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"Umso dichter Sie am Menschen sind, umso weniger verdienen Sie"

Ein Honorarplus von elf Prozent hatten die Ärzte gefordert, 0,9 Prozent lautete das Angebot der Krankenkassen. Seitdem schwelt der Honorarstreit weiter – auch innerhalb der Ärzteschaft. Hausärzteverbandschef Ulrich Weigelt verlangt eine grundlegend neue, "klare Honorarstruktur".

Ulrich Weigeldt im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: So etwas wie Waffenruhe herrscht gerade im Streit zwischen Ärzten und Krankenkassen um höhere Honorare. Ein Moratorium nennen es die über 30 Berufsverbände der Mediziner, die sich zu einer Allianz zusammengeschlossen haben. Empört waren sie, als die Kassen ein Plus von 0,9 Prozent angeboten haben, wo sie doch elf gefordert hatten. Und auch ein inzwischen dreimal höheres Angebot der Kassen lehnen die Ärzte ab, sie drohen mit einem bundesweiten Protesttag, sollten die Verhandlungen nächste Woche scheitern. Der schwelende Honorarstreit, ein zentrales Thema auch auf dem Verbandstreffen der Hausärzte heute in Berlin. Deren Bundesvorsitzenden begrüße ich jetzt am Telefon. Einen guten Morgen, Ulrich Weigeldt!

    Ulrich Weigeldt: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Herr Weigeldt, im laufenden Streit fällt ja auf, dass sich die Hausärzte mit Drohungen zurückgehalten haben, dass sie sogar abgeraten haben, Praxen zu schließen. Kann man daraus ableiten, dass die Hausärzte die Forderungen von elf Prozent für weit überzogen halten?

    Weigeldt: Das Problem ist leider vielschichtiger. Das kommt nämlich ganz darauf an, das ist ja die beliebte Antwort dann. Wir haben einen eigenen Forderungskatalog jetzt eingebracht, vor zwei Wochen, und hoffen, dass der da auch in die Verhandlungen eingebracht wird, der sagt, wir müssen ausgleichen. Wir haben viel niedrigere Honorare bei großer Arbeitslast in beispielsweise Nordrhein-Westfalen als in Niedersachsen, wir haben ein Zurückhängen der Hausärztinnen und Hausärzte. Die Dramatik wird häufig unterschätzt. Die Hausärzte sind im Schnitt etwa ein, zwei Jahre älter als die Fachärzte, das ist ja schon in solch einem Durchschnitt relativ viel. Das heißt, wir brauchen eigentlich mehr davon, um die Hausärzte zu ersetzen, die da sind, weil die Bevölkerung älter wird, es gibt mehr chronisch kranke, es gibt mehr mehrfach erkrankte, und hier vermissen wir tatsächlich eine vernünftige Strukturierung.

    Barenberg: Warum sind die Hausärzte so schlecht, so viel schlechter dran als andere Fachärzte aus Ihrer Sicht?

    Weigeldt: Also das hat eine lange Geschichte. Es hängt sicherlich mit den Mehrheitsverhältnissen auch in diesem KV-System zusammen. Die Hausärzte sind zwar eine große Gruppe, aber sie sind eine Minderheit, und wir haben, ich weiß nicht, seit '98, '99 darum kämpfen müssen, immer wieder Angleichungen zu haben. Erst haben wir Horst Seehofer dazu gebracht, dass er eine hausärztliche Grundvergütung von 600.000 D-Mark seinerzeit ausgerufen hat. Dann haben wir festgestellt, dass bei immer neu entstehenden Facharztgruppen und Facharztspezifitäten das Geld ja irgendwo herkommen muss, und da der Topf gedeckelt ist, ist die hausärztliche Vergütung immer ein Steinbruch gewesen, und wir haben dann unter Andrea Fischer erreicht, dass dieser Steinbruch zumindest einigermaßen abgeschottet wird. Und so geht es weiter, und deswegen haben die Hausärzte auch sich darum bemüht zu sagen, wir brauchen eine Alternative. Die haben wir und da ist auch dann die Diskussion heute. Diese Alternative sind Verträge wie in Baden-Württemberg, die klare Honorarstrukturen haben, ohne Punkte und Abstaffelungen und irgendetwas, sondern die Krankenkasse hat mit den Hausärzten einen Vertrag, die AOK Baden-Württemberg, die Leistungen sind definiert und die Preise für diese Leistungen, um das mal salopp auszudrücken, sind auch definiert und werden in Euro und Cent bezahlt.

    Barenberg: Herr Weigeldt, wir kommen gleich noch mal auf dieses System, was Sie vorschlagen. Ich würde noch mal einen Augenblick gerne bei den Unterschieden zwischen den verschiedenen Ärztegruppen bleiben, denn daraus ergibt sich ja die Frage, ob nicht die Krankenkassen dann der falsche Ansprechpartner sind, wenn die Konflikte innerhalb der Ärzteschaft zu suchen sind.

    Weigeldt: Ja, auf die Idee kann man kommen, wenn man sagt, es ist insgesamt sowieso genug Geld da. Wir glauben nicht, dass das sozusagen jetzt der Fall ist, sondern dass eine Anhebung notwendig ist, das ist klar. Im übrigen hat ja diese 0,9 Prozent der Bewertungsausschussvorsitzende dann errechnet, die Krankenkassen haben 2,2 Milliarden Minus uns vorgeschlagen, deswegen sind auch alle da zurecht sehr aufgebracht. Die Verteilung muss angegangen werden, das ist völlig richtig, aber das reicht nicht aus und deswegen ist eine Erhöhung der Honorare in dem Bereich schon auch notwendig.

