Aydin Engin ist seit 47 Jahren Journalist. Wenn er nicht gerade in Frankfurt am Main im Exil lebte oder im Gefängnis saß, schrieb er für liberale türkische Tageszeitungen. Allein 14 Jahre für die "Cumhuriyet", zeitweise war er auch deren Chefredakteur. Vergangene Woche veröffentliche Engin seine letzte Kolumne in der ältesten Zeitung der Türkei. Was dort am Freitag geschah, könne man durchaus als Putsch bezeichnen, meint der 77-Jährige: "Obwohl nicht mit Waffen, aber: Putsch ist Putsch"
Anders als die meisten Medien ist die Cumhuriyet als Stiftung organisiert. Das hat sie lange vor politischem Einfluss bewahrt. Vor vier Jahren wurde ein neuer Stiftungsvorstand gewählt. Ein unterlegener Kandidat zog gegen das Wahlergebnis vor Gericht und bekam Recht. Bei der Neuwahl am Freitag gewann ein Lager, das Engin als nationalistisch und eher Erdogan-treu bezeichnet. Engins Kollegin Berivan Aydin gehört mit 29-Jahren zur jüngeren Generation der "Cumhuriyet"-Journalisten. Sie ist sicher, dass die Regierung ihre Finger im Spiel hatte:
"Die Regierung hat Einfluss genommen. Sie haben dafür gesorgt, dass es auch Stimmen für den gegenwärtigen Vorstand gab - aber eben nicht genug. Diese Leute sind dann alle zurückgetreten."
Letzte Bastion des unabhängigen Journalismus
18 Journalisten wurden entlassen oder kündigten von sich aus. Auch Aydin Engin. Er erinnert an eine der letzten großen Enthüllungsgeschichten der "Cumhuriyet". 2015 veröffentlichte die Zeitung Dokumente, die beweisen sollten, dass der türkische Geheimdienst Waffen an islamistische Milizen in Syrien liefert. Erdogan sei damals sehr verärgert gewesen:
"Damals hat Erdogan gesagt: So oder so, 'Cumhuriyet' muss für diese Straftat eine Rache finden, Vergeltung finden. Diese Operation ist auch Erdogans Vergeltung."
In den folgenden Jahren wurde elf "Cumhuriyet"-Journalisten der Prozess gemacht. Engin wurde zu einer Haftstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Bis zum Berufungsverfahren sind die Journalisten frei. Nicht auszuschließen, dass die ins Gefängnis müssen, für eine Zeitung, die einmal regierungskritisch war.
Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen in Deutschland beobachtet die türkische Presselandschaft sehr genau. Für ihn ist klar: "'Cumhuriyet' ist sozusagen eine letzte Bastion des unabhängigen Journalismus' gewesen. und diese Bastion wird es mit dem neuen Stiftungsvorstand ganz sicher jetzt so nicht mehr geben."
Verlust für die gesamte Türkei
Was der Umbruch bei der "Cumhuriyet" bedeutet, beschreibt Berivan Aydin nicht als das generelle Ende der Pressefreiheit, aber als Verlust für die gesamte Türkei: "Es gibt kleine Zeitungen wie Evrensel und Birgün, die einen guten Job machen. Aber 'Cumhuriyet' war bisher am weitesten verbreitet, mit einer Auflage von etwa 40.000."
Die "Cumhuriyet" sei auch stets eine gute Schule für junge Journalisten gewesen, sagt die 29-Jährige. 92 Prozent der türkischen Printmedien gelten als regierungsnah, hatte der türkische Journalistenverband herausgefunden. Was bleibt ist, die Exilmedien zu stärken, meint Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen:
"Aus Deutschland, glaube ich, kann man das tun, das wir vielleicht schauen, die Exilmedien, die es ja gibt, auch noch hier stärken, in Deutschland: 'Özgürüz', 'taz.gazete'."
An Druck auf Ankara von Seiten der deutschen Regierung glaubt Berivan Aydin jedenfalls nicht. "Nein, Deutschland und die Türkei haben sehr gute Handelsbeziehungen, auch im Rüstungsbereich. Ich denke, das bestimmt die Diplomatie, nicht die Menschenrechte. Demokratie geht von den Menschen aus, nicht von fremden Regierungen."
Gerade junge kritische Journalisten haben Grund zum Schwarzsehen, meint der 77-jährige Aydin Engin: "Ich bin zu alt. Ich kann mit meiner Rente so oder so leben. Aber die jungen Journalisten erleben wirklich schwere Zeiten."