Samstag, 27. April 2024

Verkehr
Warum manche Städte ihre Umweltzonen wieder abschaffen

Ob Hannover, Karlsruhe oder Heilbronn: Immer mehr Städte lösen ihre Umweltzonen auf, machen damit wieder den Weg frei für Autos mit höheren Schadstoffemissionen. Warum tun sie das? Und warum halten andere Städte weiter an ihren Umweltzonen fest?

01.03.2024
    Dichter Verkehr schiebt sich über den mittleren Ring in München.
    Die Feinstaubbelastung ist – unter anderem – durch die Einführung der Umweltzonen messbar gesunken. Die Grenzwerten für Stickstoffdioxid werden dagegen teilweise immer noch gerissen. (picture alliance / dpa / Matthias Balk)
    Die sogenannten Umweltzonen wurden in Deutschland mit dem Ziel eingerichtet, gesundheitsgefährdende Schadstoffe zu reduzieren, die Autos, Lastwagen und Krafträder ausstoßen. Hauptsächlich sind das Stickstoffdioxide (NO2) und sogenannter Feinstaub (PM, particulate matter). In der Regel wurden die Zonen in Städten ausgewiesen, die hohe Schadstoffbelastungen der Luft aufwiesen. Das Konzept: Fahrzeuge mit hohen oder höheren Emissionen (rote und gelbe Umweltplakette) müssen draußen bleiben. 
    Vorreiter dabei, Autos mit zu hoher Schadstoffbelastung auszusperren, war Berlin. Hier wurde die erste deutsche Umweltzone am 1. Januar 2008 eingerichtet. Zurzeit gibt es in der Bundesrepublik nach Angaben des Umweltbundesamtes (UBA) 43 Umweltzonen (Stand 26.02.2024). In 42 davon dürfen Autos nur hineinfahren, wenn sie eine grüne Plakette an der Frontscheibe haben – und damit der Schadstoffgruppe mit der geringsten Feinstaubemission angehören: Euro 4. Einzig in der Umweltzone Neu-Ulm sind zusätzlich Fahrzeuge mit gelber Plakette (Euro 3 oder Euro 2 plus Partikelfilter) zugelassen.

    Inhalt

    In welchen Städten wurden und werden Umweltzonen abgeschafft?

    Bislang haben bereits 15 Städte ihre früheren Umweltzonen wieder aufgehoben. Weitere planen dies in nächster Zeit zu tun.
    Städte, die ihre Umweltzonen schon abgeschafft haben:

    • Hannover (Aufgehoben zum 22. Februar 2024)
    • Heilbronn (aufgehoben ab 1. Januar 2024) 
    • Herrenberg (aufgehoben ab 1. Januar 2024)  
    • Leonberg (aufgehoben ab 1. Januar 2024) 
    • Heidenheim (aufgehoben ab 1. Januar 2024)
    • Hemmingen (aufgehoben ab 1. Januar 2024)
    • Umweltzone Ilsfeld (aufgehoben ab 01.05.2023)
    • Schwäbisch Gmünd (aufgehoben ab 01.05.2023)
    • Urbach (aufgehoben ab 01.05.2023)
    • Wendlingen am Neckar (aufgehoben ab 01.05.2023)
    • Karlsruhe (aufgehoben am 01. März 2023)
    • Heidelberg (aufgehoben am 01. März 2023)
    • Pfinztal (aufgehoben ab 01.03.2023)
    • Schramberg (aufgehoben ab 01.03.2023)
    • Umweltzone Erfurt (aufgehoben am 07.05.2021)
    Diese Städte planen die Aufhebung von Umweltzonen:
    • Tübingen (Aufhebung geplant für Juni 2024)
    • Reutlingen (Aufhebung geplant für Juni 2024)
    • Ulm (Aufhebung geplant für Juni 2024)
    • Mannheim (für 2024 geplant, genaues Datum noch unbekannt)

    Welche Konsequenzen hat es, wenn Städte ihre Umweltzonen auflösen?

    Für diese Frage muss zwischen Theorie und Praxis unterschieden werden.
    Nach der Auflösung einer Umweltzone dürfen wieder Fahrzeuge schlechterer Schadstoffgruppen (gelbe, rote oder gar keine Umweltplakette) in die Innenstädte einfahren. Theoretisch könnten dann die durchschnittlich gemessenen Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid (NO2) an den betreffenden Orten wieder ansteigen. Die Folge: schlechtere Luft.
    Zum Schutz der Luftqualität gibt es EU-Richtlinien, die die Grenzwerte für Schadstoffemissionen festlegen:
    Feinstaub (PM)

    Feinstaub wird anhand des Durchmessers in verschiedene Gruppen eingeteilt: PM10 sind Partikel mit einem Durchmesser von weniger als 10 Mikrometern, PM2,5 solche mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometer.

