Archiv

Ukraine-Konflikt
"Russland muss aktiv werden"

Ungeachtet der Kämpfe in der Ostukraine hat sich der CDU-Europapolitiker Elmar Brok für Verhandlungen mit den Separatisten ausgesprochen. Es sei möglich, mit einem politischen Arm der Aktivisten zu sprechen, soweit es einen geben sollte, sagte Brok im Deutschlandfunk.

Elmar Brok im Gespräch mit Peter Kapern | 27.05.2014
    Elmar Brok: Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments.
    Elmar Brok: Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments. (dpa/picture alliance/epa/Yoan Valat)
    Der Vorsitzende im Auswärtigen Ausschuss des EU-Parlaments, Brok, hat Russland aufgerufen, bei der Vermittlung von Gesprächen zwischen dem neuen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und den Aktivisten im Osten des Landes zu helfen. Russland müsse Brücken zur Befriedung des Konflikts bauen, sagte Brok im Deutschlandfunk. Bei den Aktivisten im Osten des Landes handele es sich nicht ausschließlich um Freischäler-Truppen. "Es gibt auch Leute, die einen politischen Überblick haben", sagte Brok. Vielleicht gebe es Möglichkeiten, mit einem politischen Arm der Aktivisten zu sprechen, soweit es einen geben sollte.
    Der Druck auf Moskau sei größer geworden, da Poroschenko durch die Wahl unzweifelhaft als Präsident legitimiert sei. "Er ist klar demokratisch gewählt worden", erklärte Brok. Es gebe kein Alibi, nicht mit ihm zu reden. Wenn Moskau das Ergebnis der Wahl anerkenne, müsse es im nächsten Schritt auch Druck auf die Separatisten ausüben, dass sie nicht weiter militärisch tätig seien, sagte Brok. "Russland muss jetzt aktiv werden."

