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Udo Bullmann (SPD)
"Wir brauchen dringend eine weltweite Impfstrategie"

"Wenn wir nicht nur auf den eigenen Bauchnabel schauen, haben wir eine Chance das Virus möglichst schnell auszurotten", sagte der SPD-Politiker Udo Bullmann im Dlf. Die EU dürfe nicht nur die eigenen Interessen im Blick haben, kritisierte der langjährige Europaabgeordnete und forderte eine weltweite Impfstrategie.

Friedert Meurer im Gespräch mit Udo Bullmann |
Im Bild ist eine Dose mit dem Covid-19 Impfstoff von Astra Zeneca gehalten von einer Hand in einem Gummihandschuh zu sehen.
"Ich sagte, wir sind in einem Wettlauf gegen die Zeit, und je schneller wir durchimpfen können, je schneller wir eine Gesellschaft immun machen können, umso besser ist das für unsere Nachbarn und für alle anderen", sagte Udo Bullmann (imago / ImageLabz)
Geschlossene Läden, Restaurants, Schulen und Museen, keine Konzerte und kein Breitensport: Das Leben in Deutschland ist runtergefahren - seit November befindet sich das Land wegen der Corona-Pandemie zum zweiten Mal im Lockdown. Die Forderung nach mehr Impfstoff, gerade auch gegen die Mutationen von Corona-Viren wird immer lauter. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat gestern (17-02.2021) einen Aktionsplan vorgelegt. Eine neue Behörde soll es geben, mehr Forschungsgelder, schnellere Zulassungsverfahren für Impfstoffe. Udo Bullmann, langjähriger Europaabgeordneter und Europabeauftragter des SPD-Bundesvorstandes, sagte im Dlf: "Wir müssen dringend Tempo nachlegen, um Leben zu retten" und forderte eine globale Impfstrategie. Nur wenn wir jedem und jeder eine Chance geben, haben wir eine Chance, das Virus möglichst schnell auszuräumen. Denn das Virus werde nicht vor Grenzen halt machen ", sagte Bullmann.
Inhalt des Corona Selbsttests
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Meurer: Die EU war auf die Aufgabe, Impfstoffe zu besorgen, nicht gut vorbereitet, heißt es inzwischen. Ist das, was gestern zu hören war, der richtige Schritt nach vorne?
Bullmann: Wir müssen zunächst mal sagen, wir sind in einem tödlichen Wettlauf gegen die Zeit. Mutationen erreichen uns aus Großbritannien, aus Südafrika, und wir sehen, dass trotz unserer Lockdown-Bemühungen es auch Mitte März wieder zu neuen Anstiegen der Infektionszahlen kommen kann, wenn wir nicht schnell genug arbeiten. Deswegen kritisieren wir die ganze Zeit diese unverantwortliche Langsamkeit von Frau von der Leyen und auch von Herrn Spahn, die ja Leben kostet in einer solchen Situation. Wir freuen uns über jeden Schritt nach vorne, aber wir fragen gleichzeitig, warum mussten wir ein Jahr warten, bis die Schritte unternommen werden.

Vorwurf: Spahn und von der Leyen wollten möglichst wenig investieren

Meurer: Ist das wirklich die Schuld der EU-Kommission? Haben da nicht die Nationalstaaten sich untereinander so lange blockiert, dass dann viel Zeit verspielt wurde?
Bullmann: Ich glaube, dass man in Tateinheit langsam war. Jens Spahn und Frau von der Leyen waren wie die Pfennigfuchser darauf aus, möglichst wenig Geld zu investieren, möglichst langsam und möglichst wenig zu bestellen. Wir sehen ja, Joe Biden packt es an in den USA. Er will bis zum Juli jeden geimpft haben. Ich glaube, wir müssen dringend im Tempo nachlegen, um Leben zu retten.
Meurer: Sie spreche, ich sage mal, ziemlich geharnischte Worte. Tateinheit haben Sie eben benutzt. Haben Sie denn oder andere im Europaparlament letztes Jahr im Sommer Druck gemacht und den Finger draufgehalten?
Bullmann: Wir wissen beispielsweise, dass die BioNTech-Moderna-Impfstoffe vorne liegen, seitdem Fachmagazine im August davon gesprochen haben, und andere Länder haben ja deutlich schneller bestellt. Wir haben mittlerweile weltweit über zwei Millionen Tote und Antonio Guterres, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, hat erst gestern wieder darauf hingewiesen, dass wir dringend eine globale Impfstrategie benötigen, weil ansonsten die finanzschwachen Länder sich die Impfstoffe nicht leisten können. Es gibt zu wenig Impfstoffe auf dem globalen Markt und auch deswegen kommen Mutationen ständig wieder zu uns in die europäischen Länder. Das ist unendlich gefährlich und wir brauchen dringend eine weltweite solidarische Impfstrategie.

