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Türkei
Der Geist von Gezi ist nicht tot

Genau drei Jahre ist es her, da formierte sich in der Türkei Widerstand gegen das zunehmend autoritäre Auftreten der Erdogan-Regierung. Bei den Gezi-Protesten zeigten sich große Teile der türkischen Gesellschaft angstfreier, kreativer und demokratischer als je zuvor. Seitdem wurden die Spuren der Proteste möglichst umfassend beseitigt - und doch ist der Geist von Gezi noch zu finden.

Von Luise Sammann | 29.05.2016
    Polizisten stürmen in Istanbul die Redaktion der regierungskritischen Zeitung Zaman (05.03.2016)
    Polizisten stürmen in Istanbul die Redaktion der regierungskritischen Zeitung Zaman. (AFP / Akif Talha Sertturk)
    Der schnauzbärtige Mann hat Tränen in den Augen. Angestrengt versucht er, sie zurückzuhalten, stockt, schnieft, bis sie schließlich doch auf Hemd und Anzug hinuntertropfen. Zwei endlos lange Minuten dauert es, bis Metin Kilic, türkischer Elektriker und Lokalpolitiker, seine Sprache wiederfindet.
    "Meine Tochter rief mich an. Sie war verletzt und sagte, dass sie ihren Bruder und ihre Mutter nicht erreiche. Sie sagte, dass es überall Tote gäbe. Ich beschloss, selbst zu ihr zu fliegen. Am Flughafen dann kam die Nachricht: Meine Frau und mein Sohn waren tot."
    Wieder zwingen ihn die Tränen zu einer Pause. Metin Kilic nimmt die Brille ab, fährt sich mit den Fingern über die müden Augen. Auch zehn Monate nach dem verheerenden Bombenanschlag im südtürkischen Suruc, keine zehn Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, vergeht kaum ein Tag, an dem die Erinnerung den 57-Jährigen nicht einholt. Ausgerechnet heute hätte seine verstorbene Frau Geburtstag gehabt.
    Helfer versuchen im Garten des Kulturzentrums von Suruc, Verletzten zu helfen.
    Bei der Explosion im Garten des Kulturzentrums von Suruc hat es neben mindestens 27 Toten auch viele Verletzte gegeben. (picture alliance / dpa / Depo Photos)
    "Aus 22 Städten waren damals Freiwillige nach Suruc gefahren, vor allem Jugendliche. Sie wollten den Kindern im umkämpften Kobane, auf der anderen Seite der Grenze, Spielzeug und Kleidung bringen. Meine Frau beschloss spontan, die Jugendlichen zu begleiten. Sie waren so fröhlich und ausgelassen als sie hier aufbrachen. Am nächsten Tag, während einer Presseerklärung, explodierte dann die Bombe."
    34 Menschen starben am 20. Juli 2015 in Suruc. Die Selbstmordattentäterin gehöre der Terrororganisation des selbst erklärten Islamischen Staates an, verkündete die türkische Regierung umgehend. Doch bis heute warten die Hinterbliebenen auf Gewissheit. Keine einzige Verhaftung habe es bis heute in dem Fall gegeben, sagt Metin Kilic. Nicht eine einzige Vernehmung. Auch keine Erklärung des IS selbst.
    Nichts also, folgert er, was die Gerüchte widerlegen könnte, die türkische Regierung selbst habe ihre Finger im Spiel gehabt. Denn das Chaos der vergangenen Monate, so glauben nicht nur Wahlanalysten am Bosporus, habe vor allem der regierenden AKP mit ihren Versprechen von Stabilität und Sicherheit genutzt.
    Verdächtigungen aussprechen ist gefährlich
    Wie gefährlich es ist, solche Verdächtigungen laut auszusprechen, weiß niemand besser als Metin Kilic. Drei Monate nach Suruc explodierte eine weitere Bombe, diesmal in Ankara. Gemeinsam mit Hunderten anderen, die sich vom Staat nicht mehr ausreichend beschützt fühlten, ging Metin Kilic spontan auf die Straße, rief mit ihnen Slogans wie "Mörder Erdogan, Mörder Erdogan". Kurz darauf folgte die Vorladung, dann die Anklage. Der Vorwurf: Präsidentenbeleidigung.