    • Für PM10 gilt seit dem 1. Januar 2005: Ein Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter darf nicht überschritten werden
    • Zudem darf für PM 10 ein Tagesmittelwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter maximal an 35 Tagen pro Jahr überschritten werden
    • Für die kleineren Partikel PM 2,5 gilt seit dem 1. Januar 2015 der verbindliche Grenzwert von 25 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel
    Stickstoffdioxid (NO2)

    • Ein Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter darf nicht überschritten werden
    Praktisch könnte sich die Luftqualität nach der Abschaffung einer Umweltzone möglicherweise kaum verschlechtern. Denn: Die Ausgangssituation hat sich verändert, verglichen mit der Zeit, als ein Großteil der Umweltzonen geschaffen wurde. Mittlerweile gibt es deutlich weniger Fahrzeuge mit gelber oder roter Umweltplakette als damals.
    Bezogen auf die Feinstaubwerte der Gruppe PM10 schreibt das Umweltbundesamt:
    „Da derzeit über 90 Prozent der Autos die Abgasstandards für eine grüne Plakette erfüllen, erzielen die Umweltzonen mit ihren derzeitigen Kriterien kaum noch Wirkung. Der Effekt der Einführung der Umweltzone auf die Feinstaubkonzentration in Städten mit einer Überschreitung der PM10⁠-Grenzwerte war bedeutend, so dass alle Städte in Deutschland derzeit den europaweit geltenden Grenzwert von 40 µg/m3 im Jahresmittel einhalten können.“

    Wie werden die Abschaffungen der Umweltzonen begründet?

    Exemplarisch wird dies hier an der Stadt Tübingen dargestellt: Die dortige Umweltzone soll zum 1. Juni 2024 aufgelöst werden. Der Umwelt- und Klimabeauftragte der Stadt, Bernd Schott, hält Umweltzonen für einen Grundrechtseingriff: „Und wenn eben die Luftqualitätswerte über mehrere Jahre eingehalten werden, dann muss das Land Baden-Württemberg diesen Grundrechtseingriff abschaffen, weil wir hier in Tübingen die EU-Grenzwerte seit Jahren einhalten.“
    Zudem sieht der Fachmann im Instrument der Umweltzone eine nur sehr punktuelle Maßnahme, die für eine optimale Reinhaltung der Luft gar nicht geeignet sei.
    Julian Häußler vom ADAC Württemberg argumentiert, dass die Luft in den Städten in den vergangenen Jahren deutlich besser geworden sei. Das zeigen auch entsprechende Messwerte:
    Die Grafik zeigt Menge der Feinstaub-Emissionen (PM10) in Deutschland in den Jahren 1995  bis 2021 in Tausend Tonnen. Im Jahr 2021 wurden hierzulande rund 183.600 Tonnen Feinstaub (PM10) emittiert. Gegenüber dem Jahr 1995 (346.200 Tonnen) hat sich die emittierte Feinstaubmenge um rund 50 Prozent verringert. Die Angaben beziehen sich auf Feinstaub mit einer Partikelgröße von PM10 (aerodynamischer Durchmesser von maximal 10 Mikrometer).
    Gegenüber dem Jahr 1995 hat sich die emittierte Feinstaubmenge stark verringert. (Deutschlandradio / Andrea Kampmann)
    Grafik zeigt Menge der Stickstoffdioxid-Emissionen (NO2) in Deutschland in den Jahren 1995 bis 2021 in Tausend Tonnen. Im Jahr 2021 wurden hierzulande rund eine Millionen Tonnen Stickstoffdioxid (NOX, gerechnet als NO2) emittiert. Gegenüber dem Jahr 1995 (2198200 Tonnen) hat sich die emittierte Menge um rund gut 50 Prozent verringert (2021: 965600 Tonnen).
    Gegenüber dem Jahr 1995 hat sich die emittierte Menge an Stickstoffdioxid um mehr als 50 Prozent verringert. (Deutschlandradio / Andrea Kampmann)
    “Sobald die Grenzwerte dauerhaft eingehalten werden, so wie das jetzt in vielen Städten der Fall ist, ist auch die Umweltzone nicht mehr notwendig und muss aufgehoben werden”, argumentiert Häußler.
    Die Stadt Hannover begründet den Schritt laut NDR damit, dass die Schadstoff-Grenzwerte eingehalten werden können, auch wenn die Umweltzone wegfällt. Eine Umweltzone sei deshalb rechtlich nicht mehr verhältnismäßig. Für Erfurt hatte das Thüringer Oberverwaltungsgericht verfügt, dass die Umweltzone aufgehoben werden muss.
    Auf die breite politische Agenda hatte in der Vergangenheit die FDP die Forderung gesetzt, Umweltzonen ein Ende zu bereiten. Die verkehrspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Judith Skudelny, sprach gegenüber dem Deutschlandfunk im September 2023 von "unnötiger Bürokratie". Man könne den Menschen die Kosten für Umweltplaketten ersparen. Außerdem hätte sich in Städten, in denen die Umweltzonen bereits abgeschafft worden seien, die Luftqualität nicht verschlechtert.

