Montag, 29. April 2024

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Unruhen in der Ukraine
"Hier helfen nur Taten"

Nach der Eskalation der Gewalt in der Ukraine erwägt die EU Sanktionen gegen die Führung in Kiew. Diese könnten tatsächlich etwas bewirken, über das Geld könne Druck erzeugt werden, sagte Ralf Haska, Pfarrer einer deutschen Gemeinde in Kiew, im Deutschlandfunk. Worte alleine würden nicht helfen. Er fürchte, dass die Gewalt sonst weitergehe.

Ralf Haska im Gespräch mit Martin Zagatta | 19.02.2014
    Pfarrer Ralf Haska steht in violettem Ornat vor einer Reihe von ukrainischen Sicherheitskräften, die sich hinter Schutzschilden verschanzt haben. Es ist Nacht, und es schneit.
    Der Pfarrer Ralf Haska versucht im Dezember 2013 Demonstranten zu stoppen (picture alliance / dpa / Sergey Dolzhenko)
    Martin Zagatta: Einen solch blutigen Gewaltausbruch hat es in Europa lange nicht mehr gegeben. In Kiew und anderen Städten kommt es nach monatelangen Protesten gegen das Regime von Präsident Janukowitsch seit gestern zu den befürchteten Zusammenstößen.
    Dort in Kiew sind wir jetzt mit Ralf Haska verbunden. Er ist Pfarrer der deutschen Evangelischen Gemeinde St. Katharina in Kiew. Guten Tag, Herr Haska!
    Ralf Haska: Guten Tag!
    Zagatta: Herr Haska, Frau Adler, unsere Korrespondentin sagt gerade, es gibt eigentlich keine Kompromissbereitschaft. Wie erleben Sie diesen Gewaltausbruch? Wie besorgt sind Sie im Moment?
    Haska: Ich selbst und auch die Leute um mich herum, mit denen ich rede, die sind alle sehr besorgt. Sie sind nämlich besorgt, dass das, was wir erlebt haben in der letzten Nacht und am Nachmittag des gestrigen Tages, nicht schon alles gewesen ist, sondern dass die Gewalt weitergehen wird und dass noch mehr Verwundete und vielleicht auch sogar noch mehr Tote zu beklagen sein werden.
    Zagatta: Nach offiziellen Angaben sind unter den Getöteten auch mindestens neun Polizisten. Das zeigt ja auch, dass die Demonstranten kräftig dagegenhalten - und auch nicht gewaltfrei. Wie schätzen Sie das ein?
    Steinewerfende Demonstranten stehen sich mit Polizisten gegenüber.
    Konfrontation zwischen Regierungsgegnern und Sicherheitskräften in Kiew. (picture alliance / dpa / Yevgeny Maloletka)
    Haska: Die Demonstranten verteidigen sich. Natürlich verteidigen die sich auch mit Mitteln der Gewalt. Wie sollen sie sonst sich so einer Übermacht von Berkut-Einheiten gegenüber verteidigen? Sie müssen bloß mal schauen, was gestern hier passiert ist: Schützenpanzer sind in die Menschenmenge hineingefahren, in die Barrikaden und in die ersten Reihen der sie Verteidigenden sind dort hineingefahren. Natürlich ist das massive Gewalt des Staates gegen die Demonstrierenden, und dass man sich dagegen verteidigt, ist eigentlich logisch. Die Leute, die auf dem Maidan stehen, tun nur das, sie verteidigen sich tatsächlich.
    Viele trauen Janukowitsch nicht mehr
    Zagatta: Jetzt hören wir aus der Ukraine aber auch, dass das Land zumindest gespalten sei, dass Janukowitsch auch viele Anhänger noch habe, vielleicht in anderen Regionen. Wie stellt sich das aus Ihrer Sicht dar? Ist es so: die Demonstranten sind die Guten und Janukowitsch mit den Russen im Rücken, der ist der Böse?
    Haska: Nun ja, viele Leute sagen das so, die hier in Kiew und mit denen ich zu tun habe aus meiner Gemeinde. Die sagen natürlich, der Präsident hat drei Monate lang keinerlei Anstalten gemacht, auf die Demonstranten zuzugehen, sondern hat eine Taktik gefahren von Verschleierung, von Verschleppung, von Dahinziehen, und wir vertrauen diesem Menschen nicht mehr und dieser Regierung nicht mehr. Das Land mag gespalten sein, aber wenn der Präsident meint, dass er doch so viele Anhänger hat im Osten der Ukraine, dann sagen viele auch, warum willigt er denn dann nicht in vorgezogene Neuwahlen ein, warum tut er denn das nicht, warum tritt er nicht zurück und lasst uns neu wählen. Dann ist ja sichtbar, ob er tatsächlich das Vertrauen der Leute noch hat. Hier in Kiew und in meinem Umkreis höre ich Leute, nur Leute eigentlich, die sagen, Vertrauen in den Präsidenten und in die Regierung ist nicht mehr da.
    Zagatta: Herr Haska, jetzt hat der Oppositionsführer Klitschko ein Eingreifen des Westens gefordert. Für wie realistisch halten Sie das, oder was halten Sie eigentlich von dieser Forderung?
    Haska: Ich frage mich, wie der Westen eingreifen soll. Die Forderungen nach Sanktionen, die ja im Grunde genommen das einzige Mittel sind, wie der Westen oder die Europäische Union oder auch Amerika oder Kanada reagieren könnten, diese Forderung ist ja schon lange gestellt. Die ist ja nicht erst seit heute. Diese Forderungen sind immer wieder abgelehnt worden, es ist immer wieder nur mit Worten die Situation bedacht worden. Die Leute hier halten von den Worten der Europäischen Union schon kaum noch was. Sie haben mehr erwartet, mehr gehofft, auf mehr Unterstützung gehofft und haben die nie erfahren, und dementsprechend sind die Erwartungen an die Europäische Union hier sehr, sehr gering.
    "Sanktionen würden tatsächlich helfen"
    Zagatta: Was würden denn Sanktionen bringen? Glauben Sie persönlich oder die Menschen, mit denen Sie sprechen, dass Sanktionen etwas bringen würden oder die Situation nicht noch weiter verschärfen würden?
    Haska: Ich glaube, und das höre ich aus vielen Mündern, die sagen, nein, Sanktionen würden nicht daneben laufen, Sanktionen würden tatsächlich helfen, weil man hier mit den Leuten nur über das Geld reden kann. Für Leute, für die das Geld so wichtig ist und die dafür arbeiten, um ihre Familie zu versorgen mit Millionen und Abermillionen von Dollar, die in ihre eigene Tasche wirtschaften, für die ist natürlich ein Angriff auf ihre Konten und auf ihr Geld, auf ihr Prestige und ihre Vorteile sehr wohl ein Punkt, wo sie verstehen würden, dass sie so nicht handeln können. Worte helfen bei den Menschen nichts, hier helfen nur Taten. Das wird von vielen so gesehen und schon seit Monaten wird das so gesehen.
    Zagatta: Ralf Haska, der Pfarrer der deutschen Evangelischen Gemeinde St. Katharina in Kiew. Herr Haska, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
    Haska: Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.