Bullmann fordert globale Impfplan-Logik

Meurer: Sind wir selbst hier zu sehr auf die Frage fixiert, kommt der Impfstoff im April oder im Juni oder im September, und achten zu wenig auf Entwicklungs- und Schwellenländer?
Bullmann: Das Virus wird vor Grenzen nicht Halt machen. Das sehen wir in Österreich in der Entwicklung in Tirol, das sehen wir in anderen Ländern. Jens Spahn hat selber gesagt, der britische Virus wird Deutschland übernehmen, und der südafrikanische ist noch sehr viel gefährlicher. Deswegen: Nur wenn wir jedem und jeder eine Chance geben, sich impfen zu lassen, wenn wir eine globale Impfplan-Logik entwickeln und nicht nur auf den eigenen Bauchnabel schauen, haben wir eine Chance, das Virus möglichst schnell auszuräumen.
Meurer: Die EU und Frau von der Leyen haben jetzt über zwei Milliarden Impfdosen bestellt. Das sind, glaube ich, vier- oder fünfmal so viele wie die Einwohnerzahl der gesamten EU. Das heißt, Überschüssiges kann und soll an die Dritte Welt gehen. Ist das ein guter Ansatz?
Bullmann: Das ist auf jeden Fall ein richtiger Schritt. Die Frage ist, wann kommen diese Impfdosen an. Ich sagte, wir sind in einem Wettlauf gegen die Zeit, und je schneller wir durchimpfen können, je schneller wir eine Gesellschaft immun machen können, umso besser ist das für unsere Nachbarn und für alle anderen. Natürlich müssen wir jetzt helfen, kostengünstige Lösungen auch in der Dritten Welt zu finden. Zum Teil haben die Hersteller dort horrende Preise gefordert, weit oberhalb des Preises, den die EU bezahlt. So kann es nicht weitergehen.

EU habe zu wenig Impfstoff eingefordert

Meurer: Das war ja auch ein Grund, warum es länger gedauert hat, weil die EU nicht bereit war, so hohe Preise zu bezahlen.
Bullmann: Die EU hat auch insgesamt zu wenig eingefordert. Es gab Angebote von BioNTech, sehr viel mehr Dosen sehr viel schneller zu liefern, und das ist in einer Marktwirtschaft Angebot und Nachfrage. Wenn die Nachfrage nicht schnell genug kommt und nicht groß genug ist, dann werden die Kapazitäten zu langsam ausgebaut. Insofern haben wir uns selber keinen Gefallen getan, indem Jens Spahn und Ursula von der Leyen dieses langsame Tempo vorgelegt haben.
Meurer: Noch mal die Frage von vorhin. Muss sich das Europaparlament da auch nicht selbst Asche übers Haupt streuen, monatelang das nur beobachtet zu haben?
Bullmann: Nein, das glaube ich nicht. Das Europaparlament hat (insbesondere meine Fraktion) schon im letzten Jahr die Kommission aufgefordert, eine globale Gesundheitsstrategie zu entwickeln, weil wir wissen, dass die reichen Industrieländer des Nordens vorangehen müssen, um zu helfen, damit wir diese Pandemie, aber auch die nächsten, die kommen werden, schnell besiegen können.
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Meurer: Aber haben Sie auch darauf geachtet, dass die EU schnell bestellt?
Bullmann: Die Kommission hat sich nicht in die Karten schauen lassen in ihrer Bestellpolitik. Sie sehen ja, dass wir bis heute darum ringen, die Verträge öffentlich zu machen. Daraus muss sie lernen. Sie muss eine andere, auch durchschaubare, für die Parlamentarier durchschaubare Politik an den Tag legen und sie muss endlich ernst nehmen, was sie immer sagt, sie will ein globaler Akteur sein. Davon haben wir bisher nicht viel gesehen.
Meurer: Wird das mit der neuen Behörde HERA jetzt besser?
Bullmann: Das ist ein guter Ansatz. Die neue Behörde will Produktionsentwicklung begleiten. Nach einem Jahr würde ich sagen, ja, das hätten wir gerne früher gehabt. Wir unterstützen das, aber es braucht einen globalen Ansatz. Man darf sich nicht bauchnabelfixiert nur in Europa verstecken. Wir müssen mit den USA, mit Kanada, mit anderen dafür sorgen, dass es weltweit eine Impftaktik gibt, dass wir jetzt das Virus möglichst schnell ausrotten.
Meurer: Ist es da der richtige Weg? Halten Sie das immer noch für richtig, dass die EU zentral bestellt?
Bullmann: Das war richtig. Es geht kein Weg daran vorbei, dass man das gemeinschaftlich tut. Das ist nicht die Kritik, ganz im Gegenteil. Es war richtig. Aber es hätte entschiedener vorangetrieben werden müssen. Wir haben der Europäischen Union, wir haben den Mitgliedsstaaten 750 Milliarden Wiederaufbauprogramm zur Verfügung gestellt. Das was bisher für Impfstoffe eingesetzt wurde, ist unendlich gering im Vergleich zu der Bedrohung, die es weltweit gibt.

Ältere Bevölkerung mit den moderneren Impfstoffen versorgen

Meurer: Was sagt man, Herr Bullmann – wir erreichen Sie in Brüssel -, in Brüssel unter den Abgeordneten über die Aversionen aus Deutschland gegen AstraZeneca-Impfstoff?
Bullmann: Sie sind dort berechtigt, wo es um ältere Menschen geht. Wir wissen, bei den über 65-Jährigen hilft der Impfstoff nicht in gleicher Weise wie Moderna und BioNTech. Ansonsten sagen die Fachleute, es ist ein guter Impfstoff, den man guten Gewissens verimpfen kann. Ich bin kein Mediziner, ich bin kein Virologe, ich verlasse mich auf die Daten. Aber wir sollten dafür sorgen, dass die betagte und die ältere Bevölkerung mit den moderneren Impfstoffen versorgt wird.
Meurer: Die Arzneimittel-Agentur der EU hat ja gesagt, auch über 65jährige können damit geimpft werden, keine Einschränkung. Ist das ein deutscher Sonderweg?
Bullmann: Ja. Ich glaube, dass es Indizien gibt, dass dort die Schutzquote geringer ist als bei den moderneren Impfstoffen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.