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UNO-Nachhaltigkeitsgipfel
"Die Weltgemeinschaft gibt sich eine neue Ordnung"

Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel: Bundesumweltministerin Barbara Hendricks sieht nach dem New Yorker Nachhaltigkeitsgipfel die Teilnehmer des Weltklimagipfels im Dezember gefordert. Dieser sei nun der erste Lackmustest für die Ernsthaftigkeit der Bemühungen, sagte die SPD-Ministerin im DLF.

Barbara Hendricks im Gespräch mit Doris Simon | 28.09.2015
    Die Ministerin steht im roten Kostüm an einem Rednerpult und spricht.
    Positives Fazit des Nachhaltigkeitsgipfels: Bundesumweltministerin Hendricks. (Imago / IPON)
    Mit den vereinbarten Zielen des gestern zu Ende gegangenen Nachhaltigkeitsgipfels habe sich die Weltgemeinschaft eine neue Ordnung gegeben, sagte Hendricks im Deutschlandfunk. Sie wolle neue Wege gehen. Dies sei aber nur mit einer geänderten Wirtschaftsweise auch in den Industrieländern möglich.
    Feinstaub-Belastung in den Städten reduzieren
    Nun sei man dabei, die Überprüfungsmechanismen scharf zu stellen, sagte die Ministerin. Dabei könne Deutschland anderen Ländern helfen, die dafür notwendigen statistischen Instrumente zu entwickeln. Die erhobenen Daten würden dann jährlich überprüft. Alle vier Jahre müssten zudem die Staats- und Regierungschefs Rechenschaft über darüber ablegen, ob sie ihre Ziele erreicht hätten. In der Bundesrepublik sei vor allem in der Landwirtschaft noch viel zu tun, so Hendricks. Die Belastung für Boden, Wasser und Luft müsse deutlich geringer werden. Auch gelte es, die Feinstaubbelastung in den Städten zu reduzieren. Beim Müll stehe Deutschland aufgrund der hohen Recycling-Quote dagegen besser da.
    Der kommende Weltklimagipfel in Paris sei der erste Lackmustest für die Ernsthaftigkeit der Nachhaltigkeits-Bemühungen, so Hendricks. Sie sei aber zuversichtlich, weil die Staatengemeinschaft gerade in New York gezeigt habe, was möglich sei. Hendricks verwies darauf, dass sich zuletzt auch China und die USA zu Reduktionszielen verfplichtet hätten. Diese beiden Staaten hätten beim Klimaschutz bislang nicht mitgemacht und seien nun dabei. Die westlichen Staaten könnten die Entwicklungsländer mit ihrer Technik zur Nutzung für erneuerbarer Energien unterstützen, sagte die SPD-Politikerin. Diese Technik sei marktfähig und nicht zu teuer. Die Länder des Südens könnten so etwa eine dezentrale Energieversorgung ohne die bislang üblichen Dieselgeneratoren aufbauen.

    Das Interview in voller Länge:
    Doris Simon: Eine Aufgabenliste für die Menschheit, darin sieht UN-Generalsekretär Ban Ki-moon das Ergebnis des Nachhaltigkeitsgipfels von New York. Hunger, Armut und Naturzerstörung sollen beseitigt werden. Leitlinien dafür sind 17 Nachhaltigkeitsziele mit 169 Haupt- und Unterpunkten, eine Aufgabenliste also, um die Welt grundlegend zu verändern. Und der Zeitrahmen dafür: 15 Jahre. - Am Telefon ist jetzt Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. Ich grüße Sie.
    Barbara Hendricks: Guten Tag.
    Simon: Frau Hendricks, viele Reden, viel Papier. Wieso sollten 193 UNO-Mitgliedsstaaten jetzt tatsächlich alle umsteuern und etwas hinbekommen, was zig Gipfel vorher nicht erreicht haben?