    Der Prozess gegen Metin Kilic ist für Anfang Juni angesetzt. Danach könnte er, dessen halbe Familie durch die Bombe von Suruc starb, nun auch noch im Gefängnis landen. Doch der kurdische Witwer zuckt nur müde mit den Schultern.
    "Jemandem wie mir können sie keine Angst mehr machen. Nichts, was sie mir antun, kann mir noch wehtun. Aber wenn die Regierung so weitermacht, dann sehe ich auch für den Rest dieses Landes keine Zukunft mehr."
    Metin Kilics Geschichte gilt vielen Regierungskritikern als beispielhaft für den Zustand, in dem sich die Türkei derzeit befindet. Zahlreiche Menschen haben in den letzten Monaten Angehörige bei Bombenanschlägen verloren, mehr noch im neu aufgeflammten Konflikt zwischen kurdischen PKK-Kämpfern und türkischem Militär im Südosten des Landes.
    2.000 Bürger müssen sich außerdem wie Metin Kilic wegen Präsidentenbeleidigung verantworten, seit Recep Tayyip Erdogan das Amt im August 2014 übernommen hat. Unter ihnen Hausfrauen und Journalisten, Fußballfans, Studenten und selbst minderjährige Schüler. Kritik, so musste nicht nur Lokalpolitiker Kilic erfahren, ist in der Türkei heute nicht erwünscht.
    Auch seine Partei, die kurdenfreundliche HDP, im vergangenen Sommer für viele noch große Hoffnung eines demokratischen Neuanfangs, dürfte kurz vor dem Aus stehen. Vor wenigen Tagen entzog das Parlament einem Großteil der Abgeordneten die Immunität. Anklagen gegen die kurdischen Politiker sind nur noch eine Frage der Zeit.
    Vor drei Jahren: Gezi-Proteste
    Genau drei Jahre ist es her, da wehte in der Türkei ein völlig anderer Wind. Bei den Gezi-Protesten, die Ende Mai 2013 das ganze Land aufrüttelten, zeigten sich große Teile der türkischen Gesellschaft angstfreier, kreativer und demokratischer als je zuvor. Wochenlang zogen erst Dutzende, später Millionen Demonstranten zum Istanbuler Taksim-Platz, demonstrierten mal skandierend, mal tanzend, mal schweigend - zunächst gegen ein geplantes Shoppingcenter im zentralen Gezi-Park. Innerhalb weniger Tage formierte sich dann überall im Land Widerstand gegen das zunehmend autoritäre Auftreten der Erdogan-Regierung.
    Heute erinnert im Gezi-Park nichts mehr an die Proteste von damals. Die Graffitis und Bilder, die damals ganz Istanbul schmückten, wurden entfernt. Blumen blühen dort, wo protestierende Türken einst ihre Zelte aufgestellt und selbstbewusst die Republik Gezi ausgerufen hatten. Überwachungskameras und Polizeipatrouillen an Parks und Plätzen im ganzen Land sorgen dafür, dass niemand diesen scheinbaren Frieden stören kann.
    Doch nicht nur auf dem Taksim-Platz, auch in der türkischen Gesellschaft wurden die Spuren der Proteste möglichst umfassend beseitigt. Zahlreiche Journalisten, Schauspieler und Intellektuelle, die die Bewegung damals offen unterstützten, verloren noch im selben Jahr ihre Posten. Selbst die Vorstände der großen Istanbuler Fußballvereine wurden sorgfältig neu besetzt, nachdem es ihre Fanklubs gewesen waren, die immer wieder zu neuen Demonstrationen aufgerufen hatten. Türkische Stadionbesucher werden heute genauestens kontrolliert und registriert.
    "Wenn Sie sich ansehen, was in den drei Jahren seit Gezi passiert ist, dann ist eigentlich alles nur schlimmer geworden: mehr Ungerechtigkeit, mehr Einmischung, mehr Ungleichheit. Alles, was damals zu Massenprotesten geführt hat, existiert heute 100 Mal mehr."
    Resümiert Eyüp Muhcu, der als Vorsitzender der Istanbuler Architektenkammer zu den führenden Figuren der Gezi-Bewegung gehörte. Parteilose Aktivisten wie ihn sahen viele Oppositionelle damals an der Spitze einer neuen Türkei. Inzwischen wurden die meisten von ihnen entweder angeklagt oder sind verstummt.
