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"Übergabe in Verantwortung"

Der CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe warnt vor einem überstürzten Truppenabzug aus Afghanistan, durch den die Taliban wieder an die Macht kommen könnten. Gerade die jüngsten Anschläge zeigten, dass sie ihre Angriffe immer besser koordinierten, so Gröhe.

Moderation: Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr wird gefährlicher und er wird in Deutschland immer umstrittener. Vier Soldaten sind am Donnerstag bei einem Gefecht in der Nähe von Kundus ums Leben gekommen. Die Zahl der getöteten deutschen Soldaten erhöht sich damit auf 43. Gleichzeitig sind immer mehr Deutsche der Meinung, dass sich die Bundeswehr so schnell wie möglich aus Afghanistan zurückziehen sollte. Zwei Drittel aller Bundesbürger vertreten diese Ansicht inzwischen. Es ist ein schwieriger Spagat, nicht nur für die Bundeswehr, sondern auch für alle Parteien, die diesen Einsatz unterstützen. Ich hatte vor dieser Sendung Gelegenheit, mit Hermann Gröhe zu sprechen, dem CDU-Generalsekretär, und ich habe ihn zuerst gefragt, ob die Bundeswehr beim Krieg in Afghanistan jetzt in eine neue Phase tritt.

    Hermann Gröhe: Wir spüren, dass die Angriffe der Taliban, offenkundig auch unterstützt von Terroristen aus benachbarten Ländern, an Heftigkeit und auch an Planung zugenommen haben, dass es also weniger Einzeltaten, sondern offenkundig auch stärker miteinander abgestimmte Aktivitäten sind. Insofern hat sich die Lage, ist schon ernster geworden. Und es ist ganz wichtig, dass der Verteidigungsminister sich selbst vor Ort ein Bild macht, um einerseits in der schwierigen Lage bei den Soldatinnen und Soldaten zu sein, um aber andererseits auch jetzt gemeinsam mit Kommandeuren vor Ort über Ausrüstungsstrategie, Ausbildung et cetera zu werden. Es ist eine große Herausforderung, vor der wir stehen.

    Armbrüster: Würden Sie denn auch von Krieg sprechen, den wir in Afghanistan führen?

    Gröhe: Also hier ist ja immer unterteilt worden sozusagen eine völkerrechtliche Betrachtungsweise von dem Erleben vor Ort. Und das Erleben von Soldaten in Dauergefechten ist das Erleben von Krieg, und das ist schon eine erschütternde Realität.

    Armbrüster: Wenn wir jetzt in diese neue Phase eintreten, so, wie Sie sie auch beschrieben haben, heißt das, wir müssen uns auch daran gewöhnen, dass bei uns regelmäßig möglicherweise in Abstand von nur wenigen Tagen Särge mit toten Soldaten ankommen?

    Gröhe: Gewöhnen darf man sich an solche schrecklichen Ereignisse nie, weil jedes Leben einer jungen Frau, eines jungen Mannes, das dort ausgelöscht wird, ist eine schmerzliche Lücke, ist ein Leben eines Menschen zu viel, das zerstört wird durch die terroristischen Attacken. Nein, gewöhnen niemals, auch immer wieder uns dadurch herausgefordert fühlen, uns zu fragen, warum sind wir da. Ich glaube, es ist richtig, dass wir da sind. Ich befürchte, es werden nicht die letzten schrecklichen Nachrichten gewesen sein, aber gewöhnen kann man sich an so was nie.

    Armbrüster: Wie lange kann Deutschland denn diesen Krieg noch mitmachen?

    Gröhe: Das Ziel ist ja gerade Übergabe in Verantwortung. Eine Flucht würde nicht nur Afghanistan dem Terrorismus anheimfallen lassen, sondern auch unsere Sicherheitslage in Deutschland, in Europa, in der westlichen Welt insgesamt bedrohen, deswegen kann es keine Flucht geben. Aber Übergabe in Verantwortung ist das Ziel, deswegen ja auch der starke gemeinsame Einsatz mit afghanischen Sicherheitskräften – wie wir sehen, mit durchaus gewachsener Gefahr. Ziel muss es sein, dass die afghanische Regierung wirklich baldmöglichst für die Sicherheit im eigenen Land sorgen kann, damit unsere Jungs nach Hause können.

    Armbrüster: Übergabe in Verantwortung, das ist natürlich ein sehr schönes Wort. Die USA denken da sehr viel offensiver über einen Rückzug nach. Obama hat angekündigt, 2011 soll damit begonnen werden. Müssen wir nicht eigentlich in Deutschland auch viel stärker über Rückzugsszenarien nachdenken?

    Gröhe: Zunächst hat Präsident Obama eine massive Truppenaufstockung verfügt und gesagt, die zusätzlich nach Afghanistan entsandten Truppen, mit deren Abzug müsste dann langsam begonnen werden. Natürlich haben wir in der Anlage der Strategie auch in der massiven Förderung des zivilen Aufbaus Arbeitsplatzperspektiven, Gesundheitsversorgung, Bildung, das Ziel, so schnell wie möglich eine sich selbst tragende Situation zu erreichen, um dann verantwortungsvoll gehen zu können. Aber es wäre falsch, mit einem festen Abzugsdatum die Terroristen, von denen wir wissen, dass sie auch die Medienlage, die politische Diskussionslage in Deutschland, in Europa genau verfolgen, gleichsam mit einem Datum zu versehen, von dem sie dann glauben, aha, so lange müssen wir durchhalten, dann gehört die Situation uns.

