Dienstag, 16. April 2024

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Tourismusbranche in der Coronakrise
"Zeitnah einen sicheren Weg in die Urlaubsreise finden"

Vor den Verhandlungen der EU-Außenminister zu weiteren Lockerungen der Reisebeschränkungen hofft Norbert Fiebig, Präsident des Deutschen Reiseverbandes, auf differenzierte Betrachtungen der einzelnen Länder. Dort, wo die Verhältnisse seien wie in Deutschland, spreche nichts gegen weitere Öffnungen.

Norbert Fiebig im Gespräch mit Stefan Heinlein | 18.05.2020
Autos und LKW fahren zwischen Patsch und Schönberg am Brenner über die Europabrücke.
Norbert Fiebig, Präsident des Deutschen Reiseverbandes, begrüßt den Schritt hin zu weiteren Grenzöffnungen (dpa/ Sven Hoppe)
Für Urlauber aus Deutschland gilt vorerst bis zum 14. Juni eine weltweite Reisewarnung. Bundesaußenminister Heiko Maas berät heute mit seinen Kollegen aus zehn Urlaubsländern über mögliche Lockerungen der Reisebeschränkungen. Maas hat bereits angekündigt, sie danach schrittweise aufzuheben, falls es bei der Pandemie-Bekämpfung keinen Rückschlag gibt.
Der Präsident des Deutschen Reiseverbandes, Norbert Fiebig, begrüßt den Schritt hin zu weiteren Grenzöffnungen. Die Reisebranche leide extrem unter dem Lockdown. Es sei wichtig, zeitnah einen sicheren Weg in die Urlaubsreise zu ermöglichen. Für weitere Maßnahmen ab dem 15. Juni müssten einzelne Länder differenziert betrachtet werden. "Da, wo die Verhältnisse so sind wie in Deutschland, spricht nichts dagegen, den Reiseverkehr wieder zu öffnen." Sicherheit und Gesundheit der Urlauber müssten aber gewährleistet werden, so Fiebig.
Bundesaußenminister Heiko Maas, SPD, am 15.05.2020 während einer Videokonferenz mit dem Rat füer Außenbeziehungen der EU RfAB im Auswärtigen Amt in Berlin
Außenminister Maas: Klare Reisebestimmungen bis Mitte Juni
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hat angekündigt, mit Nachbarstaaten und beliebten Reiseländern in Europa über einheitliche Quarantäne- und Einreisebestimmungen zu verhandeln. Bis Mitte Juni soll es verbindliche Vereinbarungen für deutsche Urlauber geben, sagte Maas.
Hoffen auf Impfstoff und Medikamente
Die finale Entscheidung für Reisewarnungen und -hinweise obliege dem Auswärtigen Amt, mit dem man im ständigen Austausch sei. Klar sei, dass der Sommerurlaub in diesem Jahr anders werde, meint Fiebig. Zum gewohnten Reiseverhalten würden Menschen erst zurückkehren, wenn es Medikamente oder einen Impfstoff gegen das Virus gebe, so der Präsident des Deutschen Reiseverbandes.
Das vollständige Interview lesen Sie hier in Kürze.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Heinlein: Herr Fiebig, wird das heute ein guter Tag für Ihre Branche? Kann Heiko Maas den Sommerurlaub 2020 noch retten?
Fiebig: Ja, wir hoffen sehr, dass das in diese Richtung geht, und Ziel aller Überlegungen ist ja hier, auch zeitnah einen sicheren Weg in die Urlaubsreise zu finden für Deutschland, für Europa und sicherlich auch weltweit, und das bedarf nationaler, das bedarf aber auch internationaler Initiativen. Darum ist das gut, dass Herr Maas heute mit den wichtigsten Urlaubsländern entsprechend spricht. Das ist ein gutes Zeichen. Die Grenzöffnungen, die wir jetzt teilweise schon sehen, sind ein gutes Zeichen für Reisende, aber auch für die Reisewirtschaft, die natürlich unter dem Lockdown seit März diesen Jahres extrem stark gelitten hat.