    "Erdogan hat klar gemacht, dass er zu allem bereit ist, um das Sultanat wieder einzuführen. Gewalt, Massaker und Ungerechtigkeit können also noch zunehmen. Aber dennoch glaube ich, dass die von ihm geplante autoritäre Verfassung nie akzeptiert werden wird. Die Gesellschaft hat ihre Lektion aus Gezi gelernt."
    Viele Akademiker suchen Wege, das Land zu verlassen
    Eyüp Muhcu ist ein Optimist. Einer der wenigen, die der türkischen Opposition geblieben sind. Denn unter den Erdogan-Gegnern haben sich Frust und Politikmüdigkeit breitgemacht. Besonders viele Akademiker suchen nach Wegen, ihr Land zu verlassen. Dennoch, Eyüp Muhcu bleibt hoffnungsvoll: Das Potenzial für einen neuen Aufstand sei da, so glaubt er. Allerdings muss lange suchen, wer den sogenannten Geist von Gezi heute noch aufspüren will.
    Jeden Montagabend trifft sich die Bürgerinitiative Kadiköy Kent Dayanismasi in einem Café im säkular geprägten Stadtteil Kadiköy. Ein Dutzend Leute sitzen um einen großen Konferenztisch, diskutieren bei türkischem Cay die Themen des Tages. Ein neues Schwimmbad soll in der Nähe entstehen. Werden die Bürger des Viertels freien Zugang dazu haben? Und wie steht es um die Erdbebensicherheit der neuen, im Eiltempo hochgezogenen Hochhäuser, die überall in Kadiköy aus dem Boden sprießen? Üzeyir Uludağ, ein hagerer Mitfünfziger in Hemd und Stoffhose, gehört zu den Gründungsmitgliedern der Initiative.
    "Die Kadiköy Solidaritätsgruppe ist kurz nach Gezi entstanden. Nachdem der Gezi-Park geräumt worden war, trafen sich die Leute jeden Abend in den Parks ihrer Viertel und diskutierten weiter. Und daraus entstanden dann Bürgerinitiativen wie unsere. Wir kämpfen für ein besser strukturiertes und organisiertes Kadiköy. Auf der anderen Seite wollen wir informieren. Zum Beispiel veranstalten wir eine Diskussion zum Thema "Warum und wie geschieht der städtische Wandel". Jeder, der will, kann teilnehmen."
    Üzeyir Uludağ ist sichtbar stolz auf das, was er und seine Mitstreiter in den vergangenen Jahren auf die Beine gestellt haben. Viele andere Initiativen aus Gezi-Tagen sind längst wieder von der Bildfläche verschwunden. Hier und da zerstritten sich die Aktivisten an Detailfragen, als aus dem Protest gegen etwas ein konstruktives für etwas werden sollte. Anderen gingen einfach die Teilnehmer aus, als der Sommer vorbei war und die Menschen aufhörten, abends in die Parks zu strömen.
    Die Kadiköy-Solidaritätsgruppe aber ist an zahlreichen kleinen Erfolgen gewachsen. Mal gelang es, einen öffentlichen Obst- und Gemüsegarten zu retten, der in einen Parkplatz verwandelt werden sollte. Mal überzeugten die Mitglieder die Bezirksregierung davon, eine geplante Treppe aufzugeben, die zwar schön anzusehen, nach Meinung der Aktivisten aber ökologisch unvertretbar gewesen wäre:
    "Überall in Istanbul werden Wolkenkratzer hochgezogen, vor unseren Augen werden Bäume gefällt, mit Großprojekten wird die Umwelt zerstört. Und nicht nur die Natur, auch alles andere ist in Gefahr. Das Bildungssystem, das Gesundheitssystem, die Grundwerte dieser Republik, wie der Laizismus. Es passiert so viel, dass man gar nicht mehr hinterherkommt."
    Findet Filiz Elasu, die ebenfalls schon kurz nach Gezi zur Kadiöy Kent Dayanismasi stieß.
