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Umwelt-Sachverständigenrat für Kohleausstieg
"Erneuerbare Energien müssen deutlich ausgebaut werden"

Die neue Bundesregierung muss den Kohleausstieg unverzüglich in die Wege leiten, fordert der Sachverständigenrat für Umweltfragen. Wenn Deutschland die Klimaziele von Paris erreichen wolle, blieben der Kohleverstromung noch 20 Jahre, sagte Sachverständigenrats-Mitglied Claudia Kemfert im Dlf.

Claudia Kemfert im Gespräch mit Georg Ehring | 02.10.2017
    Claudia Kemfert vom DIW
    "Überschüssige Kohlekraftwerke vom Netz nehmen": Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (dpa / picture alliance / Bernd Wüstneck)
    Georg Ehring: Kann Deutschland eigentlich alles auf einmal schaffen, den Atomausstieg und jetzt auch den Ausstieg aus der Kohle? Oder müssen wir uns damit mehr Zeit lassen? In den Braunkohlerevieren von Brandenburg, Sachsen und Rheinland bangen viele Menschen um ihre Arbeitsplätze. Sie argumentieren auch damit, dass die Braunkohle im Unterschied zu Wind- und Solarenergie immer zur Verfügung steht, also ohne Unterbrechung zur Nachtzeit oder wegen schlechten Wetters.
    Der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung hält dagegen. Er fordert den Kohleausstieg innerhalb von 20 Jahren. Telefonisch verbunden bin ich jetzt mit Professor Claudia Kemfert. Sie ist Mitglied im Sachverständigenrat und arbeitet beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Guten Tag, Frau Kemfert.
    Claudia Kemfert: Guten Tag, Herr Ehring.
    Wie kann man die Pariser Klimaziele erreichen?
    Ehring: Frau Kemfert, warum diese Eile?
    Kemfert: Eile - da kann man jetzt fragen, ob es tatsächlich eilig ist. Wir müssen ja sehen: Wir haben Klimaziele in Deutschland, uns verpflichtet, die einzuhalten. Die Klimaziele von Paris sehen vor, dass wir die Emissionen deutlich senken müssen. Wir haben uns jetzt im Rahmen dieser Studie damit beschäftigt, wie man diese Ziele noch erreichen wird können, und da haben wir vorgeschlagen, dass man mal schaut, welche Emissionsbudgets wir überhaupt noch zur Verfügung haben, und haben einen Drei-Phasen-Plan vorgeschlagen, der vorsieht, dass wir uns jetzt schrittweise aus der Kohleverstromung verabschieden.
    Ehring: Sie wollen ja festlegen, wieviel CO2 aus deutschen Kohlekraftwerken noch freigesetzt werden kann: etwa zwei Milliarden Tonnen. Wie kommen Sie auf diese Zahl?
    Kemfert: Die Klimaziele von Paris sehen vor, dass wir maximale Emissionsmengen überhaupt noch verursachen dürfen, und da ist es so, dass wir im Stromsektor gerade durch die Kohleverstromung ungefähr 250 Millionen Tonnen pro Jahr derzeit emittieren, und wir hätten damit ungefähr 20 Jahre überhaupt noch Zeit, wenn wir diese maximale Menge des Emissionsbudgets noch erreichen wollen. Die 2.000 Millionen Tonnen, die errechnen sich aus diesen maximalen Mengen, wenn Deutschland entsprechend die Klimaziele von Paris erreichen kann.
    Perspektiven für Beschäftigte erarbeiten
    Ehring: Was wird denn aus den betroffenen Regionen? Da hängen ja jede Menge Arbeitsplätze dran.
    Kemfert: Wir schlagen vor, eine Kommission so schnell wie möglich einzurichten, die sich genau mit dieser Fragestellung beschäftigt, nämlich wie man es sicherstellt, dass jetzt auch zukunftsweisende Beschäftigte in der Zukunft dort in den betroffenen Regionen entsprechend eine Möglichkeit haben, nachhaltige und dauerhafte innovative Arbeitsplätze dort sicherzustellen. Da ist jetzt diese Kommission gefragt, die das dann erarbeitet, zusammen mit den Landesregierungen, aber auch zusammen mit der Bundesregierung.
    Ehring: Haben Sie denn Ideen, in welche Richtung das gehen könnte?
    Kemfert: Wichtig ist ja, dass man hier eine Perspektive erarbeitet. Wenn wir die Klimaziele von Paris jetzt umsetzen wollen, ist es aus unserer Sicht wichtig, dass man in der ersten Phase schon mal die überschüssigen Kohlekraftwerke, die im Moment ja auch sehr ineffizient sind und den Markt entsprechend bereinigen, wenn man die jetzt vom Netz nehmen würde. Das sind alle Kraftwerke, die vor 1990 gebaut wurden. In der zweiten Phase geht es darum, dass man dieses Budget vorgibt und dann mit den entsprechenden Regionen dort diesen Stromwandel mit begleitet. Das könnte eine Kommission erarbeiten, wie das vonstattengehen kann.
    "Die Kanzlerin steht zu den Klimazielen von Paris"
    Ehring: Nun werden wir ja in einigen Wochen vermutlich eine neue Bundesregierung haben, möglicherweise eine Jamaika-Koalition aus FDP, Grünen und CDU/CSU. Rechnen Sie denn da mit offenen Ohren?
    Kemfert: Wenn die Grünen beteiligt sein sollten, durchaus. Wenn es andere Konstellationen gibt, wird man es sehen. Aber wichtig ist, dass auch die Kanzlerin im Rahmen ihres Wahlkampfs immer wieder deutlich gemacht hat, dass sie zu den Klimazielen von Paris steht. Alle anderen Parteien im Übrigen auch. Und wenn man das tatsächlich erreichen will, ergibt sich ein Budget an Gesamtmengen von Treibhausgasen, die wir in Deutschland noch ausstoßen dürfen. Da kommt man dann nicht darum herum, sich mit der Kohleverstromung auseinanderzusetzen. Wir haben ja auch eine Energiewende vor uns. Das heißt, die erneuerbaren Energien müssen deutlich ausgebaut werden und der Anteil von Kohlestrom muss deutlich reduziert werden. Da kommt letztendlich eine Regierung, eine neue Regierung, egal wie sie aussieht, nicht dran vorbei.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.