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Bei uns am Telefon ist nun Elmar Brok von der CDU, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament. Guten Morgen!
    Elmar Brok: Guten Morgen, Herr Kapern.
    Kapern: Herr Brok, der russische Außenminister Sergei Lawrow sagt, Moskau sei zum Dialog mit dem neuen ukrainischen Präsidenten Poroschenko bereit. Gleichzeitig aber gibt es mahnende Töne aus Moskau mit Blick auf die jetzt wieder eskalierenden Kämpfe im Osten der Ukraine. Wo stehen wir am Tag zwei nach der Präsidentschaftswahl in der Ukraine?
    Brok: Nun, ich glaube, dass der Druck auf Moskau, jetzt zu verhandeln, größer geworden ist, da unzweifelhaft der neue Präsident legitimiert ist. Er ist klar demokratisch gewählt worden und aus diesem Grunde heraus gibt es kein Alibi, nicht mit ihm zu reden. Man kann auch nicht die Vorwürfe machen, dass er sich an die Macht geputscht habe, wie man das fälschlicherweise gegenüber der Regierung in Kiew gesagt hat. Aber man muss sagen, dass die Glaubwürdigkeit Russlands hier jetzt geprüft werden muss. Wenn man das Ergebnis anerkennt, soll man auch dafür Sorge tragen und Druck ausüben, dass dort die Separatisten nicht weiter militärisch tätig werden. Der Angriff auf den Flughafen von Donezk zeigt ja, dass dort Aktivitäten da sind. Und nur aufzufordern, dass die Armee nichts machen soll, dass der Staat sein Gewaltmonopol aufgibt und die anderen weitermachen können, ohne jemals von Russland aufgefordert zu werden, nichts zu tun, scheint mir, glaube ich, jetzt die Glaubwürdigkeitslücke Russlands zu sein.
    Kapern: Sie gehen also fest davon aus, dass die militanten Separatisten, die da jetzt in Donezk beispielsweise die Situation wieder verschärft haben durch die Erstürmung des Flughafens, dass die direkt aus Moskau gesteuert werden?
    Brok: Das will ich nicht in jedem Einzelfall sagen. Aber ich kenne kein einziges Wort Moskaus, das diese Leute auffordert aufzuhören, und ich glaube, das ist der entscheidende Punkt. Russland muss jetzt aktiv werden und deutlich sagen, dass diese prorussischen Kräfte sich nicht weiter so verhalten. Das ist, glaube ich, der Glaubwürdigkeitstext, der in den nächsten Tagen und Stunden passieren muss.
    Kapern: Sie haben gesagt, auf Moskau müsse in diesem Sinne Druck ausgeübt werden. Wie genau? Noch mehr Sanktionen?
    Brok: Nein, nein! Ich meine jetzt erst mal, Russland sollte Druck auf die Separatisten ausüben. Mit Sanktionen sollte man erst vorangehen, wenn dies in Russland nicht wirklich weiter vorangeht, was die Fragen der friedlichen Lösung des Konfliktes angeht. Deswegen meine ich, dass jetzt eine Chance besteht, die Aussage von Lawrow, wir respektieren das Ergebnis durch Putin, gibt jetzt eine Chance. Die sollte in den nächsten Tagen genutzt werden. Und ich glaube, wir sollten auch den neuen Präsidenten Poroschenko darin unterstützen, dass er bereit ist zu verhandeln auch mit Vertretern aus dem Osten, nicht mit denen, die selbst militärisch tätig sind, aber Russland sollte hilfreich sein, dass die politischen Kontakte mit denjenigen, die das politisch zu verantworten haben, jetzt schnell auch mit Kiew hergestellt werden.
    Kapern: Wer genau soll da der Gesprächspartner von Poroschenko in der Ukraine sein?
    Brok: Es sollten möglichst alle Kräfte sein. Es geht ja darum, das Land auch so zu gestalten, dass die Fragen, die er mit der russischen Sprache zum Ausdruck gebracht hat, vielleicht auch mit einer Regionalisierung in einem klassischen Sinne, wo Sprache und Kultur und Erziehung ein bisschen dezentraler geregelt werden, ob das jetzt ein voller Föderalismus ist oder nicht, aber ich glaube, dass vielleicht es Möglichkeiten gibt, wie man auch Russland angedeutet bekommt, dass man mit einem politischen Arm der Separatisten redet, wenn es ihn geben sollte. Ich glaube, wir müssen auf der Art und Weise helfen, dass Poroschenko einen Ansatzpunkt findet, hier Gespräche zu führen, um einen friedlichen Dialog auch mit der Seite zustande zu bringen.
    Kapern: Nun sind Sie bei den entscheidenden Gesprächen über die Ukraine sehr häufig dabei, Herr Brok. Haben Sie den Eindruck, dass es da tatsächlich so etwas wie ein politisches Zentrum der Separatisten gibt, mit dem man sprechen könnte? Wer wären die Leute?
    Brok: Ich kenne sie nicht im Einzelnen. Aber ich glaube, dass es dennoch solche Gruppen gibt, die hier Gespräche führen könnten. Jedenfalls sollte man so nah wie möglich an sie herankommen. Und es gibt sicherlich Leute, die hier einen politischen Überblick haben. Es sind ja nicht alles einzelne, völlig unabhängige Freischärler-Truppen, wie der Eindruck erweckt wird, und wir wissen auch, dass diese Truppen auch aus Russen bestehen, also die Separatisten auch aus Russen bestehen, dass sie von Russland ausgebildet, ausgerüstet sind, und dass aus diesem Grunde heraus, glaube ich, Russland hier die entsprechenden Brücken bauen muss, damit die Befriedung des Landes stattfinden kann.
    Kapern: Sie haben eben angedeutet, dass Petro Poroschenko den Menschen im Osten der Ukraine eine Regionalisierung anbieten solle, möglicherweise gar eine Föderalisierung. Aber genau die hat das Parlament in Kiew noch letzte Woche mehrheitlich ausgeschlossen, ebenso wie eine Direktwahl der Gouverneure. Was also hat Petro Poroschenko in der Tat den Menschen im Osten der Ukraine, die mit der Kiewer Regierung in den letzten Monaten unzufrieden waren, überhaupt anzubieten?
    Brok: Das muss das Ergebnis eines Verfassungsprozesses sein, an dem sich eben alle Teile der Ukraine beteiligen können. Wir können nicht vorschreiben, wie das Land organisiert wird. Das ist eine Angelegenheit der Ukrainer. Es darf auch nicht sein, dass dort etwas unter Föderalismus verstanden wird, was zu Recht dann abgelehnt würde von Kiew aus, dass dieses in zentralen Fragen eines Staates letztlich zur Zersplitterung des Staates führt, sondern die Fragen von äußerer und innerer Sicherheit, der Finanzpolitik, die wesentlichen Fragen der Wirtschaftspolitik müssen in zentraler Hand bleiben. Aber auf darunter liegenden Ebenen gibt es ja eine Vielzahl von Möglichkeiten. Man sieht dies in Ländern wie Deutschland, Amerika und andere, die dezentral organisiert sind. Der Föderalismus darf nicht in einer de facto Zerteilung des Staates sein.
    Kapern: Herr Brok, noch kurz zu einem anderen Thema. Beim EU-Gipfel heute soll es auch um die Besetzung vakanter Spitzenposten in der EU gehen, insbesondere um die Besetzung des Chefpostens bei der EU-Kommission. Wir sind um 7:15 Uhr verabredet mit dem Chef der Sozialdemokraten im Europaparlament, mit Hannes Swoboda. Was würden Sie ihm jetzt als Botschaft mit auf den Weg geben im Feilschen um diesen Posten, wo ja Jean-Claude Juncker die Mehrheit gewonnen hat und Martin Schulz nur auf Platz zwei gelandet ist?
    Brok: Die Sozialdemokraten sollten sich daran halten, zu bestätigen, dass Jean-Claude Juncker der Gewinner ist, und sie sollten die Möglichkeit eröffnen, dass er zum Kommissionspräsidenten gewählt wird. Ich finde, dass die Darlegung des österreichischen Bundeskanzlers Faymann, jetzt Juncker dieses Amt anzutragen, der richtige Weg ist. Ich hoffe, dass alle Sozialdemokraten dem entsprechend folgen. Dabei ist es natürlich völlig klar, da ja die Frage des europäischen Außenministers, wenn ich den Begriff so benutzen darf, oder des Vorsitzenden des Europäischen Rates auch letztlich natürlich mit verhandelt sein müssen, denn es ist völlig klar, dass die Sozialdemokraten auch eine Position bekommen müssen. Wir können nicht Europa unicolor führen lassen und ich glaube, dass aus diesem Grunde heraus man diesen Weg gehen sollte. Aber der Kommissionspräsident muss Juncker sein, denn Herr Juncker hat durch Wählerwillen einen Vorsprung vor Martin Schulz bekommen.
    Kapern: Elmar Brok, der CDU-Europaabgeordnete, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Brok, danke für das Gespräch, schönen Tag nach Brüssel.
    Brok: Ich danke auch, Herr Kapern.
    Brok, Elmar (CDU): geboren 1946 in Verl, Nordrhein-Westfalen. Brok ist seit 2012 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Europaparlaments. Das gleiche Amt hatte er bereits von 1999 bis 2007 inne. Der studierte Jurist und Politologe ist zudem außenpolitischer Koordinator der Europäischen Volkspartei (EVP) und Präsident der Europäischen Union Christlich-Demokratischer Arbeitnehmer (EUCDA)
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.