    Aus welchen Gründen halten andere Städte an Umweltzonen fest?

    Trotz aller Fortschritte, die in Sachen Luftqualität in den vergangenen Jahren erreicht wurden: In einigen deutschen Städten ist die Luft längst noch nicht so sauber, wie es die EU-Richtlinie fordert. Dazu gehört etwa die Landeshauptstadt von Baden-Württemberg Stuttgart. Deshalb bleiben dort die Umweltzonen-Schilder erst einmal hängen.
    Gleiches gilt für Magdeburg und Halle in Sachen-Anhalt. Die Umweltzonen hätten dazu beigetragen, die Luftqualität in den beiden Städten deutlich zu verbessern, hieß es Ende 2023 zur Begründung von der Landesregierung. Man wolle zunächst die geplante Verschärfung der EU-Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffoxid abwarten. Möglicherweise müssten dann die Luftreinhaltepläne an die niedrigeren Grenzwerte angepasst werden.

    Wie bewerten Umweltverbände und Umweltbundesamt die Abschaffung der Umweltzonen?

    Befürworter der Umweltzonen fordern schon jetzt ein Nachdenken über zusätzliche Maßnahmen, mit denen die Luft in den Städten noch sauberer werden könnte. So will etwa Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe in Radolfzell, an einer weiteren Stellschraube drehen: Hauskamine. „Sie sind an vielen Orten die schlimmsten Quellen für Feinstaubbelastung“, sagt er.
    Auch das Umweltbundesamt (UBA) hält Umweltzonen weiterhin für eine „sehr wirksame Maßnahme zur Reduzierung der Feinstaubbelastung“. Mit engem Blick auf die Emission durch Feinstaub (PM10) stimmt das UBA zwar zu, dass Umweltzonen kaum noch Wirkung erzielten – für Stickstoffdioxid bestehe aber weiterhin großer Handlungsbedarf.
    Das Bundesamt schreibt: „Etwa zwei Drittel der Messstationen an verkehrsreichen Straßen in Deutschland zeigen immer noch Überschreitungen der Luftqualitätsgrenzwerte für NO2, obwohl diese bereits im Jahr 2010 hätten eingehalten werden müssen.”

    Welchen Einfluss könnte die neue EU-Luftschadstoffrichtlinie haben?

    Die derzeit geltenden europaweiten Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Feinstaub sind mehr als 20 Jahre alt. Der Rat der EU-Staaten und das EU-Parlament haben sich im Februar 2024 vorläufig auf neue – und strengere – Normen für die Luftqualität geeinigt. In Kraft treten sollen sie im Jahr 2030. Für Feinstaub der Gruppe PM2,5 beispielsweise „wird der Jahresgrenzwert um mehr als die Hälfte gesenkt“, wie die Europäische Kommission mitteilte.
    Ob die Bedeutung der Feinstaub-Grenzwerte, die zuletzt weitgehend eingehalten wurden, dann wieder größer wird, bleibt abzuwarten. Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe hält das jedoch für wahrscheinlich: “Und was bis jetzt Landesregierungen und Städte sagen konnten: ‘Wir halten ja die Grenzwerte ein’, gilt dann nicht mehr.“ Das ist genau der Grund, warum Städte an ihren Umweltzonen festhalten - wie beispielsweise die oben genannten Magdeburg und Halle.
    JMA