"Als sie zum Auto kamen, wollten sie ihn hineinstoßen, aber er hat sich am Auto festgehalten und sich gewehrt."
Wenn Latifa Matmati von der Festnahme ihres Mannes Kamel in der südtunesischen Stadt Gabès erzählt, klingt es, als wäre es gestern geschehen - und als sei sie dabei gewesen. Dabei hatte sie erst viele Jahre später von den Ereignissen an diesem schrecklichen Tag im Oktober 1991 erfahren. Es war die Zeit, in der das tunesische Regime besonders hart gegen mutmaßliche Islamisten vorging. Damals wurde ihr Mann auf dem Rückweg vom Gebet zu seiner Arbeit bei der Stromgesellschaft von zwei Zivilpolizisten festgenommen und auf die Wache gebracht.
"Der Chef ging irgendwann raus und sagte den beiden anderen: 'Schlagt ihn weiter, hört nicht auf.' Als Kamel das Bewusstsein verlor, holten sie einen Arzt, der sagte: 'Schlagt ihn nicht mehr, seine Hände sind gebrochen, ein Bein auch, er ist bewusstlos - legt ihn zur Seite.' Als der Chef zurückkam, fragte er: 'Warum habt ihr aufgehört, ihn zu schlagen?' Sie erzählten, dass der Arzt gesagt hatte, Kamel könne sterben. Der Chef meinte: 'Der simuliert nur.' Dann hat er Kamel geschlagen, immer weiter, bis kein Leben mehr in ihm war."
Der Sturz des Diktators ermöglicht die Aufarbeitung
Von all dem wusste Latifa nichts. Sie ging am Morgen nach der Festnahme mit ihrem Schwiegervater zur Polizeistation und fragte nach ihrem Mann Kamel. Der sei nicht hier, war die Antwort, obwohl sie seinen Namen auf einer Liste des Wachmanns erspähen konnte. Und ab da trieben die Behörden mit ihr ein Versteckspiel.
"Nach zwei Jahren ungefähr kam seine Mutter zu einer Polizeistation, da sagte man ihr: Dein Sohn ist hier, koche ihm etwas Gutes zu Abend, wir geben es ihm. Als sie mit der Nachricht nach Hause kam, haben wir uns wahnsinnig gefreut. Zum Sonnenuntergang sind wir mit einem gefüllten Korb aufgebrochen. Als wir beim Gefängnis ankamen, den Korb zwischen uns, hatte die Wache gewechselt. Sie fragten: 'Was wollt ihr hier?' 'Wir bringen das für meinen Sohn Kamel Matmati.' 'Der ist nicht hier. Geht nach Hause.' Und als wir gehen wollten, kam ein Polizist in Zivil. Das sind die Schlimmsten. Bis heute habe ich sein spöttisches Lachen im Ohr."
Später hieß es dann, Kamel sei nach Tunis verlegt worden, noch später, er sei ins Ausland geflohen. Über all die Jahre lebte Latifa allein mit ihren beiden Kindern - die Tochter war sechs Monate alt, als ihr Vater für immer verschwand. Immer wieder besuchten Polizisten in Zivil die in Armut lebende Familie. Die Kinder wurden in der Schule gehänselt, Unterstützung gab es kaum, denn vielen war es zu gefährlich mit der Familie eines angeblichen Islamisten zu tun zu haben. Erst mit dem Sturz des Diktators Ben Ali 2011 änderte sich wirklich etwas für Latifa Matmati.
"Direkt nach der Revolution habe ich als erste in der Region einen Brief an den Gouverneur geschrieben und vom Verschwinden meines Mannes erzählt und davon, wie schlecht wir behandelt wurden. Sie haben mich empfangen und gesagt: 'Wir tun jetzt das Nötige.'"
