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Unternehmer verklagt die Treuhand-Anstalt

Ein Kölner Firmenchef hat von der Treuhand-Anstalt einen Betrieb samt Gelände in Potsdam gekauft. Sein Anwalt hält den Kaufvertrag für nichtig und ist verwundert, dass die Gerichte das bisher nicht so sehen. Er vermutet politische Verwicklungen - denn auf den Bund könnten hohe Kosten zukommen, weil sein Mandant kein Einzelfall sei.

Bernhard Kempen im Gespräch mit Christoph Heinemann | 20.01.2012
    Christoph Heinemann: 3. Oktober 1990: Die Deutschen feiern die Vereinigung, die Begeisterung erfasste damals auch viele Unternehmer. Bernd Breuer leitet eines der weltweit größten Unternehmen für Krane und Schwertransporte, "Maximum". Und auch er entschließt sich, in den neuen Bundesländern zu investieren. Im April 1993 kauft der Kölner Konzernchef für knapp 23 Millionen D-Mark die "Maschinenbau Babelsberg", kurz "MAB", von der Treuhand-Anstalt. 160 Millionen Mark steckt Breuer in den Neuerwerb, schafft 800 Arbeitsplätze - bis hierhin alles wunderbar. Fünf Jahre später, 1998 also, erkennt Bernd Breuer bei einem Blick ins Grundbuch, dass die Stadt Potsdam sein Betriebsgelände 1996 unter eine Entwicklungssatzung gestellt hat.

    Was das ist, das erklären wir gleich. So viel vorweg: Damit unterliegt das Gelände zahlreichen Auflagen. Bernd Breuer zieht vor Gericht, mit dem Ergebnis zahlreicher, aus Sicht des Unternehmers bizarrer Urteile. Nun klagt Bernd Breuer vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Sollte er Recht bekommen, könnten weitere Verfahren folgen.
    Die ganze Geschichte ist heute ausführlich nachzulesen im "Manager-Magazin". Außerdem steht die Klageschrift seit heute im Internet, verfasst von Professor Bernhard Kempen, dem Präsidenten des Deutschen Hochschulverbandes. Er lehrt Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht an der Universität zu Köln und er vertritt den Unternehmer Bernd Breuer. Mit ihm haben wir vor dieser Sendung gesprochen, und ich habe ihn zunächst gefragt: Was ist eine Entwicklungssatzung und was bedeutete sie für den Unternehmer Bernd Breuer?

    Bernhard Kempen: Eine Entwicklungssatzung ist ein Instrument, das die Kommunen verwenden. Entweder, um Arbeitsplätze zu generieren, oder aber um den Wohnbedarf der Bevölkerung zu befriedigen. Das geschieht dadurch, dass über bestehendes Eigentum eine Satzung gelegt wird und der Eigentümer nun vielfältigen Restriktionen unterliegt. Er kann nicht mehr so ohne Weiteres veräußern, er darf nicht mal mehr langfristig vermieten und er läuft Gefahr, dass das Eigentum auch enteignet wird. Mit anderen Worten: Eine Entwicklungssatzung liegt wie eine Belastung auf dem Eigentum.

    Heinemann: Ihr Mandant behauptet, die Treuhand habe von den Plänen der Stadt Potsdam gewusst. Können Sie das beweisen?

    Kempen: Das ist insofern augenscheinlich, als der Bürgermeister, damalige Oberbürgermeister der Stadt Potsdam, im Aufsichtsrat der Treuhand saß. Und der hatte natürlich als Mitglied des Aufsichtsrates Kenntnis darüber, in seiner Doppeleigenschaft als Oberbürgermeister, dass diese Entwicklungssatzung in Vorbereitung war.

    Heinemann: Professor Kempen, Sie selbst haben gesagt, dass der Kaufvertrag null und nichtig sei. Das erkenne ein Jurastudent im ersten Semester. Nun wurde Herr Breuer vor Gericht mehrfach eines anderen belehrt.

    Kempen: Herr Heinemann, das ist ja gerade das Merkwürdige. Dieser Kaufvertrag bezieht sich auf ein sehr umfangreiches Betriebsgelände, ein riesiges Betriebsgelände, und auch auf ein riesiges bewegliches Inventar, auf ein sogenanntes Anlagen- und Vorratsvermögen. Und dieses Anlagen- und Vorratsvermögen befindet sich oder wurde aufgelistet in großen Inventarverzeichnissen. Die sind mehrere hundert Seiten stark. Nun passierte Folgendes: dass der Notar im Notartermin diese Inventarverzeichnisse nicht verlesen hat. Er hat sie gar nicht erst zu der Urkunde genommen, also gar nicht mit beurkundet, sondern er hat sie draußen gelassen. Das ist ein schwerer Fehler. Das weiß tatsächlich jeder Jurastudent schon im ersten oder zweiten Semester, dass beim Grundstückskaufvertrag das bewegliche Inventar mit zu beurkunden und selbstverständlich auch im Urkundstermin mit zu verlesen ist.

    Heinemann: Das wissen aber auch die Richter des Berliner Kammergerichts und des Landgerichts. Wir haben uns übrigens bei ihnen erkundigt, bei beiden Gerichten: Sie wollen zu dem Fall nicht Stellung nehmen. Wie erklären Sie sich die Urteile?

    Kempen: Das ist ein gutes Stück weit unerklärlich. Tatsächlich habe ich so etwas noch nicht erlebt, dass Gerichte gegen allen juristischen Sachverstand - es gibt auch entsprechende Gutachten der führendsten Notarrechtler in Deutschland - und gegen alle Kritik aus dem Schrifttum stur an ihrer Auffassung festhalten, und der 14. Senat des Kammergerichts Berlin hat mehrfach entschieden. Er hat jetzt auch wieder entschieden in derselben Sache, obwohl er gar nicht zuständig ist. Und da macht man sich so seine Gedanken, wieso ein Gericht so verstockt ist.

