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Urban-Art-Künstler Alex Chinneck
Ein schmaler Grat zwischen Skulptur und Gag

Seine großformatigen Werke gleichen genialen optischen Täuschungen: Mit seiner surrealen Kunst im urbanen Raum gilt Alex Chinneck als neuer Publikumsliebling der britischen Kunstszene.

Von Louise Brown | 14.09.2017
    Ein Haus steht Kopf: Alex Chinneck vor seiner Installation "Miner on the moon" im Zentrum von London
    Ein Haus steht Kopf: Alex Chinneck vor seiner Installation "Miner on the moon" im Zentrum von London (AFP/ ANDREW COWIE)
    Ein Cottage, eine alte Farm und drum herum die sanfte grüne Landschaft Südenglands. Vor der Scheune steht Alex Chinneck. 32 Jahre, Künstler und seit kurzem Farmbesitzer.
    Aus der Scheune will er ein schickes Studio bauen. Der Platz ist nötig, denn seine großformatigen Werke brauchen Monate bis zur Vollendung und viele Menschen arbeiten daran mit.
    Alex Chinneck hat in nur drei Jahren das Straßenbild Londons wie kein anderer Künstler verändert. Mit öffentlichen Skulpturen, die so groß wie ein Haus sind. Oft sogar Häuser sind. Oder eher: Gebäude, die so aussehen wie normale Häuser. Aber auf den zweiten Blick nicht das sind, was sie zu sein scheinen.
    Urban Art unaufdringlich
    Wie das dreistöckige Reihenhaus im südenglischen Margate, dessen Fassade mit der kompletten Front in den Vorgarten rutschte. Oder der elegante Bau im Londoner Touristenviertel Covent Garden, passend zu den anderen historischen Bauten, der aber so wirkt als würde er in der Luft zu schweben.
    Eigentlich wollte Alex Chinneck Cricketspieler werden. Dann entdeckte er im Kunstunterricht die Malerei. Nach dem Studium arbeitete er als Bildhauer. Eines Tages stand er vor einer alten Lagerhalle in London und hatte eine Idee ...
    Für sein erstes großformatiges Werk ließ er alle 312 Fenster des leerstehenden Fabrikgebäudes auf genau die gleiche Weise zerspringen.
    "Mir gefiel daran, dass das Werk nicht nach Aufmerksamkeit schrie. Viele Leute gingen einfach vorbei. Obwohl es groß war, war es dennoch subtil und diese Art von Ausgewogenheit ist schwer zu finden."
    Optische Illusionen
    Kunst im öffentlichen Raum, die überrascht, ohne aufdringlich zu sein; Kunst, die entdeckt werden will, die ihre Umgebung subtil manipuliert: Das ist Chinnecks Spezialität.
    "Stealth Surrealism" könnte man das nennen, was er da tut, eine Art heimliches Verzerren der Realität. Mit der weist er auf unsere oft gleichgültige Wahrnehmung unseres öffentlichen Stadtbildes und auf Missstände im urbanen Raum hin. Sein schmelzendes Haus in Southwark, das mit der Hilfe von Hitzestrahlern im Dach über 30 Tage zu einem riesigen Wachsklumpen wurde - eine unübersehbare Anspielung auf Londons überhitzten Immobilienmarkt.
    Als optischer Illusionist wird Chinneck gerne bezeichnet. Aber eine Illusion funktioniert nur wenn sie glaubwürdig ist.
    "Die Projekte sind leicht zu verstehen aber unglaublich schwer zu kreieren. Sie brauchen oft ein Jahr und mehr als einhundert Personen arbeiten daran."
    Die Antwort: 150 000 Steine
    Tatsächlich sind diese Projekte nur durch den Enthusiasmus der Baufirmen möglich. Für jedes Werk ruft Chinneck bei Herstellen in ganz Europa an. Nach zehn Absagen war bisher immer einer, der die verrückten Ideen des Engländers faszinierend fand und eine Ladung Mauersteine oder für einige Tage einen Kran spendete.
    Seine nächste Arbeit im englischen Sheffield wird 150 Meter hoch. Dafür produzieren ansässige Firmen die benötigten 150 000 Mauersteine.
    "Es gibt einen schmalen Grad zwischen einer Skulptur und einen Gag. Ich versuche deshalb die Werke möglichst in ihre Umgebung einzubetten."
    Chinneck nennt dieses Bezugnehmen auf die Umgebung, dieses Achten und Anpassen in seiner Kunst an die Umwelt "contextual response".
    Und genau das kann er gerade gut in seiner neuen Heimat auf dem Land nachempfinden. Etwa wenn er über die unebene Wiese stolpert ...
    "Yes, that was the contextual response!"