"Diese Leute müssen zur Verantwortung gezogen werden"
Und dennoch erhielt Latifa Matmati erst 2015 eine offizielle Sterbeurkunde für ihren Mann. Ihr Fall wurde schließlich an die "Instanz für Wahrheit und Würde" weitergeleitet, die 2014 gegründet wurde. Seither hat diese Instanz fast 50.000 Personen angehört und rund 62.000 Akten erstellt - über das Schicksal von überzeugten Islamisten, altgedienten Marxisten, jungen Revolutionären und völlig unpolitischen Menschen, die in die Fänge der Sicherheitsbehörden geraten waren. Sie behandelt auch Fälle von Korruption, illegaler Bereicherung und was die Diktatur sonst noch mit sich brachte. In den vergangenen Monaten hat die Kommission die ersten Fälle an Sondergerichte überwiesen. Und am 29. Mai begann der erste Prozess - zum Verschwinden von Kamel Matmati. Unter den 14 Angeklagten ist auch der frühere Staatspräsident Zine El Abidine Ben Ali, der heute in Saudi-Arabien lebt. Zur Verhandlung erschien kein einziger der Angeklagten. Latifa Matmati hofft, dass das beim nächsten Prozesstag am 10. Juli anders sein wird.
"Diese Leute müssen zur Verantwortung gezogen werden, vor Gericht kommen und bestraft werden. Sie dürfen nicht ihr Leben genießen, essen und trinken, als ob sie nichts getan hätten. Wir haben seit 1991 gelitten. Bis ich 2015 die Sterbeurkunde bekam, habe ich angenommen, dass mein Mann noch lebt. So lange war ich weder verheiratet noch geschieden noch Witwe."
Matmati ist der Wahrheitskommission sehr dankbar, dass diese ihren Fall als einen der wenigen ausgewählt hat, für die ein Prozess angestrengt wird.
"Ohne die Übergangsjustiz wären wir nicht vor Gericht gegangen. Deshalb muss die Wahrheitskommission weiter bestehen. Denn es gibt so viele Opfer, das muss alles ans Licht. Am ersten Prozesstag hat mich eine Frau angesprochen, sie weinte und sagte mir: 'Wie gut, dass der Prozess für Kamel begonnen hat. Ich weiß bis heute nicht, wo mein Mann ist.' Es gibt viele solcher Fälle."
Auch Frauen und Mütter der Gefangenen misshandelt
Dass Latifa Matmati so früh ausgesagt hat, ist alles andere als selbstverständlich, erzählt Ibtihel Abdellatif. Sie ist Mitglied der Wahrheitskommission und Vorsitzende der Arbeitsgruppe Frauen. Diese wurde aktiv, als man bemerkte, dass anfangs nur fünf Prozent der Aussagen von Frauen kamen - dabei wurden Frauen nicht nur selbst verfolgt, sondern oft als Ehefrauen, Mütter oder Schwestern von politischen Gefangenen zusätzlich misshandelt, so wie Latifa Matmati. Deshalb startete die Wahrheitskommission eine Kampagne; Mitarbeiterinnen fuhren durchs Land, um Frauen über ihre Arbeit zu informieren und ihnen die Möglichkeit zur Aussage zu geben. So entstanden immerhin 16.000 Akten - fast ein Viertel der Gesamtzahl.
Am 17. November 2016 eröffnete die Vorsitzende der Wahrheitskommission Sihem Ben Sedrine die erste öffentliche Opferanhörung, die live im Fernsehen übertragen wurde, mit folgenden Worten:
"Heute ist ein bedeutender Tag in der Geschichte Tunesiens. Es ist ein historischer Moment, der als wichtige Wegmarke im Aufbau unseres Rechtsstaats in Erinnerung bleiben wird. Ein Moment, in dem wir die Helden Tunesiens feiern. Vor zehn Jahren hätte das niemand erwartet."
Frauen beginnen, öffentlich auszusagen
Aber es war ein historischer Moment, zu dem sich weder Regierungschef Youssef Chahed noch Staatspräsident Béji Caid Essebsi einfanden. Essebsi selbst war in den sechziger Jahren Innen- und Verteidigungsminister Tunesiens. Die Untersuchungen der Wahrheitskommission, die die Jahre von 1955 bis 2013 betreffen, könnten also auch ihn belasten. Doch trotz des Boykotts durch die Staatsspitze haben die öffentlichen Anhörungen ihre Wirkung nicht verfehlt. Ibtihel Abdellatif von der Wahrheitskommission.
"Bei den ersten öffentlichen Anhörungen sprachen 30 Zeugen, davon 17 Frauen. Danach haben wir Wirkungsstudien gemacht und festgestellt, dass viele Frauen erst mal alles geheim halten wollten - aber sie haben sich nach diesen im Fernsehen ausgestrahlten Anhörungen entschieden, öffentlich auszusagen. Das heißt, die Mentalitäten verändern sich, die Frauen werden ermutigt. Und es gab Frauen, die öffentlich ausgesagt haben und danach Anrufe von Polizisten bekommen haben. Die hatten selbst nicht diese Verbrechen begangen, aber sie entschuldigten sich für das, was Kollegen den Frauen angetan hatten."