    Heinemann: Halten Sie das Gericht für politisch beeinflusst?

    Kempen: Das will ich dem Gericht so nicht unterstellen, aber ich will deutlich machen, dass die Gesamtumstände, die wir hier beobachten, tatsächlich solche Schlussfolgerungen nahelegen.

    Heinemann: Können Sie denn Namen nennen?

    Kempen: Nein, ich kann keine Namen nennen, Herr Heinemann. Aber was ich kann: Ich kann deutlich machen, dass es in dieser Angelegenheit noch ganz andere Stakeholder gibt, also ganz andere Interessenten, die wir auf der politischen Bühne suchen müssen - Personen aus dem Kanzleramt, die ein Interesse daran haben, dass in dieser Angelegenheit des Falles "Maximum" kein Präzedenzfall entsteht.

    Heinemann: Und da wird doch ein Name genannt bei Ihnen, und zwar der Name Ronald Pofalla, der des Kanzleramtsministers von der CDU.

    Kempen: Ja dieser Name ist zu nennen, denn wir wissen von einem Abgeordneten des Deutschen Bundestages, der, nachdem im Petitionsausschuss des Bundestages manipuliert wurde, sich quergestellt hat und der von Herrn Pofalla bei Seite genommen wurde, der ihm bedeutete, er möge doch bitte die Finger von der Sache "Maximum" lassen, wenn er nicht Nachteile in seiner politischen Zukunft befürchten wolle.

    Heinemann: Aber auch im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages ist Herr Breuer gescheitert.

    Kempen: Herr Breuer hat eine Petition zum Bundestag eingereicht, um aufzuklären, ob das Verhalten der Treuhand-Anstalt mit Blick auf die Entwicklungssatzung, die Sie eingangs erwähnten, rechtmäßig war. Der Petitionsausschuss war sehr sorgfältig. Es gab mehrere Termine, es gab Ortstermine in Potsdam - und der Petitionsausschuss hatte eine Beschlussvorlage - die kann man nachlesen - die sozusagen den Maximalerfolg für den Petenten bedeutet hätte, nämlich die Sache der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen. Und in der Nacht vor der Beschlussfassung wurde die Beschlussvorlage ausgetauscht - von einer Person, von der wir wissen, aber wir wissen nicht, wer hinter dieser Person steckt. Das ging an den Obleuten des Petitionsausschusses vorbei, es ging an den Berichterstattern des Petitionsausschusses vorbei. Ausgetauscht wurde nicht die gesamte Beschlussvorlage, sondern nur die letzte Seite, die letzten drei Absätze dieser Beschlussvorlage. Nun hieß die Beschlussvorlage auf einmal, die Petition wird erledigt, der Petitionsausschuss sieht sich außerstande, dem Petenten zu helfen.

    Heinemann: Wir haben uns beim Petitionsausschuss erkundigt und haben die mündliche Erklärung vom Ausschussdienst erhalten, dass es Überraschungsentscheidungen in diesem Ausschuss gar nicht geben könne, das Verfahren wäre dazu viel zu kompliziert.

    Kempen: Herr Heinemann, tatsächlich kann es so was ja nicht geben, man will es gar nicht verstehen. Aber es ist schwarz auf weiß nachzulesen. Sie können es nachlesen auf der neuen Website, die die "Maximum GmbH" gestern ins Netz gestellt hat, nämlich der-fall-maximum.de. Da finden Sie die Beschlussvorlage und auch die abgeänderte Beschlussvorlage und da kann sich jeder Ihrer Hörer überzeugen, dass das, was wir hier vortragen, zutrifft.

    Heinemann: Der Ausschussdienst sagte uns, auch, dass es nach der Abstimmung überhaupt keine Proteste gegeben habe. Spricht das nicht gegen Ihre Vermutung?

    Kempen: Das ist nicht ganz richtig. Es gab Abgeordnete, die sich quergestellt haben, die Aufklärung verlangt haben, aber tatsächlich ist die Sache dann nicht weiterverfolgt worden. Der Petitionsausschuss ist nicht nochmals tätig geworden.

    Heinemann: Handelt es sich bei Herrn Breuers Erfahrungen um einen Einzelfall oder gibt es vergleichbare Verfahren?

    Kempen: Der Fall "Maximum" ist kein Einzelfall. Die Treuhand-Anstalt hat ganz offensichtlich in einer Vielzahl von Grundstücks-Kaufverträgen, um das Verfahren zu vereinfachen, um dem Notar sozusagen ein erleichtertes Arbeiten zu ermöglichen, die Inventarverzeichnisse herausgenommen. Wir müssen damit rechnen, dass von den etwa 7800 Verträgen, Privatisierungsverträgen, die die Treuhand-Anstalt abgeschlossen hat, mehrere hundert formnichtig sind. Im Finanzministerium wird gemunkelt, dass ein Rückabwicklungsschaden in einer Größenordnung von etwa 2,3 Milliarden Euro im Raum steht. Das würde bedeuten: Wenn hier alle, die solche Verträge haben, zu Gericht gingen und sich herausstellen würde, dass die Verträge nichtig sind, müsste die Bundesrepublik sehr kostenträchtig rückabwickeln. Das ist ein Schaden, den man politischerseits ganz offenkundig vermeiden will.

    Heinemann: Wo kann man Ihre Klageschrift im Internet nachlesen?

    Kempen: Auf der neuen Website der-fall-maximum.de.

    Heinemann: Der Kölner Völkerrechtler Professor Bernhard Kempen. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Kempen: Sehr gerne. Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.