Merz rate zu weniger Panik, schließlich sei Trump in der größten Demokratie der Welt gewählt worden. "Ich finde diese zum Teil hysterischen Reaktionen in Deutschland fehl am Platze." Merz betonte: "Die Deutschen haben in ihrer großen Mehrheit reflexartig positiv auf demokratische Präsidenten reagiert und reflexartig auf den größeren Teil der republikanischen Präsidenten abwehrend reagiert." Das habe sich in der Tat historisch meistens als falsch erwiesen. "Deswegen kann es durchaus sein, dass wir heute einen Präsidenten Donald Trump erleben, der bei seiner Amtseinführung eine gute Rede hält. Und es kann durchaus sein, dass von diesem Präsidenten noch manche positive Überraschung ausgeht."
Das komplette Interview:
Christoph Heinemann: Die "Atlantik-Brücke" ist laut Internetseite ein gemeinnütziger, privater und überparteilicher Verein, der das Ziel hat, eine Brücke zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten zu schlagen. Im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten steht das Bemühen um ein besseres gegenseitiges Verständnis. Soweit diese Selbstbeschreibung. Der Bedarf für Verständnis ist groß. Donald Trump ist politisch ein unbeschriebenes Blatt. Erste Äußerungen Richtung Europa, NATO, Deutschland und Angela Merkel geben zur Zuversicht wenig Anlass. Am Telefon ist der langjährige CDU-Spitzenpolitiker Friedrich Merz. Er ist Vorsitzender der "Atlantik-Brücke". Guten Morgen.
Friedrich Merz: Guten Morgen, Herr Heinemann.
"Die Brücke zwischen Europa und Amerika ist unverändert stabil"
Heinemann: Herr Merz, manchmal verdeutlichen Bilder ja Sachverhalte. Könnte man die transatlantische Brückenstruktur zu Donald Trumps Amtsbeginn mit dem Zustand der Rheinbrücken in Köln vergleichen, sie hängen noch, aber schwere Lasten tragen sie nicht mehr?
Merz: Guter Vergleich, aber ich glaube, er trägt im wahrsten Sinne des Wortes nicht wirklich. Die Brücke zwischen Europa und Amerika ist unverändert stabil und befahrbar, auch für schwere Lasten, um im Bild zu bleiben. Aber am anderen Ende des Atlantik, also auf der amerikanischen Seite könnte es sein, dass die Pfeiler langsam renovierungsbedürftig werden, um noch einmal im Bild zu bleiben. Wir werden abwarten müssen, was diese neue Regierung jetzt auch von Europa erwartet und wie die Zusammenarbeit mit Europa aussieht.
Heinemann: Thilo Kößler, unser Korrespondent hat das gerade so beschrieben: Es wird eine deutliche Zäsur sein, ein Wechsel in der politischen Kultur, eine an Nutzen und nicht mehr an Werten orientierte Politik. Erwarten Sie das auch?
Merz: Ja, das ist in der Tat eine denkbare Entwicklung in den nächsten Wochen und Monaten. Diese Entwicklung zeichnete sich ja auch schon in den letzten Jahren deutlich ab mit der Kritik etwa an den Europäern und ihrer mangelnden Bereitschaft, die Verteidigungsausgaben auf das Niveau anzuheben, das in der NATO schon seit vielen Jahren vereinbart worden ist. Es gibt in Amerika immer wieder einmal solche Wellenbewegungen auch des Protektionismus. Wir haben sie in den 70er-Jahren erlebt, wir erleben sie jetzt wieder. Aber noch einmal: Ich rate uns allen zu ein bisschen weniger Panik und zu ein bisschen mehr Gelassenheit und auch zur Beobachtung der tatsächlichen Entwicklung. Sie haben gerade in Ihrem Beitrag mit Ihrem Kollegen aus Washington die Hardliner und die ja auch sehr umstrittenen Personen genannt.
Heinemann: Steve Bannon und Michael Flynn.
Merz: Ja. Es gibt auf der anderen Seite Personen wie James Mattis, der neue Verteidigungsminister. Es gibt Rex Tillerson, der künftige Außenminister. Es gibt Mike Pompeo, der zukünftige CIA-Chef, der Vizepräsident, Mike Pence. Sie alle haben ja in den letzten Tagen und Wochen sehr deutlich ganz andere Worte gefunden, etwa zum NATO-Bündnis, zu Europa, zur Partnerschaft, zur Wertegemeinschaft mit den Europäern. Auch das wird interessant sein zu beobachten, wer sich denn dann in dieser neuen Regierung durchsetzt. Es gibt erkennbare große Richtungsunterschiede zwischen den einzelnen Personen, die jetzt in diese Regierung Trump eintreten. Das ist ein interessanter Prozess.
Heinemann: Die genannten Herrschaften sind ja in Berlin weitgehend unbekannt. Aber einen kennt man, nämlich den nationalen Geheimdienstkoordinator Dan Coats, den früheren US-Botschafter in Berlin. Der kennt auch Deutschland. Was versprechen Sie sich von ihm?
