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Unangemessen? Nein, aber ...

Margot Käßmann selbst stufte ihre Alkoholfahrt als schweren Fehler ein und zog die Konsequenzen. Dem vorangegangen war ein medialer Großeinsatz in Sachen Käßmann. Das Thema sorgte erwartungsgemäß für Schlagzeilen - die nicht immer ein gutes Licht auf die Medien warfen.

Von Vera Linß | 27.02.2010
    "Zum Wohl" titelte die für ihre Schlagzeilen berühmte "taz" einen Tag nach dem Rücktritt von Margot Käßmann und man dachte: Muss das nun auch noch sein? Der etwas platt wirkende Scherz entpuppte sich jedoch schnell als Teil eines größeren Gedankens. Beim Aufklappen der Zeitung vervollständigte sich die Schlagzeile. Aus "Zum Wohl" wurde "Zum Wohl der Kirche". Das las sich schon anders. Was folgte, war ein differenzierter Artikel über das Für und Wider von Käßmanns Rücktritt.
    Differenziert – so lässt sich beschreiben, wie die Medien die Alkoholfahrt der Ratsvorsitzenden aufgegriffen haben. Natürlich wurde das Ganze auch zum Skandal, natürlich gab es stundenlang Tickermeldungen mit Promillezahlen, fette Überschriften und reichlich Häme. Etwa in der "FAZ", die Käßmanns Fehltritt als Anlass für eine Generalabrechnung nutzte. Und auch die "Süddeutsche" ließ sich nicht nehmen, Käßmanns kurze Amtszeit als Ratsvorsitzende zum "Strohfeuer" herabzuqualifizieren. Doch im Großen und Ganzen kann man sagen: Es ging weitgehend normal zu im Rahmen der Gesetzmäßigkeiten des Medienbetriebs, der auf Auflage zielt und in dem nun mal personalisiert und zugespitzt wird und in dem man ein breites Spektrum an Meinungen – von der Fürsprache bis zur Ablehnung – einfach aushalten muss.

    Margot Käßmann war und ist eine Kirchenvertreterin mit Prominentenstatus, die auch immer Einblicke in ihr Innenleben zugelassen hat. Dass sie im Hoch und – wie hier – im Tief die ganze Wucht der medialen Verwertung trifft, ist nur mehr als fair. Das klingt hart, doch so ist das Geschäft.

    Dennoch gab es Ausreißer nach unten, die den Medien nicht gut zu Gesicht stehen, und das ist – im Zusammenhang mit Käßmann – keine Premiere. Schon nach ihrer Neujahrspredigt in der Dresdner Frauenkirche lasen sich einige Schlagzeilen wie der unlautere Versuch, die Autorität der Ratsvorsitzenden zu demontieren. Etwa indem ihre Aussagen zum Afghanistaneinsatz aus dem Zusammenhang gerissen, umgedeutet oder bewusst falsch verstanden wurden.

    Auf ihre Integrität als Frau dagegen zielen eher Äußerungen, wie sie dieser Tage zu lesen waren. Dass, als sie betrunken am Steuer saß, "bei ihr ein Mann" gewesen sei, "von dem es heiße, er sei mit ihr so befreundet, dass er öfters mit ihr im Wagen fahre"; diese ein wenig schmierig daherkommende Botschaft musste der Autor der "Süddeutschen" unbedingt in seinem Artikel unterbringen. Auch beim Kollegen von der "Welt" bleibt der ominöse Begleiter nicht unerwähnt.

    Ließe sich das vielleicht noch als Indiskretion abbuchen, war ein anderer Tenor in der Berichterstattung hingegen absolut kontraproduktiv – wie etwa in der "taz" geschehen. Gemeint ist die Verknüpfung der aktuellen Missbrauchsdebatte in der katholischen Kirche mit dem Fall Käßmann. Das polemische Ausspielen der "bösen" Katholiken, die sogar Missbrauchsfälle – Zitat – "auch mal vergessen", gegen die "gute" Protestantin, die sich bedauerlicherweise mit ihrem Rücktritt selbst bestraft, hilft niemandem.

    Weder der katholischen Kirche, die nur mühsam um die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen ringt, noch Margit Käßmann, die sicher sehr realistisch eingeschätzt hat, dass die Medien ihre Alkoholfahrt – wäre sie im Amt geblieben – immer wieder vorgehalten hätten.