    "Aber obwohl die Entwicklungen in diesem Land so problematisch, so chaotisch und so düster sind, tut es doch gut, zu sehen, wie das Bewusstsein dafür in den letzten Jahren gewachsen ist und wie wir durch unsere Aktionen dazu beitragen."
    AKP so stark wegen fehlender Alternativen
    Tatsächlich: Bürgerinitiativen wie die in Kadiköy, die spontanen Proteste gegen eine islamische Verfassung vor einem Monat oder auch die umstrittene Initiative Akademiker für den Frieden, zeigen: Auch, wenn die AKP wohl wieder knapp 50 Prozent der Stimmen erhielte, wenn an diesem Sonntag Wahlen wären: Längst nicht alle Türken sind mit der Regierungspolitik einverstanden. Viele Stimmen, so Beobachter, erhalte die von Erdogan mitgegründete Partei inzwischen nur noch, weil der Wähler keine echte Alternative habe.
    "Einer der Gründe, warum viele Türken weiter die AKP unterstützen, ist ihre historisch begründete Angst, vom anderen Teil der Gesellschaft unterdrückt zu werden, sobald die AKP nicht mehr an der Macht ist. Was wir brauchen, ist also eine Opposition, die ihnen diese Furcht nehmen und klarmachen kann, dass der aktuelle Weg zu einem Kollaps führt, der allen schaden wird."
    Urteilt der Istanbuler Gesellschaftspsychologe und Kolumnist Murat Paker.
    "Die Türkei erlebt zurzeit die tiefste gesellschaftliche Krise ihrer Geschichte. Wenn es so weitergeht, dann ist der totale Kollaps unabwendbar. Denn fast alle Teile der Gesellschaft hegen negative Gefühle, von Sorge bis Wut oder Hass."
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan während einer Rede im Präsidentenpalast in Ankara am 4.5.2016.
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan während einer Rede im Präsidentenpalast in Ankara. (afp / Adem Altan)
    Tatsächlich findet sich Kritik an den Zuständen immer häufiger auch unter AKP-Anhängern. Mit der Entlassung des eigentlich beliebten Premiers Ahmet Davutoglu zum Beispiel waren selbst viele Erdogan-Fans nicht einverstanden. Und der Sinkflug der türkischen Lira macht sich längst auch im Alltag jener Türken bemerkbar, die sich ansonsten nicht für Politik interessieren. Allein die Preise für Obst und Gemüse stiegen im vergangenen Jahr um fast 25 Prozent.
    Aber wo sind sie dann, die furchtlosen Massen von einst, die ihre Jobs kündigten oder die Schule schwänzten, nur um jeden Tag am Taksim-Platz den Rücktritt einer Regierung fordern zu können, die mehr und mehr in ihre Privatsphäre eindrang, die Alkoholverbote erließ und geschlechtergemischte WGs verteufelte? Wo sind all jene, die vor nur drei Jahren von einer völlig veränderten, einer demokratischeren Türkei träumten? Heute bekämpfen sie sich vor allem gegenseitig, so Psychologe Murat Paker.
    "Gezi hat gezeigt, welche Kräfte freigesetzt werden, wenn sich unterschiedliche Gruppen zusammentun. Von den Kemalisten und den Sozialisten bis zu liberalen Muslimen und Kurden waren dort alle vertreten. Aber bei einem Thema gibt es unüberwindbare Gräben zwischen diesen Gruppen."
    Kurdenkonflikt teilt Gesellschaft in pro und contra Erdogan
    Es ist der neu aufgeflammte Kurdenkonflikt, der die Teilung der türkischen Gesellschaft in pro und contra Erdogan in diesen Tagen teilweise relativiert. Denn das harte Vorgehen gegen die Kurden unterstützen selbst die größten Gegner des Präsidenten. Egal ob links oder rechts – der Nationalismus, und damit die Angst vor den Minderheiten, ist überall in der Gesellschaft tief verankert. Die jüngste Aufhebung der Immunität fast aller kurdischer Parlamentsabgeordneter wurde daher auch von Nicht-AKP-Wählern kritiklos mitgetragen.
    Und noch eine Kraft sorgt dafür, dass man die ungewöhnliche Einheit aus Gezi-Tagen in der heutigen Türkei vergeblich sucht. Die Angst.
