
Am Landgericht Oldenburg hat ein Schlachthof-Betreiber erfolgreich gegen zwei Tierrechtsaktivisten geklagt. Es ging um Videoaufnahmen aus einer Anlage, in der Schweine betäubt werden. Die Aktivisten hatten diese Videos heimlich gemacht.
Der Geschäftsführer des Schlachthofs warf ihnen unter anderem Hausfriedensbruch und Rufschädigung vor. Das Landgericht Oldenburg urteilte, dass die Aktivisten Schadensersatz zahlen müssen und die Bilder nicht länger verbreiten dürfen. Die Aktivisten haben angekündigt, in Berufung zu gehen.
Es ist ein Konflikt, der immer wieder vor Gerichten verhandelt wird. Richter müssen dann entscheiden, was im konkreten Fall juristisch mehr Gewicht hat: die Aufdeckung von Tierleid oder das Hausrecht und die unternehmerische Freiheit von Landwirten.
Wann können Stalleinbrüche straffrei sein?
Wenn Tierschützer ohne Absprache in Ställe gehen, zeigen die betroffenen Landwirte sie danach häufig wegen Hausfriedensbruch an. Hausfriedensbruch ist im Strafgesetzbuch aufgeführt, doch das bedeute nicht automatisch, dass ein Stalleinbruch auch bestraft werde, erklärt Walter Perron, emeritierter Professor für Strafrecht: „Eine Straftat liegt nur dann vor, wenn erstens ein Straftatbestand verwirklicht ist und zweitens keine rechtfertigenden Entschuldigungsgründe oder sonstige Strafausschließungsgründe eingreifen.“
Ob ein Verfahren mit einem Freispruch oder einer Verurteilung endet, hängt von zahlreichen Details ab. Es gibt inzwischen einige Urteile von Gerichten dazu, die teils auch unter Juristen sehr umstritten sind.
Für Aufsehen hat ein Urteil des Oberlandesgerichtes Naumburg 2018 gesorgt. Es bestätigte die Freisprüche für drei Tierschützer, die fünf Jahre zuvor in einer Schweinezuchtanlage gefilmt hatten. Ihre Videoaufnahmen zeigen verdreckte Tränken und apathische Tiere. Viele der überzüchteten Ferkel können nicht stehen, die Beine rutschen immer wieder zur Seite.
Die Gerichte urteilten: Das Tierwohl sei in dem Fall höher zu bewerten als das Hausrecht. Richter Gerd Henss lobte die Tierschützer offen, mahnte aber zugleich, dass der Freispruch kein Freibrief für „selbst ernannte Tierschützer sei, die illegal in Ställe einbrechen“.
Nur wenn Tierschützer vorab exakte Hinweise hätten, dass gegen das Tierwohl verstoßen werde, dürften sie in Stallungen eindringen und die Situation filmisch dokumentieren, stellte das Gericht klar. In dem Fall seien die Filmaufnahmen zudem die einzige Möglichkeit gewesen, gegen die Zustände vorzugehen. Denn die zuständigen Veterinärbehörden hätten davon gewusst, die Missstände aber vertuscht.
„Es darf keine straflose Möglichkeit geben, die Gefahr abzuwenden, also keine Alternative“, betont auch der Strafrechtler Walter Perron. In anderen Fällen haben Gerichte entsprechend auch Strafen gegen Tierschützer verhängt.
Wie relevant sind heimliche Aufnahmen für die Strafverfolgung?
Ohne die Aufnahmen der Tierschützer hätte die Öffentlichkeit nie von den Zuständen in der Schweinezuchtanlage erfahren: Das sagte Richter Gerd Henss am Oberlandesgericht Naumburg, als er die drei Freisprüche von Tierschützern bestätigte. Diese hätten einen Skandal aufgedeckt.
Da Tiere selbst keine Strafanzeige stellen können, sind Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich auf Ergebnisse aus behördlichen Kontrollen oder auf die Initiative von Tierschutzorganisationen und Privatpersonen angewiesen. Nutztierhalter müssen aber nach Zahlen aus dem Jahr 2018 im Durchschnitt nur alle 17 Jahre mit einer Routinekontrolle durch Behörden rechnen, in Bayern sogar nur alle 48 Jahre.
Doch selbst wenn Verstöße gegen den Tierschutz zur Anzeige kommen, hat das oft keine Konsequenzen. Die Strafrechtlerinnen Johanna Hahn und Elisa Hoven haben empirisch untersucht, wie Verstöße gegen das Tierschutzrecht strafrechtlich verfolgt werden. Ihr Ergebnis: Viele Straftaten, die an landwirtschaftlich genutzten Tieren begangen werden, werden nicht abgeurteilt. Ein Kernproblem sei dabei, dass Strafanzeigen als „Gefahr für eine funktionierende Landwirtschaft“ angesehen würden. Es gebe erheblichen Druck auf Amtstierärzte, damit sie keine Strafanzeigen stellen.