Differenzierte Betrachtungsweisen der Länder sind wichtig
Heinlein: Reicht das aus, was Heiko Maas bereits jetzt vorab unter anderem bei uns im Deutschlandfunk angedeutet hat an Maßnahmen, Aufhebung der Quarantänebeschränkungen für Reisende innerhalb Europas und Aufhebung der weltweiten Reisewarnungen? Ist das genug, um Ihrer Branche den Hals zu retten?
Fiebig: Ja, das ist genug, wenn es genügend differenziert auch in Zukunft wieder zugeht, was wir seit längerer Zeit einfordern, spätestens am 15. Juni – so lange läuft die im Moment geltende weltweite Reisewarnung -, dass es dann wieder zu differenzierten Betrachtungsweisen kommt, die individuellen Voraussetzungen der einzelnen Urlaubsländer, Reiseländer hier auch Basis der Bewertung ist. Das hatten wir bisher nicht und da ist unsere Maxime, dass wir sagen: Da wo die Verhältnisse so sind wie in Deutschland oder gar besser, spricht nichts dagegen, den Urlaubsverkehr entsprechend dann auch wieder zu öffnen.
Heinlein: Heiko Maas spricht ja heute nur mit seinen Kollegen aus europäischen Urlaubsländern. Heißt das unter dem Strich, in diesem Sommer sind Reisen nach Ägypten, Tunesien oder sogar Fernreisen nach Thailand oder in die Dominikanische Republik in jedem Fall nicht möglich?
Fiebig: Messlatte sollten die individuellen Verhältnisse in den Ländern sein. Viele Länder bereiten sich wieder vor auf den Urlaubsverkehr. Viele Länder sind ja auch, wenn Sie nordafrikanische Länder angesprochen haben, extrem wirtschaftlich und kulturell abhängig von dem Tourismus. Viele Länder bereiten sich darauf vor, nicht nur europäische, sondern auch die Türkei hat umfangreiche Maßnahmenkataloge entwickelt, das gleiche gilt für Ägypten und Tunesien. Die wollen alle wieder an den Start und hier muss man gucken. Oberste Priorität ist die Sicherheit. Gesundheit muss gewährleistet sein. Wenn die Konzepte schlüssig sind und die Bedingungen wie gesagt nicht schlechter als in Deutschland sind, spricht aus unserer Sicht nichts dagegen. Es bedarf allerdings wirklich der intensiven Prüfung des Auswärtigen Amtes und hier sind differenzierte Reisewarnungen erforderlich, um das auch entsprechend dann abdecken zu können.
Finale Entscheidung obliegt dem Auswärtigen Amt
Heinlein: Gehen Sie davon aus, dass diese Konzepte in den angesprochenen Ländern schlüssig sind und Reisen dann in den Mittelmeer-Raum, nach Ägypten etc. oder darüber hinaus, in die Türkei oder nach Thailand möglich sein werden?
Fiebig: Das muss man individuell bewerten. Wir als Branche haben auch Konzepte entwickelt, die wir mit dem Auswärtigen Amt dann auch abstimmen wollen. Die finale Entscheidung obliegt natürlich, was die Reisehinweise, Reisewarnungen angeht, dem Auswärtigen Amt, aber hier wird intensiv gearbeitet und ich glaube, hier wird auch sehr entschlossen und im Detail durchaus wertvoll gearbeitet. Aber final entscheiden muss das eine Stelle, das ist das Auswärtige Amt. Ich glaube, dass die Basisarbeit, die hier in den einzelnen Destinationen gemacht wird, sehr gut ist und hoffentlich auch eine gute Basis für die Öffnung des Reiseverkehrs dann auch bietet.
Heinlein: Haben Sie das Gefühl, dass die Politik, dass das Außenministerium Ihnen zuhört? Sie sind ja in engem Kontakt mit dem Außenminister.
Fiebig: Ja, das Gefühl habe ich, insbesondere, weil ich und die Branche um acht Uhr ein Call mit Außenminister Maas haben, wo wir unsere Ideen noch mal einbringen und auch unsere Bitte, hier entsprechend differenziert in den Reisehinweisen vorzugehen. Der Kontakt ist eng, der ist traditionell sehr eng und das Auswärtige Amt hört durchaus auch die Stimme der Reisewirtschaft.