Aber gerade Frauen haben nicht nur unter den Sicherheitskräften gelitten, sondern auch unter der Gesellschaft. Ibtihel Abdellatif kann viele Geschichten erzählen von Frauen, deren Familien sie nach einer Vergewaltigung oder nach der Rückkehr aus dem Gefängnis verachtet oder verstoßen haben. Sie wurden als Komplizinnen der Sicherheitskräfte gesehen, nicht als Opfer. Besonders berührend ist die Geschichte von Basma Balai, deren Vater ihr gesagt hatte, sie sei eine Schande für die Familie. Nach ihrer Zeugenaussage organisierten junge Leute eine Karawane zu ihrem Haus, um ihr Blumen und Geschenke zu bringen.
"Ihre Botschaft war: Wir entschuldigen uns im Namen des tunesischen Volkes. Denn als du in der Polizeistation gefoltert wurdest, wussten wir, was das Regime tat. Aber wir haben das Schweigen gewählt, wir haben den Kopf in den Sand gesteckt. Heute schämen wir uns. Wir fühlen, dass wir durch unser Schweigen Komplizen der Folterknechte waren."
Täter wagen sich wieder aus der Deckung
Dass sich die Täter selbst für ihr Vorgehen, für Folter und Vergewaltigung entschuldigen, ist die große Ausnahme geblieben. Im Gegenteil, mit der zunehmenden Kritik an der Wahrheitskommission hätten sich einige auch wieder aus der Deckung gewagt, erzählt Ibtihel Abdellatif:.
"Manche haben in den Medien geprahlt und behauptet, die Menschenrechtsverletzungen wären ein guter Kampf gewesen. Sie hätten den Staat verteidigt, das sei nötig gewesen. Die Folter haben sie zum Kampf erklärt. Das war eine Methode, die Opfer zu diskreditieren."
Ende Juni hat eine Polizeigewerkschaft der Wahrheitskommission vorgeworfen, die Sicherheitskräfte zu verleumden - und sie hat ihre Mitglieder dazu aufgerufen, nicht auf die Vorladung zu Gerichtsterminen zu reagieren.
Nicht nur daran sieht man, dass in Tunesien der Wille zur Aufarbeitung des Geschehenen schwindet. Im vergangenen Jahr wurde ein "Gesetz zur Versöhnung in der Verwaltung" verabschiedet, das eine Amnestie für Korruptionsdelikte von Beamten umfasst. Ein verheerender Effekt, findet Abdellatif:.
"Anstatt bei der Versöhnung zu helfen, hat es den Frust der Bevölkerung verstärkt. Es gibt Leute, die sagen: Ich bin ein armer Bürger und soll fünf Dinar Steuern zahlen; wenn ich das nicht kann, droht mir das Gefängnis. Währenddessen werden andere Leute, die in Korruptions- und Bestechungsaffären verwickelt waren, jetzt einfach amnestiert. Dieses Gesetz entlastet viele Minister, Botschafter und hohe Beamte - so etwas schützt nicht vor Wiederholung. Gerechtigkeit muss für alle gelten, keiner darf ausgenommen sein."
Politische Interessen stehen im Weg
Eigentlich war die Arbeit der Wahrheitskommission auf vier Jahre angelegt, mit der Option, sie um ein Jahr zu verlängern. Doch im März hat das Parlament über den Fortgang der Arbeiten abgestimmt - und beschlossen, dass die Wahrheitskommission ihre Arbeit bis zum 31. Mai dieses Jahres zu beenden habe. Viele Tunesier halten im Nachhinein das ganze Prozedere für rechtswidrig, unter anderem, weil nicht die nötige Mindestzahl an Abgeordneten bei der Abstimmung vertreten war.
Die Philosophin Zeineb Ben Said wurde selbst als linke Oppositionelle in den 70er Jahren unter Präsident Bourgiba gefoltert und hat vor der Wahrheitskommission ausgesagt. Sie weiß, wer dagegen gestimmt hat, deren Arbeit zu verlängern.