    Armbrüster: Brauchen wir denn möglicherweise ein neues Mandat, so wie es die SPD fordert?

    Gröhe: Also die SPD hat bisher die Forderung nicht erhoben, sondern das in den Raum gestellt. Ob die unterschiedliche Begrifflichkeit dazu führt – aus meiner Sicht ist die Rechtslage sowohl international im Hinblick auf die dort vorliegenden Beschlüsse als auch im Hinblick auf die Bundestagsbeschlussfassung eindeutig.

    Armbrüster: Sie hören die "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Wir sprechen mit Hermann Gröhe, dem Generalsekretär der CDU. Herr Gröhe, wie kommen Sie damit zurecht, dass sich die CDU immer mehr zu einer 30-Prozent-Partei entwickelt?

    Gröhe: Mir muss das Ansporn sein, wie uns allen, denn wir wollen uns auch weiterhin als die starke, als die wertgebundene und moderne Volkspartei positionieren. Bei der Bundestagswahl waren 33,8 Prozent der Zweitstimmen nicht das, was wir erreichen wollen, das war zu wenig, aber wir waren bei 40 Prozent fast der Erststimmen. Also wir arbeiten hart daran, dass wir auch wieder mehr Zustimmung gewinnen, aber ohne Zweifel sind wir inzwischen fast europaweit eine der wenigen noch intakten Volksparteien.

    Armbrüster: Heißt das, Sie können sich langfristig daran gewöhnen, dass die CDU irgendwo zwischen 30 und 35 Prozent laviert?

    Gröhe: Nein, daran kann ich mich nicht gewöhnen, das ist ja auch regional sehr unterschiedlich. Es will aber immer wieder neu erarbeitet werden. Es gibt immer weniger Hochburgen, in denen es selbstverständlich ist, dass wir super Ergebnisse einfahren, umgekehrt gibt es einen Oberbürgermeister der CDU in Duisburg, das hätte man sich vor Jahren auch nicht vorstellen können. Das heißt, es gibt immer weniger Stammlande, immer wieder Notwendigkeiten, neu sich zu orientieren. Und für mich ist das Ziel, an dem wir uns orientieren, das Erststimmenergebnis bei der letzten Bundestagswahl. Wir wollen also auch wieder 40-Prozent-Ergebnisse einfahren. Aber das ist schwerer geworden.

    Armbrüster: Könnten diese 30 Prozent oder diese 33 Prozent, je nachdem, welche Umfragen man sieht, könnte das auch daran liegen, dass Sie sich politisch immer häufiger die Butter vom Brot nehmen lassen von ihren beiden kleinen Koalitionspartnern?

    Gröhe: Nein, und im Übrigen erreichen wir das deutschlandweit erforderliche Ergebnis auch nur mit einer starken CSU. Also insofern, bei manchem geschwisterlichen Streit ...

    Armbrüster: Aber nicht mit einer FDP, nehme ich an?

    Gröhe: Nein, mit der FDP zusammen sind wir Kooperationspartner, aber durchaus auch immer wieder im Wettbewerb, aber die Koalition muss gemeinsam Erfolg haben. Wir sind in den letzten Umfragen beide wieder leicht angestiegen, das ist gut, dass es nicht nur einen Austausch untereinander gibt. Beide müssen für sich um neue Zustimmung werben. Und da hat uns der Koalitionsstreit zu Beginn des Jahres nicht gut getan, der tut uns seit vier Wochen gut, dass wir uns endlich aufs gemeinsame Arbeiten konzentrieren.

    Armbrüster: Hat es Ihnen dann gefallen, dass die FDP in dieser Woche umgefallen ist bei ihren Steuerplänen?

    Gröhe: Umfallen würde ich das nicht nennen. Ich freue mich, dass sie sich in die richtige Richtung bewegt im Sinne des Koalitionsvertrages. Es durfte vorher nicht der Eindruck entstehen, als sei der eine für die Entlastung und der andere fürs Sparen. Wir haben als CDU immer betont, der Koalitionsvertrag ist ein Gesamtkunstwerk, wir stehen gemeinsam in der Verantwortung – Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, wie eingetreten zum 1. Januar dieses Jahres, und Sparen, Haushalt konsolidieren, aus der Krise heraus zusammenzubringen. Und da hat sich die FDP jetzt in eine Richtung bewegt, von der ich sage, da können wir uns sicher aufeinander zu bewegen und verständigen. Allerdings sage ich auch, es ist jetzt zu früh, um das Volumen zukünftiger Entlastungen, die wir wollen, festzulegen.

    Armbrüster: Hermann Gröhe, Generalsekretär der CDU, hier bei uns im Deutschlandfunk, vielen Dank für das Gespräch!