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Todunglücklich trotz Baby
Tabuthema postpartale Depression

Ein Baby ist für Eltern das größte Glück. Doch viele Frauen fallen nach der Geburt ihres Kindes in ein tiefes Loch, die sogenannte postpartale Depression. Darüber sprechen tun jedoch die wenigsten. Doch genau das sei falsch, sagen Experten. Melanie, Mutter eines dreijährigen Sohnes und selbst Betroffene, kann das bestätigen.

Von Astrid Wulf | 12.05.2017
    Ein Baby wird gestillt
    Stress, Schlafmangel und zu hohe Leistungsansprüche, Probleme während der Schwangerschaft oder in der Partnerschaft können dazu führen, dass Frauen nach der Geburt depressiv werden. (picture alliance / dpa / Heiko Wolfraum)
    Melanie Schmitz hockt neben ihrem kleinen Sohn und stapelt mit ihm kleine Holzstäbe aufeinander. Dass die beiden so entspannt und fröhlich im Kinderzimmer miteinander spielen können, ist keine Selbstverständlichkeit. Nach der Geburt vor knapp drei Jahren wurde Melanie Schmitz depressiv, schwankte zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt – bis irgendwann gar nichts mehr ging.
    "Im Grunde genommen war es so, dass ich eigentlich nur noch gelegen habe, und eigentlich nur noch für mein Kind funktioniert habe und für sonst nix. Wie so eine äußere Hülle."
    Ein halbes Jahr nach der Geburt ist sie von 70 auf 45 Kilo abgemagert - dann zieht sie die Notbremse. Melanie Schmitz geht mit dem Kleinen in eine Klinik, die auf Frauen mit postpartalen Depressionen und ihre Kinder spezialisiert ist. Dort soll auch lernen, sich wieder um sich selbst zu kümmern, dazu gehören es auch Therapiestunden ohne ihren kleinen Sohn.
    "Das war sehr hart für mich. Denn ich hatte die Einstellung, nur ich kann mich um mein Kind kümmern, nur ich und kein anderer. Und ich musste mein Kind dann abgeben. Und die Therapeutin sagte so zu mir: So, jetzt mal los."
    Heute weiß sie: Sie hat während der Schwangerschaft zu viel gearbeitet, sich gar nicht richtig auf die Geburt und den neuen Lebensabschnitt vorbereitet. Nach der Geburt schrie der Kleine dann in einer Tour – Melanie Schmitz war völlig übermüdet. Dann waren da noch emotionale Altlasten, die durch die Geburt an die Oberfläche kamen.
    "Ich habe sehr viele Gefühle aus der Kindheit mit ins Erwachsenleben genommen, dadurch ist es alles wieder hochgekommen und wie so eine Bombe ist das dann geplatzt und das musste heilen und das braucht seine Zeit."
    Vielfältige Ursachen für postpartale Depressionen
    Stress, Schlafmangel und zu hohe Leistungsansprüche, Probleme während der Schwangerschaft oder in der Partnerschaft können dazu führen, dass Frauen nach der Geburt depressiv werden, sagt Elsbeth Hoeck vom Kinderschutzzentrum Lübeck. Sie betreut in der Beratungsstelle betroffene Mütter wie Melanie Schmitz. Viele von ihnen fühlen sich traurig und antriebslos, sind überfordert und haben das Gefühl, ihr Baby nicht zu verstehen oder dass das Kind sie ablehnt. Melanie Schmitz wurde von ihren Muttergefühlen und der Verantwortung geradezu überwältigt, andere Frauen empfinden gar nichts für das Kind – und leiden massiv darunter:
    "Ich hab gar keine Gefühle oder ich hab mir das anders vorgestellt, wenn mein Baby auf der Welt ist, was ich mir unter Umständen lang ersehnt habe und mich darauf gefreut habe, dann ist das Baby da und die Freude bleibt aus. Das ist ein Symptom, das ich oft höre in meiner Beratung."
    Viele Frauen haben kurz nach der Geburt den Babyblues, weinen viel und haben Angstgefühle. Das ist ganz normal, sollte aber spätestens nach ein paar Tagen vorbei sein. Bei etwa jeder zehnten Frau hält der Babyblues jedoch an. Sie sollten sich möglichst schnell zum Beispiel bei einer Beratungsstelle oder bei einem Therapeuten Hilfe holen – denn das Baby braucht seine Mutter.
    "Wenn ich schreie als Baby, dann brauche ich eine prompte Antwort. Und wenn ich das nicht kriege, führt das unter Umständen zu Frust, was auch dazu führen kann, dass Babys sich ganz in sich zurückziehen. Wir haben hier schon sechs Wochen alte Babys erlebt, die gar nichts mehr von sich geben, was sehr erschreckend ist, aber auch andere Babys, die ganz vehement schreien, weil sie wissen, sie müssen ganz klare Signale aussenden, damit Mama reagiert."
    Auf die Partner brauchen Unterstützung
    Therapeutische Gespräche, manchmal auch Medikamente können den Frauen helfen, konkrete Hilfe wie eine Familienhebamme zuhause, oft geht es den Frauen auch schon besser, wenn sie mehr Schlaf bekommen. Auch die Partner der erkrankten Frauen brauchen Unterstützung. Melanies Mann Andreas Schmitz hat ebenso unter ihrer Depression gelitten.
    "Das war hart. Weil man das so hautnah erlebt und merkt eben, wie der Partner nicht mehr kann, auch wenn er nicht mehr möchte, dass es funktioniert, man ist selber angespannt, weil man viel entlasten muss und viel gefordert wird."
    Lernen, Verantwortung abzugeben
    Postpartale Depressionen können schnell wieder verschwinden, wenn sie richtig behandelt werden, manche halten sich hartnäckiger. Melanie Schmitz ist noch immer in Therapie. Durch diese Gespräche und viel Yoga kommt sie schon viel besser zurecht. Sie hat zum Beispiel gelernt, Verantwortung auch mal abzugeben. Sie kann sich genau an den Moment erinnern, wo sie wusste: Jetzt geht es aufwärts.
    "Wir waren hier im Kinderzimmer. Mein Mann hat mich dann gekitzelt, und ich habe so richtig laut und herzhaft gelacht. Das war das erste Mal seit der Geburt meines Kindes. Mein Sohn hat so darauf reagiert, dass er angefangen hat zu weinen. Und ich weiß auch warum: Weil er das nie so mitgekriegt hat."
    Lukas wird im Sommer drei Jahre alt – ein charmanter, fröhlicher und sehr aufgeweckter kleiner Junge. Die Zeit, in der es seiner Mutter so schlecht ging, scheint er gut überstanden zu haben. Melanie Schmitz ist heilfroh darüber. Anderen Frauen mit Wochenbettdepressionen rät sie, sich unbedingt helfen zu lassen, so wie sie es getan hat – auch wenn es schwerfällt.
    "Man kann zum Teil nicht mal mehr telefonieren. Man muss für sich selbst und für das Kind sagen: So, ich raff mich jetzt auf, egal was das kostet, auch wenn ich jetzt nur kurz eine Telefonnummer anrufe und im Grunde genommen: Kämpfen."