Wie argumentieren Tierschützer?
„Diese Bilder müssen gezeigt werden“, sagt Anna Schubert, die am Landgericht Oldenburg vom Schlachthof Brand erfolgreich verklagt wurde. Schubert hatte in dem Schlachthof heimlich Kameras in der Betäubungsanlage angebracht.
Zur Betäubung werden die Schweine in einer Gondel in einen Schacht hinab gefahren, in dem die Umgebung zu über 80 Prozent aus Kohlenstoffdioxid besteht. Das atmen die Schweine ein und verlieren dadurch das Bewusstsein. Doch das kann dauern. Auf den Videos sieht man Schweine, die sich gegen die Gitterstäbe der Gondel werfen, schreien oder nach Luft schnappen. Sie versuchen, auf ihre Artgenossen zu klettern, um weiter nach oben zu kommen.
Die Betäubung mit Kohlenstoffdioxid ist in Europa ein zugelassenes Verfahren. Es ging Schubert also in dem Fall nicht primär darum, Rechtsverstöße zu dokumentieren. Es brauche die Aufnahmen, damit die Gesellschaft überhaupt über das Verfahren diskutieren könne, meint sie. Denn ohne die heimlichen Aufnahmen könnten Verbraucher sich kein Bild von der Praxis machen. Schlachthöfe sind in der Regel nicht bereit, freiwillig Einblicke in die Betäubung mit Kohlenstoffdioxid zu geben.
Dass das Landgericht Oldenburg geurteilt hat, dass sie die Bilder aus der CO2-Betäubung nicht weiter verbreiten darf, sei ein „klarer Angriff auf die Meinungsfreiheit“, sagte Schubert nach dem Urteil. Die Aktivisten haben angekündigt, in Berufung zu gehen.
Schubert engagiert sich bei Animals Rights Watch (ARIWA). Landwirte klagen teilweise darüber, sich von Tierschützern bedroht zu fühlen. Das kann Schubert nicht nachvollziehen. Aktivisten würden nur in Ställe eindringen, niemals in Wohngebäude. Und sie würden dabei auch keine Schäden anrichten. Bei Kontakt mit Menschen würden sie weglaufen. „Vor uns muss keiner Angst haben.“
Wie argumentieren Vertreter der Landwirtschaft?
Landwirte klagen, dass die Aktivisten Angst verbreiten. Stalleinbrüche stellten eine starke Belastung für den persönlichen Lebensbereich der Bauernfamilien dar, schreibt der Bauernverband. Ein Schweinehalter aus Oberbayern schilderte beispielsweise gegenüber der Zeitschrift Agrarheute, dass er sich nach einem Einbruch in seinen Schweinestall auf dem eigenen Hof nicht mehr sicher gefühlt habe.
Er habe dabei auch Angst gehabt, dass aus seinem Stall Videoaufnahmen oder Bilder auftauchen. Er verbringe zwar viel Zeit bei seinen Tieren, aber er gehe um sieben Uhr abends das letzte Mal durch den Stall. Auch danach könne aber noch etwas passieren. Es sei daher nicht möglich, zu verhindern, dass mal ein verletztes oder krankes Tier im Stall liege. Aktivisten suchten gezielt nach diesen Bildern.
Aktivisten versuchten, die Zustände in landwirtschaftlichen Betrieben gezielt schlecht aussehen zu lassen, sagt auch Nikolaus Brand, der als Geschäftsführer des Schlachthofs gegen Schubert und einen weiteren Aktivisten geklagt hat. Die Aktivisten schreckten dabei auch nicht vor Manipulation zurück, um die Landwirtschaft schlecht darzustellen.
Brand hatte im Prozess gesagt, die Tonspur des Videomaterials aus der CO2-Betäubung sei manipuliert. Die Schreie, die man darauf höre, seien nicht authentisch. Indizien oder Belege hatte er dazu im Prozess nicht angeführt. Das Gericht folgte dieser Behauptung nicht. Die Aufnahmen „geben die tatsächlichen Verhältnisse bei der Schlachtung zutreffend wieder“, heißt es im Urteil.
Landwirte kritisieren zudem, dass Videomaterial oft erst viele Monate nach den heimlichen Dreharbeiten veröffentlicht wird. Die zeitliche Verzögerung mache eine Aufarbeitung der Fälle dann unmöglich. Den Aktivisten gehe es nicht darum, Missstände zu beheben, sondern Missstände zu nutzen, um die landwirtschaftliche Tierhaltung zu skandalisieren.
pto