisch aus der Haltungsform eins mehr verkaufen zu wollen. Mit einer ambitionierteren Stufe zwei wäre dieses Versprechen nicht mehr einlösbar gewesen.
    Die künftige Ausgestaltung der Kennzeichnung wirft politische Fragen auf: Soll sie vorrangig der Transparenz dienen oder auch Anreize für einen Umbau der Tierhaltung setzen? Weniger Leid im Stall erfordert höhere Standards.