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Tote in Istanbul
Karl-Georg Wellmann: "Wir sind alle im Fadenkreuz des IS"

Der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann warnt davor, die Schuld am Anschlag in Istanbul vorschnell dem IS zuzuweisen. Es sei noch nicht gesichert, ob der Anschlag nicht von kurdischen Extremisten verübt worden sei, sagte Wellmann im DLF: "Ich denke, wir müssen abwarten, bis wir wirklich wissen, was dahinter steckt."

Karl-Georg Wellmann im Gespräch mit Dirk Müller | 13.01.2016
    Der CDU-Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann
    Der CDU-Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann (Imago)
    Dirk Müller: Der Anschlag in der Türkei, der Kampf gegen den IS, unser Thema jetzt auch mit CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann. Guten Morgen.
    Karl-Georg Wellmann: Guten Morgen aus Berlin.
    Müller: Der Anschlag in der Türkei, ist das die Quittung für das deutsche Engagement?
    Wellmann: Das ist noch zu früh zu sagen. Quittung oder nicht Quittung, es ist völlig klar, dass die internationale Staatengemeinschaft den IS bekämpfen muss, und es spielt keine Rolle, ob es in Paris, in Istanbul oder woanders Anschläge gegeben hat. Es wird Anschläge geben und wenn wir diese Anschläge zukünftig zurückdrängen wollen, uns vor dem IS schützen wollen, dann muss der IS konsequent bekämpft werden, und hoffentlich in Zukunft auch von der Türkei.
    Müller: Wir haben das vor gut einer Stunde auch Cem Özdemir gefragt. Jetzt möchte ich Sie auch noch einmal fragen: Ist die Wahrscheinlichkeit, dass es jetzt IS-Terror gegen Deutsche gibt, gestiegen?
    Wellmann: Die Gefährdung ist da. Das hat der Innenminister schon vor Wochen gesagt. Wir sind alle, wir Europäer und damit auch wir Deutschen, im Fadenkreuz des IS. Ich weise aber auf eines hin: Es ist ja noch nicht gesichert, dass das, dass dieser Anschlag gestern wirklich vom IS ausgeübt wurde und nicht von kurdischen Extremisten. Die Antwort der türkischen Regierung kam sehr schnell und ich denke, wir müssen abwarten, bis die zuständigen Behörden das ausermittelt haben und wir wirklich wissen, was dahinter steckt.
    Müller: Sie sagen, es kam sehr schnell. Das hat Michael Lüders, der Nahost-Experte, vor einer halben Stunde bei uns auch gesagt. Zu schnell?
    Wellmann: Wenn ein Selbstmordattentäter sich mit Dynamit in die Luft sprengt, dann bleibt nicht viel übrig von ihm, und dann bedarf es, wie es auch in Paris war, zum Teil tage-, manchmal wochenlanger Untersuchungen, bis man die Identität des Täters feststellt. Von dem bleibt ja buchstäblich nicht viel übrig. Wenn man eine Stunde nach dem Anschlag schon wissen will, wer es gewesen sei, dann ist das sehr erstaunlich jedenfalls.
    Türkische Politik keine vernünftige Politik
    Müller: Zumal es da ja auch noch keinen Bekennerbrief gegeben hat des IS oder eine Bekennernachricht, bis heute ja nicht oder bis jetzt nicht.
    Wellmann: Eben! Das Problem ist in der türkischen Politik, dass dort keine vernünftige Politik betrieben wird. Sie haben keinen Frieden im Land, sie bekämpfen die Kurden mit militärischen Mitteln sehr, sehr blutig und sie haben mit vielen ihrer Nachbarn Streit und Ärger. Und sie haben in Syrien keine konsequente Politik betrieben. Sie haben ja, wie Sie auch im Vorspann gesagt haben, den IS logistisch unterstützt in verschiedener Hinsicht. Es wird sogar von Waffenlieferungen gesprochen. Und das ist keine vernünftige Politik.
    Wir müssen gemeinsam - diese Koalition, die sich da zusammengetan hat, den IS zu bekämpfen -, gemeinsam das machen. Dazu brauchen wir die Türkei und auch andere Regionalmächte wie den Iran und Saudi-Arabien.
    Müller: Es gibt also keinerlei Grund für Sie, der türkischen Politik, der türkischen Regierung zu vertrauen?
    Wellmann: Wir müssen ihr vertrauen. Die Türkei ist ein zuverlässiger NATO-Partner seit 60 Jahren.
    Müller: Aber Sie sagen doch gerade, es ist unzuverlässig, was die da machen, keine gute Politik.
    Wellmann: Das ist der Staatspräsident Erdogan, der zu einer vernünftigen Politik zurückfinden muss. Wir sind solidarisch mit der Türkei, um das auch zu sagen. Das hat die Bundeskanzlerin gestern gesagt. Wir trauern auch mit unseren türkischen Freunden um das, was da passiert ist, mitten im Herzen von Istanbul. Aber wir können nur die türkische Führung auffordern, gemeinsam mit dem Westen, mit uns, den Europäern, den Amerikanern eine Politik gegen den IS zu machen, sodass wir alle am selben Strick ziehen.
    Rückschritte im Kurdenkonflikt
    Müller: Und Sie haben nach wie vor Bauchschmerzen, wenn wir über das Kurden-Thema reden und die Haltung des Präsidenten?