    Barenberg: Was können sie denn tun, die Hausärzte, um diesen Ausgleich innerhalb der Ärzteschaft zu machen? Werden sie da über den Tisch gezogen von den anderen Fachärztegruppen?

    Weigeldt: Das will ich so böse jetzt nicht ausdrücken, aber das ist in den einzelnen KV-Bezirken relativ unterschiedlich. Beispielsweise in Hamburg ist in den letzten fünf Jahren von den Honorarerhöhungen, die reingeflossen sind dort bei den Hausärzten, nichts angekommen. Die haben die gleichen sogenannten Fallwerte wie vor fünf Jahren. Deswegen: Das System ist sehr kompliziert. Es gibt einmal die Regelungsebene Spitzenverband Bund und Kassenärztliche Bundesvereinigung und dann gibt es die Ebene auf dem Land, wo die Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder dann noch eigene Kompetenzen haben, irgendwie das Geld zu verteilen, in Vorwegabzüge zu stecken. Da gibt es haufenweise Tricks, je nach Mehrheitsverhältnissen das auch darzustellen.

    Barenberg: Und es gibt natürlich die Statistik des Bundesamtes, die ausweist, dass in der Tat Hausärzte am unteren Ende der Skala stehen beim Jahreseinkommen, Allgemeinmediziner also, während am anderen Ende der berüchtigte Radiologe steht mit erheblich, also fast doppelt so viel Jahreseinkommen, 264.000 Euro statistisch. Ist es nicht nötig, dass Sie da erst mal herangehen, bevor Sie sozusagen ein Gehaltsplus von elf Prozent verlangen?

    Weigeldt: Ich habe mal irgendwann gelernt, Demokratie kommt von Zählen, dann müssten Sie da die Mehrheit haben. Und Sie wissen: Wenn Sie irgendjemand was wegnehmen, dann ist Alarm überall, und die Laborärzte kommen ja in den Statistiken schon gar nicht mehr vor, dann würden Sie die anderen da nicht mehr unterscheiden können. Was dazu kommt, ist, dass die Hausärzte ja, wenn Sie die Arbeitszeit betrachten, auch die Hauptlast des Notdienstes und des Hausbesuches Abends und am Sonntag fahren. Das heißt, wenn Sie das noch mal mit der Arbeitszeit korrelieren, sieht das noch dramatischer aus. Aber Sie können auch feststellen: Umso dichter Sie am Menschen sind – das gilt auch für die Psychiater beispielsweise -, umso weniger verdienen Sie, umso mehr Apparate zwischen Ihnen und dem Menschen sind, umso besser ist das. Das ist insofern fatal, weil das der Versorgungsnotwendigkeit der nahen und ferneren Zukunft überhaupt nicht gerecht wird.

    Barenberg: Und gerechter wäre es, um noch mal auf Ihren Punkt eines neuen Systems zurückzukommen, wenn man die Spielregeln ändern würde?

    Weigeldt: Wir haben gezeigt, dass man eine Alternative aufbauen kann, die auch funktioniert, in Baden-Württemberg seit viereinhalb Jahren, ohne dass wir Streit haben, mit einer sehr schlanken, auch gemeinsam mit der Krankenkasse sehr schlanken Art zu arbeiten, wenig Bürokratie, wenig Gremien, wenig Sitzungen - wenn Sie sich das angucken, was da an Sitzungen stattfindet, das glaubt man gar nicht – und eigentlich guter Zufriedenheit. Das rollen wir aus, das gibt es jetzt in anderen Bereichen auch, und da ist jetzt die Frage, ist die KV-Welt in der Lage, ähnliche Honorare, die ja auch nicht in den Himmel wachsen, zu bezahlen, wie die Hausärzte wissen, ich kann damit arbeiten, ich muss mich nicht dauernd um Punkte, um Abstaffelungen und um sonst was kümmern. Wenn Sie auf dem Land als Hausarzt arbeiten und Sie haben mehr als die vorgeschriebene Fallzahl, dann werden Ihnen die darüber geschriebenen Fälle abgestrichen oder zumindest minimiert. Da kann ja keine Hausärztin oder kein Hausarzt dafür, wenn sie in Brandenburg alleine sind und alle Patienten zu ihnen strömen.

    Barenberg: Wie groß sehen Sie denn die Chancen, dass dieses neue Regelsystem, dass dieses alternative Regelsystem sich durchsetzen kann?

    Weigeldt: Ich glaube, dass es lange Zeit eine Parallelität geben wird. Die Frage ist, ob das KV-System sich dem anpasst, und das könnte ja sein. Da kann man ja auch zusammenarbeiten, das gibt es ja auch, es gibt Zusammenarbeit in Mecklenburg-Vorpommern und auch in anderen Ländern, das muss nicht unbedingt kriegerisch sein. Und jetzt bin ich mal gespannt, weil der DKBV das Problem des Sicherstellungsauftrages auf den Tisch gelegt hat. Das ist die Kernkompetenz, die den KV'en gegeben worden ist, gegen den Empfang einer befreienden Gesamtvergütung, also eines Geldtopfes, den sie dann verteilen müssen, und Verlustestreikrechts, und da bin ich mal gespannt, wie diese Diskussion dort jetzt ausgeht. Das ist relativ nebulös.

    Barenberg: …, sagt der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes. Vielen Dank für das Gespräch, Ulrich Weigeldt.

    Weigeldt: Danke, Herr Barenberg.


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