    Hendricks: Nun, ganz so ist es nicht. Wir haben zum Beispiel bei den Millenniums-Zielen, die wir uns im Jahr 2000 gegeben haben, doch auch durchaus Erfolge erzielt, zum Beispiel in der Bekämpfung der extremen Armut, auch in der Gesundheitsversorgung, Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit, der Müttersterblichkeit. Vieles ist ganz gut gegangen, aber es sind natürlich trotzdem nicht alle Ziele erreicht worden. Und jetzt in der Tat mit diesen neuen Nachhaltigkeitszielen, nachhaltige Entwicklungsziele, Sustainable Development Goals, wenn man es übersetzt, damit gibt sich die Weltgemeinschaft tatsächlich eine neue Ordnung. Ich bin auch nicht sicher, ob das in 15 Jahren gelingt, aber wir verpflichten uns jedenfalls alle, diese Wege zu beschreiten, und in der Tat, wir müssen da unsere Wirtschaftsweise ändern, auch wir in den Industrieländern.
    Simon: Diese Überprüfung - und es gibt ja einen relativ ausgeklügelten Überprüfungsmechanismus, um ein bisschen mehr als bisher sicherzustellen, dass sich wirklich was tut und verändert -, die kostet ja Geld. Woher kommt das, wer gibt das, damit wir alle überhaupt sicher sein können, dass Erfolgsergebnisse auch wirklich ein Erfolg sind?
    Klimagipfel: "Ich bin sehr zuversichtlich"
    Hendricks: Nun, das ist ja ein UNO-Prozess und wir sind gerade dabei, diese Überprüfungsmechanismen wirklich scharf zu stellen. Von Deutschland aus arbeitet da das Statistische Bundesamt mit, weil wir sind diejenigen natürlich, die auch wissen, wie man so was misst und zählt. Wir helfen also auch Ländern des Südens dabei, überhaupt solche statistischen Instrumente in ihren jeweils eigenen Ländern erst aufzubauen. Und das ist dann insgesamt ein UNO-Prozess, in dem das zusammenkommt. Einmal im Jahr werden diese Daten überprüft, natürlich auch öffentlich, und alle vier Jahre sind die Staats- und Regierungschefs gefordert, einzustehen für das, was geschehen ist, tatsächlich wieder zusammenzukommen, um nach vier Jahren Rechenschaft abzulegen.
    Simon: Frau Hendricks, Sie sagten eben in der Antwort, eine Veränderung von Wirtschafts- und Industriepolitik, das ist im Prinzip das, was der Nachhaltigkeitsgipfel mit all seinen Schlussforderungen und seinen Herausforderungen bedeutet. Da wäre ja der erste Lackmustest der Klimagipfel im Dezember. Rechnen Sie da mit einem Erfolg?
    Hendricks: Das ist genau richtig, das ist der erste Lackmustest, und ich bin deswegen auch zuversichtlich, weil wir ja hier auch gerade gezeigt haben, dass es geht, dass wir alle zusammenstehen wollen und können. Und was den Klimagipfel anbelangt: Ja, da bin ich sehr zuversichtlich, weil sich einfach was geändert hat. In den vergangenen Gipfeln war es so, dass zum Beispiel China und die Vereinigten Staaten nicht mitgemacht haben bei den Klimaentscheidungen. Die haben jetzt aber sich selber verpflichtet. Gerade hier vor wenigen Tagen haben der chinesische Staats- und Parteichef Xi und Präsident Obama noch mal gemeinsam eine Erklärung abgegeben, in der sie sich dann bekannt haben dazu, dass die Folgen des Klimawandels begrenzt werden müssen. Sie haben sich auch verpflichtet, die Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, die die Länder des Südens brauchen, damit sie sich auch anpassen können an die schon stattfindenden Folgen des Klimawandels. Wir sind auf einem guten Weg: Einmal, weil diese Länder mitmachen, die ja ganz unbestreitbar ganz wichtig sind dafür, dass es vorangeht, aber zum anderen ist es auch so, dass wir ja mittlerweile den Ländern des Südens sagen können, seht her, wir haben jetzt erneuerbare Energien, die sind marktfähig, die sind nicht mehr zu teuer, die könnt ihr überall einsetzen, wir wollen eure Entwicklungschance nicht beschneiden. Im Gegenteil: Auf die Weise könnt ihr dezentrale Energieversorgung haben, die er bisher gar nicht habt, oder die ihr allenfalls mit Dieselgeneratoren habt.