    Wellmann: Ja. Dieses Problem ist militärisch nicht zu lösen. Dieser Konflikt kocht ja seit Jahrzehnten und die Türkei war auf einem sehr guten Weg der nationalen Versöhnung und der Einbeziehung und die Kurden, die gemäßigten Kurden waren im Parlament, sind im Parlament vertreten, sehr erfolgreich sogar. Und es wäre eine vernünftige Politik, sein Land zusammenzuführen, zu einen, die Wunden zu schließen und nicht neue aufzureißen und Panzer in die osttürkischen Dörfer zu schicken und zu schießen und wieder Tote auf der Strecke zu lassen. Das führt zu nichts. Das führt zu Aufruhr, das führt zu Unruhe und bürgerkriegsähnlichen Situationen und auch Terroranschlägen, wie wir gesehen haben.
    Müller: Ist aber - das ist meine Frage - im Moment nicht ganz so schlimm, weil wir brauchen die Türken nicht nur bei der Anti-Terror-Bekämpfung gegen den IS, wie auch immer, sondern vor allem in der Flüchtlingspolitik?
    Wellmann: Das ist richtig. Wenn dieser Konflikt nicht zur Ruhe kommt, dann wird der Flüchtlingsstrom nicht abebben und es werden neue Quellen von Flüchtlingen entstehen, wie mit den Kurden. Wenn die so bedrängt sind, dass sie um ihr Leben fürchten, dann werden die sich möglicherweise auch auf den Weg machen. Das heißt, wir müssen von unseren türkischen Freunden verlangen, dass sie die Situation beruhigen, und zwar an allen Fronten.
    Müller: Sind das noch Freunde?
    Wellmann: Ja, auf jeden Fall. Die Türken sind seit Jahrzehnten zuverlässige Partner. Die Politik ist manchmal etwas erratisch dort, auch des gegenwärtigen türkischen Staatspräsidenten. Ich denke, wir sind im guten Dialog. Es ist gut, dass unser Innenminister heute dort ist, und die Kanzlerin ist ja auch ständig im Kontakt. Sie hat gestern mit Erdogan telefoniert. Das ist richtig. Wir müssen den Dialog führen und müssen versuchen, die Reihen zu schließen.
    Müller: Aber Sie sagen, ein bisschen erratisch. Viele sprechen ja vom systematischen Abschlachten vieler kurdischer Gruppierungen, Einheiten, militanter Einheiten, wie auch immer, mit vielen, vielen Opfern auch unter der Zivilbevölkerung. Kann man das so moderat formulieren, wie das die Bundesregierung tut, die fast gar nichts dazu sagt?
    Wellmann: Die Bundesregierung sagt sehr viel dazu, nicht immer notwendigerweise in der Presse.
    Müller: In der Öffentlichkeit! Sonst kriegen wir es ja nicht mit.
    Wellmann: Sie wissen, dass wir Kurden unterstützen im Nord-Irak, auch mit Waffenlieferungen im Kampf gegen den IS. Das ist ein sehr wichtiger deutscher Beitrag. Deshalb ist es kontraproduktiv, wenn die türkische Regierung einen sehr blutigen Bürgerkrieg im Osten der Türkei führt und anzettelt, der nie militärisch zu gewinnen ist. Sie müssen die Herzen der Leute gewinnen, aber das geht nicht mit Panzern.
    Müller: Warum sagt die Kanzlerin das nicht so klipp und klar, wie Sie es gerade gesagt haben? Blutiger Bürgerkrieg und es ist nicht zu gewinnen und kontraproduktiv?
    Wellmann: Die Kanzlerin muss sich als Führerin des wichtigsten europäischen Staates immer vorsichtig ausdrücken. Man kann nicht immer seinen Gefühlen Raum geben, sondern man muss kluge Politik machen. Und kluge Politik ist es, die Türken einzubeziehen und sie zu überzeugen, dass sie auf einem zivilisierten Weg gemeinsam mit dem Westen - das tun sie ja auch weitgehend - in dieser Region vorgehen, denn es bringt nichts, wenn die Region in hellen Flammen steht an allen Fronten. Ich darf erinnern: Die Türken hatten eine Politik mal verkündet, als der jetzige Regierungschef von Außenminister war, Herr Davutoglu, Freundschaft mit allen Nachbarn, und das Gegenteil ist eingetreten und das führt nicht zur Befriedung der Region und zum Abebben des Flüchtlingsstroms.
    "Es hat noch nie funktioniert, mit Dschihadisten gemeinsame Sache zu machen"
    Müller: Herr Wellmann, vielleicht noch eine Bemerkung, noch eine Frage zu dem, was Sie eben gesagt haben. Sie haben gesagt, die Türken haben den IS unterstützt, in welcher Form auch immer, auch gegebenenfalls mit Waffen. Wir haben heute Morgen aus Sicht der Linkspartei von Sevim Dagdelen von der Linksfraktion im Bundestag gehört, sie tun das immer noch, personell, materiell und auch logistisch, gegebenenfalls finanziell. Können Sie da mitgehen?
    Wellmann: Das kann ich nicht bestätigen. Ich habe keine Erkenntnisse jedenfalls. Die türkische Politik war so: Sie waren gegen Assad und sagen, jeder der gegen Assad ist, also auch wie der IS, ist mit uns verbündet, und das ist ein fataler Fehler. Es ist noch nie gelungen, es hat noch nie funktioniert, mit Dschihadisten gemeinsame Sache zu machen. Das ist immer schiefgegangen, in Afghanistan, in Libyen und wo auch immer. Und auch hier sieht man ja, wenn es denn ein IS-Terrorist gewesen sein sollte gestern, dass es zu überhaupt nichts führt. Man trägt nur den Krieg und das Sterben und das Leiden ins eigene Land.
    Müller: Der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch.
    Wellmann: Danke Ihnen! Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.