"Viele sind ganz wild darauf, wieder in den Urlaub zu fahren"
Heinlein: Herr Fiebig, egal wohin es geht, es gelten ja weiter strenge Hygieneregeln in Hotels, in Gaststätten oder am Strand. Ist unter diesen Umständen Erholung für Touristen überhaupt möglich?
Fiebig: Ja, das ist sicherlich eher eine individuelle Frage, eine persönliche Frage. Womit wir rechnen müssen ist, dass der Sommerurlaub nicht so aussieht wie die Sommerurlaube, die wir bisher gesehen haben, und die Sicherheitsmaßnahmen, die Hygienemaßnahmen, die wir hier in unserem täglichen Leben entsprechend erfüllen müssen, werden wir auch in der Destination im Urlaub entsprechend einhalten müssen. Das ist mal klar! Da gibt es welche, die das vielleicht nicht so reizvoll finden, aber es gibt viele, die ich auch im persönlichen Umfeld sehe, die ganz wild darauf sind, wieder ihren Urlaub verbringen zu müssen. Es sieht etwas anders aus, aber wir müssen uns auch hier zuhause an genau diese Maßnahmen gewöhnen. Nein, das wird unterschiedlich bewertet werden. Viele sind ganz wild darauf, wieder in den Urlaub zu fahren.
Heinlein: Aus Sicht Ihrer Branche, Herr Fiebig, rechnet es sich denn für Hotels, wenn jedes zweite Zimmer aus Hygienegründen – und Sie betonen ja, dass das sehr, sehr wichtig ist – nicht belegt werden kann?
Fiebig: Ja, das ist sicherlich eine finanzielle Herausforderung. Aber die Infrastruktur muss genutzt werden und wo dann in dem einzelnen Betrieb der Break-even liegt, das müssen die selbst sehen. Wenn es sich nicht rechnet, werden sie das Hotel nicht aufmachen können, wenn sie damit nur Verluste einfahren. Die Konzepte werden so ausgerichtet werden müssen, dass es auch betriebswirtschaftlich einen Sinn macht. Ansonsten verschlechtert man ja nur seine Position. Aber die Möglichkeiten, das ohne Verluste zu betreiben, sind da und müssen auch da sein.
Hoffnung auf wirksame Medikamente und Impfungen
Heinlein: Wenn Sie in das Fernglas blicken, Herr Fiebig, erwarten Sie, dass sich das Reiseverhalten der Bundesbürger dauerhaft durch diese Pandemie verändern wird, dass man vielleicht andere Ziele wählt, nicht mehr Fernreisen, sondern lieber in der Nähe, in der Umgebung, in den Nachbarländern dauerhaft bleibt?
Fiebig: Nein, das glaube ich nicht. Wenn ich in das Fernglas schaue, sehe ich im Übrigen wirksame Medikamente und Impfungen gegen Corona. Sobald wir das haben, bin ich fest davon überzeugt, wird das Reiseverhalten wieder so sein, wie es vor der Pandemie war. Die Deutschen wollen die Welt erobern. Die Deutschen sind Reiseweltmeister gewesen und diese Position werden sie nach meinem Empfinden auch nicht aufgeben.
Heinlein: Aber vorher nicht? Es braucht eine Impfung, damit wir Deutschen unseren Reiseweltmeister-Titel verteidigen?
Fiebig: Das Reiseverhalten wird sich anders darstellen, wenn die Impfung nicht da ist. Sie haben das eben angesprochen. Es wird nicht jedermanns Geschmack treffen, mit diesen umfangreichen Hygienemaßnahmen durch die Welt zu reisen. Aber es gibt eine große Anzahl, die das trotzdem machen werden. In diesen eingeschwungenen alten Zustand werden wir erst wieder kommen, wenn wir entsprechend Medikamente oder Impfungen haben. Davon gehe ich aus.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.