    Feinstaub: "Da haben wir Versäumnisse"
    Simon: Diese Antwort zielt ja auch in Richtung der Staaten, die bis jetzt nicht genug haben. Aber damit wirklich was wird aus den Zielen des Nachhaltigkeitsgipfels, muss ja jeder Mitgliedsstaat seine Hausaufgaben machen, Deutschland auch - gibt sich ja gerne als Vorreiter, aber nicht immer zurecht, findet zum Beispiel Bärbel Höhn bei uns im Interview, die Vorsitzende des Umweltausschusses:
    "Interessanterweise hängt Deutschland besonders im Umweltbereich hinterher. Da ist Deutschland zum Beispiel bei der Wasserverschmutzung mit Nitrat, bei der Artenvielfalt, beim Feinstaub, bei der Müllvermeidung, also bei Punkten, die die Landwirtschaft betrifft, aber auch den Autoverkehr betrifft, da steht Deutschland keineswegs gut da."
    Simon: Frau Hendricks, ist das, was jetzt in New York beschlossen wurde, für Sie noch mal als Umweltministerin Rückenwind, um auch auf diesen Gebieten, die Frau Höhn gerade angesprochen hat, noch mal in Deutschland eine Wende einzuleiten?
    Hendricks: Das ist vollkommen richtig, dass wir unsere Wirtschaftsweise gerade auch im Bereich Landwirtschaft ändern müssen, also die Böden und die Luft weniger belasten und das Wasser weniger, als das zurzeit geschieht durch unsere landwirtschaftliche Produktion in Deutschland. Das liegt auf der Hand und ich glaube, das müssen wir uns auch gemeinsam vornehmen. Denn die Art und Weise, wie wir zum Beispiel Massentierhaltung in Deutschland haben, stößt ja sowieso an Akzeptanzgrenzen bei den Bürgerinnen und Bürgern. Ich glaube, die deutsche Landwirtschaft muss sich da umstellen, das ist keine Frage.
    Und auch, was den Verkehr anbelangt: Ja, wir haben zu viel Feinstaubbelastung, insbesondere in den Innenstädten. Ja, auf jeden Fall müssen wir dort nachsteuern. Das ist vollkommen richtig. Da haben wir Versäumnisse. Was den Müll anbelangt, das ist auch nicht falsch. Wir produzieren verhältnismäßig viel Müll. Wir gehen allerdings mit ihm anders um. Wir recyceln eben auch sehr viel. Deswegen würde ich da an der Stelle Frau Höhn nicht zustimmen, weil wir haben ja tatsächlich eine sehr fortgeschrittene Recycling-Wirtschaft in Deutschland und arbeiten auch weiterhin daran, an unserem Ressourcen-Effizienzprogramm. Wir werden im nächsten Jahr Progress II vorstellen, um dort noch wieder weiterzukommen, Ressourcen, Verbrauch vom Wachstum abzukoppeln. Auf dem Weg sind wir und das ist eigentlich das, was wir auch weltweit brauchen.
    VW-Manipulationen: "Das schadet dem Ruf der deutschen Wirtschaft"
    Simon: Sie haben gerade Feinstaub und Verkehr angesprochen. Die gefälschten Abgaswerte bei Volkswagen sind ja längst weltweit ein Thema. Was haben Sie eigentlich als deutsche Umweltministerin geantwortet, wenn Sie am Rande des Nachhaltigkeitsgipfels auf diesen Skandal angesprochen worden sind?
