Freitag, 19. April 2024

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Unruhen in den USA
"Die USA sind eine extrem gewaltbereite Gesellschaft"

Berechtigte Proteste wandelten sich in den USA häufig in Gewalt, sagte der USA-Experte Michael Dreyer im Dlf. Diese sei bei den aktuellen Ausschreitungen auf beiden Seiten vorhanden - bei Demonstranten und Polizei. Donald Trump sei nicht der Präsident, der dafür sorge, dass eine getrennte Nation zusammenkomme.

Michael Dreyer im Gespräch mit Christiane Kaess | 02.06.2020
Menschen als Silhouetten vor einem brennenden Geschäft, das im Zuge der Unruhen in Brand gesteckt wurde.
Politische Proteste nach dem Tod von George Floyd - aber auch Plünderungen und Brandstiftungen (picture alliance / Renee Jones Schneider)
Seit Tagen kommt es in Washington, New York und anderen US-Metropolen zu Demonstrationen gegen Polizeigewalt, Rassismus und soziale Ungerechtigkeit. Auslöser der Proteste ist der Tod des Afroamerikaners George Floyd nach einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis im Bundesstaat Minnesota. In vielen US-Metropolen sind die Demonstrationen in Ausschreitungen und Plünderungen ausgeartet. Dabei wurden beispielsweise in Saint Louis im Bundesstaat Missouri Polizisten angeschossen und in einem Vorort von Chicago sind Menschen ums Leben gekommen.
Mehr als 40 Städte haben nächtlich Ausgangssperren verhängt. Die Nationalgarde, die militärische Reserve der USA, ist bereits im Einsatz. Nun hat US-Präsident Donald Trump mit dem Einsatz der US-Streitkräfte gedroht.
"Das fand ich erschreckend zu hören", sagte der Politikwissenschaftler und USA-Experten Michael Dreyer von der Universität Jena. Dass Trump tatsächlich gegen den Willen von Gouverneuren Streitkräfte einsetzen wolle, sei im föderativen System der USA "genauso wenig vorgesehen, wie es bei uns in der Bundesrepublik vorgesehen ist".
Trump nutze die Gewalt bei den Unruhen in den USA um trennend in der Gesellschaft zu wirken, so Dreyer. Denn es entspreche seinen politischen Zielen der Wiederwahl in diesem Jahr.