Die Philosophin Zeineb Ben Said wurde selbst als linke Oppositionelle in den 70er Jahren unter Präsident Bourgiba gefoltert und hat vor der Wahrheitskommission ausgesagt. Sie weiß, wer dagegen gestimmt hat, deren Arbeit zu verlängern.
"Manche fürchten, von der Übergangsjustiz betroffen zu sein - entweder wegen der Unterschlagung von Gütern oder wegen der Etablierung eines Terrorregimes. Rein politische Interessen haben dazu geführt, dass eine Mehrheit dafür gestimmt hat, diesen Prozess zu beenden."
Vertane Chance für die Demokratie
Gerade in der stärksten Regierungspartei Nidaa Tounes haben sich Anhänger Ben Alis gesammelt, die die Wahrheitskommission zum Schweigen bringen möchten. Erst in letzter Minute gab es noch ein Abkommen mit der Regierung, dass die Kommission immerhin bis Jahresende ihre Arbeit abschließen darf. Aber so manches Ministerium hat schon die Zusammenarbeit aufgekündigt, weiß Ibtihel Abdellatif.
"Gerade bekommen wir Geld aus dem Ausland zurück und geben den Tätern die Möglichkeit, ihr Gewissen zu erleichtern, sich mit dem Volk zu versöhnen und wenigstens ein Teil des veruntreuten Geldes zurückzugeben. Und da kommt der Minister für Staatseigentum und beendet die Zusammenarbeit mit der Wahrheitskommission. Zu einem Zeitpunkt, an dem es noch viele offene Fälle gibt, die Tunesien Milliarden Dinar zurückbringen könnten - und das in einer wirtschaftlich katastrophalen Situation. In wessen Interesse wird die Zusammenarbeit mit der Wahrheitskommission eingestellt?!"
Und es geht nicht nur darum, veruntreutes Geld wiederzubekommen oder Verantwortliche vor Gericht zu bringen, findet die Philosophin Zeineb Ben Said. In ihren Augen leistet die Wahrheitskommission einen entscheidenden Beitrag zum Aufbau der Demokratie.
"Es geht um Gerechtigkeit, nicht nur im Sinne der Rechtsprechung, sondern auch in der Entwicklung einer öffentlichen Meinung. Sie fragt nach Recht und Verteilung der Staatsgüter, nicht nur als juristisches Phänomen oder im Sinne politischer Entscheidungen, sondern als öffentlicher Prozess."
Kommissionsleiterin parteiisch?
Deshalb hatte Zeineb Ben Said auch dafür plädiert, Opferanhörungen im Fernsehen zu übertragen. Wie diese Anhörungen dann verlaufen sind, damit ist Mehrezia Labidi, Abgeordnete der sich muslimdemokratisch nennenden Ennahda-Partei, nicht glücklich:.
"Ich hätte mir gewünscht, dass diese öffentlichen Anhörungen besser vorbereitet werden. Das Leiden musste natürlich ausgedrückt werden. Aber es hätte eine klare Botschaft an die Schuldigen geben sollen, eine Einladung, um Verzeihung zu bitten. Und wenn man eine Person damit beauftragt, eine Nation zu versöhnen, dann muss diese Person versöhnlich sein. Sie muss die Fähigkeit haben, das Vertrauen der Opfer und der Schuldigen zu gewinnen. Damit sie zu ihr kommen und wissen, dass ihnen kein Unrecht getan wird und dass man ihnen die Tür der Verzeihung öffnet. Das hat man nicht getan. Ich habe Frau Ben Sedrine offen gesagt: 'Sie und Ihr Team haben den Aufgabenteil Wahrheit gut bearbeitet. Aber nicht den der Versöhnung.'"
Mehrezia Labidi ist längst nicht die einzige, die Kommissionsleiterin Sihem Ben Sedrine kritisiert. Der Menschenrechtlerin und Journalistin wird Parteilichkeit vorgeworfen, sie wolle die tunesische Geschichte umschreiben und zum Hass aufstacheln. Außerdem habe sie die Instanz schlecht geleitet und für mehrere Personalwechsel gesorgt. Als sie mit ihrem Diplomatenpass Anfang Juni verreisen wollte, erklärte man ihr am Flughafen, dass dieser Dienstpass nicht mehr gültig sei, da die Wahrheitskommission ja nach dem Parlamentsbeschluss ihre Arbeit Ende Mai beendet habe. In der tunesischen Zeitung "Le Temps" gab es dazu einen hämischen Kommentar.