    Hendricks: Ich bin erstaunlicherweise nicht darauf angesprochen worden, aber natürlich müssen wir eine Antwort finden. Der erste Punkt ist, dass wirklich lückenlos aufgeklärt wird, was dort geschehen ist, denn das ist ja in der Tat eine Manipulation jedenfalls gewesen, die tatsächlich auch dem Ruf der deutschen Wirtschaft schadet. Das ist nicht zu bestreiten. Aber auf der anderen Seite müssen wir vorankommen mit dem, was wir in Europa schon beschlossen haben. Das ist jetzt nicht Manipulation, sondern wir müssen uns tatsächlich darauf verständigen, dass Laborwerte, Messwerte in den Labors ja nicht tatsächlich das darstellen, was wirklich geschieht, wenn das Auto im Fahrbetrieb ist. Das haben wir im Mai diesen Jahres in Europa beschlossen, die sogenannten Real Drive Emissions-Prüfungen, also tatsächliche Emissionen beim Fahren zu messen, und das muss jetzt dringlich umgesetzt werden. Aber noch mal: Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Das eine ist, wir haben bisher nur Labortests gemacht und wir brauchen tatsächliche Werte. Und was leider geschehen ist, was wir in der vergangenen Woche haben lernen müssen, das war Manipulation, das geht noch mal darüber hinaus, das ist was anderes.
    Simon: Sie als Umweltministerin haben gerade gesagt, etwas, was dem Ruf der deutschen Wirtschaft schadet. Wäre es nicht angemessener, zu sagen, das, was bei VW passiert ist, ist das, was der Gesundheit der Verbraucher schadet, wenn man sieht, dass mehr Menschen durch Schadstoffe sterben als durch Unfälle im Verkehr? Müssten nicht eigentlich die 2,8 Millionen Volkswagen, die mit der Betrugssoftware in Deutschland ausgestattet wurden, sofort aus dem Verkehr gezogen werden?
    Hendricks: Es schadet dem Ruf der deutschen Wirtschaft, selbstverständlich. Aber sicher - zu hohe Werte in den Städten vor allen Dingen schaden der Gesundheit der Menschen. Deswegen müssen wir das dringlich ändern. Dieselfahrzeuge, wenn sie denn richtig arbeiten, wenn sie richtig sauber sind - und das geht technisch -, sind sogar unter Umweltgesichtspunkten durchaus zu begrüßen, weil sie einfach weniger Verbrauch haben. Also das wäre schon gut, wenn man das klar haben würde, dass sie tatsächlich die technischen Möglichkeiten auch nutzen und einbringen, die möglich sind und die dann der Gesundheit der Menschen nicht schaden. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, ja. Ob man die 2,8 Millionen Fahrzeuge direkt aus dem Verkehr ziehen müsste, ist eine andere Frage. Die fahren ja auch nicht alle ständig. Es ist ja nicht so, als würden die alle 24 Stunden unterwegs sein. Aber natürlich wird VW so was wie eine Nachrüstaktion machen müssen. Selbstverständlich!
    VW: Umrüstung der Fahrzeuge sofort beginnen
    Simon: Wie viel Zeit geben Sie dem Unternehmen dafür?
    Hendricks: Das müsste mein Kollege Dobrindt zusammen mit dem Kraftfahrzeugbundesamt sozusagen beschließen.
    Simon: Aber als Umweltministerin haben Sie ja auch eine Meinung dazu.
    Hendricks: Ja, ich habe eine Meinung dazu. Aber ich kann natürlich nicht etwas technisch fordern, was nicht umsetzbar ist. Da bin ich persönlich wirklich überfragt, wie schnell das einfach gehen kann.
    Simon: Das heißt aber, es ist für Sie in dem Zusammenhang wichtiger, dass es machbar ist, als dass wirklich sofort die Gesundheit der Verbraucher geschützt wird und die Vorgaben, die es da gibt, eingehalten werden?
    Hendricks: Nein! Für mich ist entscheidend, dass sofort damit begonnen wird und es so schnell wie möglich gemacht wird. Aber ich kann von mir aus nicht sagen, wie schnell das gelingen kann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.