Das Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: Heizt Trump mit seiner Rhetorik die Proteste an, oder wird sein Ruf nach Law and Order die Ausschreitungen beenden?
!!Michael Dreyer:!! Eindeutig ersteres. Wenn Trump von Law and Order spricht, dann meint er damit im Wesentlichen, seid ruhig, oder ich werde mit Gewalt für Ruhe sorgen. Und das ist ja nicht das erste Mal, dass das passiert, sondern das ist ein Verhaltensmuster, was wir in der Vergangenheit mehrfach bei Trump gesehen haben und was ihn auch tatsächlich unterscheidet von eigentlich jedem anderen Präsidenten in der jüngeren Vergangenheit.
Protesters hold up signs as they demonstrate in outrage over the death of George Floyd by a Minneapolis police officer at a rally in lower Manhattan in New York, United States.
Proteste in den USA - "Eine Explosion, auf die wir hätten vorbereitet sein müssen"
Die Polizeigewalt in den USA habe viel mit der dortigen Polizeikultur zu tun – das sei auch unter anderen US-Präsidenten ein Problem gewesen, sagte US-Journalist Jim Amos im Dlf.
Wenn man sich überlegt: Empathie, Mitgefühl gehört auch mit zu den Aufgaben des US-Präsidenten. Er ist auch der Healer in Chief, der dafür sorgt, dass eine getrennte Nation zusammenkommt. Das ist bei Ronald Reagan nach dem Challenger-Desaster der Fall gewesen, das ist bei Clinton nach dem Oklahoma-Attentat gewesen, bei Bush 43 nach 9.11, bei Barack Obama nach verschiedenen Schulmassakern. Trump scheint, diese Qualitäten Empathie und Mitgefühl mit anderen Menschen praktisch überhaupt nicht zu haben.
"Der Präsident ist nicht allmächtig"
Kaess: Aber, Herr Dreyer, er sagt ja schon, er stehe an der Seite der friedlichen Demonstranten, aber er möchte alles tun, um diese Ausschreitungen zu beenden. Wenn wir diese Bilder sehen von geplünderten Läden – glauben Sie nicht, dass er damit vielen auch aus dem Herzen spricht?
Dreyer: Ja, natürlich! Aber das ist genau auch sein Ziel, dass er damit seine Anhänger darin bestärkt und sagt – er hat es auch sogar explizit gesagt -, wenn Joe Biden zum Präsidenten gewählt wird, dann müsst ihr jeden Tag mit so was rechnen, denn mit Joe Biden wird die Anarchie ins Weiße Haus gewählt.
Das heißt: Das Mitgefühl, das war für fünf Minuten da, aber danach folgt er sofort wieder seinen Instinkten und nutzt diese Gewalt, die in der Tat auf beiden Seiten vorhanden ist, um trennend in der Gesellschaft zu wirken, denn das ist das, was seinen politischen Zielen der Wiederwahl in diesem Jahr entspricht. Gewalt ist zweifellos auf beiden Seiten vorhanden. Nicht nur gibt es jedes Jahr mehrere hundert Tote durch Polizeigewalt. Man muss auch wissen: Im letzten Jahr, für das wir ja gute Daten haben, 2018, da hat es auch 150 Polizeibeamte gegeben, die im Dienst umgekommen sind, und auch das ist eine erschreckende Zahl.
Demonstranten in Kansas protestieren gegen Polizeigewalt gegen Afroamerikaner.
Republicans Overseas zur Polizeigewalt: "Problem der Bundesstaaten und nicht der Zentralregierung"
Ralph Freund, Vizepräsident und Sprecher der Republicans Overseas Germany, sieht die Verantwortung für den tragischen Tod des schwarzen Amerikaners George Floyd infolge eines Polizeieinsatzes bei den Bundesstaaten.
Kaess: Wenn Trump jetzt droht, die Armee einzusetzen, welches Szenario sehen Sie da vor Augen?
Dreyer: Ja, da sehe ich im Moment noch überhaupt kein Szenario. Das fand ich erschreckend zu hören, denn der Einsatz der Armee, ja anscheinend gegen den Willen der Gouverneure – er hat ja gesagt, wenn die Gouverneure zu schwach sind, ihre Bevölkerung zu unterstützen, dann werde ich das machen, indem ich die Armee mobilisiere -, das ist im föderativen System der USA genauso wenig vorgesehen, wie es bei uns in der Bundesrepublik vorgesehen ist. Das ist etwas, wofür mir auf Anhieb kein Präzedenzfall einfällt – nicht mal in der Bürgerrechtsbewegung der 60er-Jahre. Wie das Ganze rechtlich funktionieren soll, dass Trump tatsächlich gegen den Willen von Gouverneuren so eingreift, das sehe ich noch nicht. Das ist wahrscheinlich auch so einer dieser Schnellschüsse gewesen.
Natürlich: Wenn er mit den Gouverneuren zusammenarbeitet, dann ist das ohne weiteres möglich. Aber auch die USA ist ein föderatives System. Der Präsident ist nicht allmächtig.
"Bürgerrechte von Schwarzen nach wie vor nicht so gesichert"
Kaess: Schauen wir uns diese Protestbewegung ein bisschen näher an. Ein Großteil dieser Demonstrationen läuft friedlich ab und jetzt gibt es Mutmaßungen darüber, wer die Ausschreitungen verursacht. Da ist mal die Rede von den radikalen Linken, dann von radikalen Rechten. Was glauben Sie, wer dahinter steckt?
Dreyer: Wahrscheinlich ist beides richtig und wahrscheinlich gibt es auch Situationen, wo das nicht bewusst geplant ist, sondern wo es sich wechselseitig hochschaukelt und dann übergeht in generelle Gewalt. Aber das ist auch leider ein Phänomen, was man schon sehr, sehr lange beobachtet. Solche Proteste, berechtigte Proteste, wandeln sich dann um in blanke Gewalt und wandeln sich dann um auch in Plünderungsorgien.
Das ist auch keineswegs ungewöhnlich. Die USA sind eine extrem gewaltbereite Gesellschaft und das sieht man bei solchen Gelegenheiten dann immer sehr stark. 1992 hat es auch in der ganzen Nation bewaffnete Auseinandersetzungen gegeben – damals nach einem Gerichtsurteil. Das sehen wir immer wieder in den USA - nicht so stark wie jetzt, aber das Phänomen ist nicht völlig neu.
Mehrere Teilnehmer einer Demonstration stehen in Chicago einer Gruppe von Polizisten gegenüber
Kommentar zu Unruhen: Druck, der sich über Jahre aufgebaut hat
Der gewaltsame Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz hat in den USA zu einer Welle von Protesten geführt. Oft würden solche Fälle von Gewalt nicht geahndet, Fehlverhalten werde sogar belohnt, kommentiert Jan Bösche.
Kaess: Es werden jetzt immer wieder Parallelen gezogen mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung zu Zeiten von Martin Luther King. Was ist dran aus Ihrer Sicht an diesem Vergleich?
Dreyer: Was da dran ist, ist, dass die Bürgerrechte von Schwarzen heute nach wie vor (und das Jahrzehnte nach dem Kampf von Martin Luther King) nicht so gesichert sind wie die Bürgerrechte von weißen Bürgern der USA und dass die Erfahrung von Rassismus und die Erfahrung auch von Polizeigewalt gegen Schwarze, vor allem schwarze junge Männer eine Realität sind, die zum Leben der Schwarzen in den USA gehört. Das ist durchaus eine Situation, die längst nicht so viel besser geworden ist, wie man das in den 60er-Jahren nicht nur gehofft hat, sondern auch als selbstverständlich annahm.
Keine "sehr großen Auswirkungen" auf kommende Wahlen
Kaess: Und wie, Herr Dreyer, wird sich das Ganze jetzt auswirken auf die Präsidentschaftswahlen im November?
Dreyer: Das hängt im Wesentlichen davon ab, wie das jetzt weitergeht. Die Tradition des Teilens und Herrschens, die beherrscht Donald Trump wie kaum ein anderer Politiker, und man sieht das in der Art, wie er seine Anhänger hier zu mobilisieren versucht. Ob das allerdings in der breiten Bevölkerung ankommt und ob es auch dazu dienen kann, die anderen Krisen, in denen sich die USA im Moment befindet, Corona, die 40 Millionen Arbeitslosen, die wir jetzt haben, die zu verdecken, das wird man allerdings erst sehen. Solche Aufstände haben in der Vergangenheit nie sehr lange gedauert und ich würde bezweifeln, dass das im November sehr große Auswirkungen noch hat.
Kaess: Noch ganz kurz Ihre Einschätzung, denn wir haben nicht mehr viel Zeit. Glauben Sie, dass Joe Biden einen Vorteil für sich daraus ziehen kann?
Dreyer: Ja, das wäre dann das Spiegelbild dazu. Wenn Donald Trump rüberkommt als jemand, der übertrieben reagiert, dann wäre Joe Biden die staatsmännische Alternative dazu. Aber dazu muss man sehen, wie sich das entwickelt in den nächsten Tagen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.