    An einem sonnigen Tag im April haben sich einige Aktivisten mit Plakaten und Postern vor dem Istanbul Adalet Sarayi versammelt, Europas größtem Gerichtsgebäude. "Da drinnen sitzt heute die Meinungsfreiheit auf der Anklagebank", schnaubt Merve Kara, Politikdozentin aus Ankara, die rauchend auf den warmen Betonplatten sitzt. Vier Akademiker, die zu Beginn des Jahres eine Petition unterschrieben hatten, stehen heute vor Gericht. Sie hatten der Regierung eine Vernichtungs- und Vertreibungspolitik im Südosten der Türkei vorgeworfen und sie aufgerufen, die Friedensverhandlungen mit den Kurden wieder aufzunehmen. Auch Soziologin Gamze Elacik gehört zu den Wissenschaftlern, die die Petition der Akademiker für den Frieden unterschrieben haben. Dass sie selbst nicht auch auf der Anklagebank landete, scheint purer Zufall, glaubt sie.
    "Sie haben diese vier als Bauernopfer gewählt. Über sie wollen sie allen anderen, die ihre Stimme in diesem Land noch erheben, drohen: Seht, was wir mit euch machen können."
    Folgenlos blieben die Unterschriften der anderen aber auch so nicht. Soziologin Gamze Elacik berichtet von Kollegen an staatlichen Universitäten, die umgehend suspendiert oder gar bedroht wurden. Andere Lehrende fanden die Türen ihrer Büros beschmiert, nachdem AKP-nahe Medien die Studenten im Land dazu aufgerufen hatten, den Unterricht der – Zitat - "Vaterlandsverräter" zu boykottieren. Mit ihrem Aufruf hätten die Akademiker dem türkischen Staat geschadet und damit der PKK zu mehr Stärke verholfen, so der Vorwurf. Wer den Terror unterstütze, sei selbst ein Terrorist. Politikdozentin Merve Kara ist die Empörung anzusehen. Wer, fragt sie, traut sich unter diesen Bedingungen schon noch, seine Stimme zu erheben?
    "Direkt am Eingang zu unserer Fakultät überprüft die Polizei jetzt jeden Tag die Personalien. Wer seinen Ausweis nicht zeigen will, wird sofort mitgenommen. Sie geben uns das Gefühl, dass sie alles und jeden innerhalb dieser Uni kontrollieren können."
    Angst vor Bombenanschlägen
    Die Atmosphäre auf dem Platz vor dem Gericht erinnert ein wenig an Gezi. Wie damals stimmen einige Demonstranten plötzlich Volkslieder an, immer mehr Menschen drängeln sich zwischen den vorsorglich von der Polizei aufgestellten Sicherheitsabsperrungen. Doch die Ausgelassenheit und auch die Massen von damals bleiben aus. Und das nicht nur, weil die Akademiker ausgerechnet den Kurdenkonflikt ins Zentrum ihrer Kritik gestellt hatten.
    "In der Türkei sind bei Menschenansammlungen in letzter Zeit so viele Bomben explodiert, dass wir uns Sorgen um unsere Sicherheit machen."
    Erklärt eine junge Frau, die mit anderen Freiwilligen begonnen hat, jeden Neuankömmling zu durchsuchen, der noch auf den Platz will. Die meisten Demonstranten fügen sich den Kontrollen kommentarlos, öffnen bereitwillig Taschen und Rucksäcke – so, wie sie es inzwischen auch von Metro- und Fährstationen, den Eingängen von Shoppingcentern, Stadien und Hotels gewöhnt sind. Doch die Szene sagt viel aus über den Zustand, in dem sich die türkische Gesellschaft nach Monaten voller Gewalt und zahlreicher Bombenexplosionen auch im einst sicheren Westen des Landes befindet. Ein älterer Herr sieht den Kontrollen kopfschüttelnd zu.
    "Stellen sie sich vor, früher sind wir am 1. Mai mit ein Million Mann an den Taksim-Platz gezogen. Aber inzwischen haben die Leute einfach Angst, sich zu versammeln. Und am Ende führt das genau zu dem, was Erdogan will: Eine Republik der Angst, in der sich niemand mehr traut, das Wort zu erheben."