"Sihem Ben Sedrine und ihre Clique haben bereits die Urteile des Verwaltungsgerichts ignoriert, illegalerweise versucht, die Archive aus dem Präsidentenpalast zu erhalten, die Unabhängigkeit Tunesiens infrage gestellt und viele andere saftige Affären veranstaltet. Sie wollen weiterhin nur ihren Willen durchsetzen angesichts einer Blockade, die in diesem Gesetz zur Übergangsjustiz voller Schwachstellen und Sperren begründet liegt."
"Wir wollen, dass sich das nicht wiederholt"
Eine Clique, die Affären sammelt und nur mit dem Kopf durch die Wand will? Auch wenn sie einige Ungeschicklichkeiten und Fehler einräumt, stellt Ibtihel Abdellatif ihre Arbeit bei der Wahrheitskommission ganz anders dar.
"Wir wollen nur eins: dass sich das nicht wiederholt. Es geht uns nicht um die Show oder den Medienscoop. Sondern darum, zu zeigen, dass das real war, dass das der Preis der Diktatur war. Es gibt Leute, die dem Regime Ben Alis hinterhertrauern. Es gibt neue Stimmen, die sagen, dass das Leben besser war. Natürlich gab es Leute, die die Diktatur damals nicht gestört hat, die in einer wirtschaftlich besseren Lage waren. Ihnen sage ich: Vielleicht konntest du damals Brot essen - aber ohne Würde. Und während du Brot gegessen hast, waren andere im Gefängnis."
Zum Beispiel Basma Chaker. Als 17Jährige war sie nach einer islamistischen Demonstration von ihrem eigenen Vater der Polizei ausgeliefert worden.
"Vier Straftaten haben sie mir zur Last gelegt: bewaffnete Versammlung, Sachbeschädigung, tätlicher Angriff, Zugehörigkeit zu einer illegalen Vereinigung. 18 Jahre alt wurde ich im Gefängnis."
Hoffen auf den Prozess - bislang vergeblich
Stundenlang erzählt Basma in einer Hotellobby unter Tränen von dem, was sie erlitten hat. Ihr Kopftuch nimmt sie dabei manchmal ab und knüllt es in ihren Händen zusammen. Dann legt sie es wieder über ihr dunkles Haar voller grauer Strähnen.
Die Prozesse, die die Wahrheitskommission nun bei - erst im März eingerichteten - Sonderkammern anstrengt, können nur exemplarisch sein. Basma Chaker hofft sehr, dass ihrer einer davon sein wird. Noch wartet sie auf ein ärztliches Gutachten, dass ihr die zahlreichen Gesundheitsschäden durch Folter und Haft bestätigt. Von der Arbeit der Wahrheitskommission aber sie ist enttäuscht.
"Sie haben noch nichts getan. Nur Gerede. Sie haben mich zur Ärztin geschickt, das war wie ein Verhör. Sie hat gefragt: 'Wie wusstest du, dass du vergewaltigt wurdest?' 'Vom Gefängnisarzt' - 'Hat er dir keine Bescheinigung gegeben?'"
Basma Chaker hatte gehofft, dass ihr Prozess einer der ersten würde, dass man ihr Leid endlich anerkennen würde, das doch ihr ganzes Leben zerstört hat - und nun geht es immer noch nicht los.
"Ich hätte gern gehabt, dass die Wahrheitskommission meinen Fall als Beispiel nimmt. Sie reden immer von der Frau, den Rechten der Frau, immer die Frau, die Frau, die Frau. Wo ist diese Frau? Ich stehe für die ganze Gesellschaft. Ich verkörpere die Gesellschaft im Bild von Basma. Wirklich."
Basma Chaker hat nur noch einen Wunsch: wegzukommen aus ihrem alten Leben, aus ihrer Stadt, aus diesem Land Tunesien, in dem so vieles sie an das erlittene Leid erinnert. Für andere mag die Aufarbeitung wichtig sein, sie wünscht sich im Moment vor allem, vergessen zu können. Ein Gerichtsprozess gegen ihre Peiniger wäre dennoch eine sehr späte Genugtuung für sie. Aber es ist unklar, ob die Wahrheitskommission vor dem Ende ihrer Arbeit im Dezember Basma Chakers Akte noch an ein Gericht übergeben wird.