Merz: Ich verspreche mir von Dan Coats, dass er das Bild Europas und das Bild von Deutschland in dieser neuen Administration etwas weniger verzerrt darstellt und dass er auch mit seinen politischen Erfahrungen, die er in seiner langen Amtszeit als Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika in Deutschland gewonnen hat, einbringt in die Diskussionen, die jetzt ohne Zweifel in dieser Regierung beginnen.
Heinemann: Wie erklären Sie sich dieses verzerrte Deutschland-Bild?
Merz: Na ja. Die Amerikaner haben ja in ihrer Gesellschaft relativ wenig Interesse für Außenpolitik, wenig Interesse für andere Länder bis hin zu den Abgeordneten. Es gibt immer noch rund die Hälfte der Senatoren, die sich öffentlich der Tatsache berühmen, dass sie keinen Pass haben und deswegen auch gar nicht reisen können. Reisen ist in der amerikanischen politischen Öffentlichkeit sehr unpopulär, was ihre Politiker betrifft, und insofern ist Amerika immer ein Land gewesen, das sich in großen Teilen dieser Gesellschaft nach innen gewendet hat und damit anfällig war für falsche Darstellungen oder verzerrte Darstellungen der Lage der internationalen Politik. Aber es gibt natürlich auch eine gewisse Kriegsmüdigkeit in diesem Land. Die Amerikaner, die, die politisch interessiert sind, beobachten, wie die Amerikaner im Mittleren Osten Fehler gemacht haben, an Einfluss verlieren. Insofern ist es ein sehr gemischtes Bild über das, was da jetzt in der Außenpolitik, in der Europapolitik, in der Deutschlandpolitik in dieser Regierung entsteht. Aber noch einmal: Man wird abwarten müssen, wer sich denn dann auch in der Regierung durchsetzt: diejenigen, die auf die Wertegemeinschaft mit den Europäern setzen, oder diejenigen, die, wie soll ich sagen, dem amerikanischen Isolationismus jetzt neuen Auftrieb geben.
"Vollkommen ohne jede politische Erfahrung"
Heinemann: Wobei klar ist, das Sagen hat zunächst einmal der Chef, und damit mal zu Stilfragen. Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler, hat jetzt vor einem Deal gewarnt, einem Zusammenhang zwischen den Sanktionen gegen Russland und weiterer atomarer Abrüstung. Das hatte Trump ja in dem "Bild"-Zeitungsinterview angedeutet. "Das ist eine höchst fragwürdige Übertragung von Geschäftsprinzipien auf die Politik", sagt Gernot Erler von der SPD. Herr Merz, glauben Sie, dass mit Trump ein Geschäftsmann regieren wird?
Merz: Na das glaube ich nicht, das ist so. Wir haben das erste Mal jetzt einen Präsidenten im Amt in den Vereinigten Staaten, der vollkommen ohne jede politische Erfahrung ist, der noch nie in einem Parlament war, noch nie in einer Regierung war. Das ist einmalig, das hat es in dieser Form noch nie gegeben, jedenfalls in jüngerer Zeit nicht. Und er wird natürlich aus seinen wirtschaftlichen Erfahrungen als Immobilienunternehmer versuchen, Erfahrungsprinzipien auf die Politik zu übertragen und Deals zu machen. Das hat er ja nun auch mehrfach angekündigt. Die Frage ist, was daraus wird. Wenn es so kommt, dass jetzt Dealmaker wie Trump und Putin, vielleicht Erdogan, Xi Jinping, der chinesische Staatspräsident, sich zusammenfinden und die Welt in Einfluss-Sphären aufteilen und sie sich gegenseitig zusagen, die jeweilige Einfluss-Sphäre nicht zu beeinträchtigen, dann haben wir es mit einer vollkommen neuen Lage zu tun. Dann tritt an die Stelle der bisherigen liberalen Weltordnung, die auf der Basis des Völkerrechts und internationaler Verträge beruhte, eine Welt von Dealmakern, die dann sich gegenseitig sozusagen ihre Einflüsse und ihre Machtsphären garantieren. Das wäre in der Tat eine fundamentale Veränderung der gesamten globalen Ordnung, aber so weit ist es noch nicht. Und wie gesagt, es gibt in dieser Regierung offensichtlich eine ganze Reihe wesentlicher Mitglieder, die das vollkommen anders sehen. Der Wert der NATO, der Wert der transatlantischen Beziehungen ist ja etwa vom neuen Außenminister, vom neuen Verteidigungsminister mehrfach deutlich betont worden und da verlaufen offensichtlich Bruchlinien zwischen dem neuen Präsidenten und wesentlichen Mitgliedern seines Kabinetts.
Heinemann: Soweit ist es noch nicht, haben Sie gerade gesagt. Gleichwohl fällt ja in Europa immer das Herz in die Hose, wenn ein Republikaner das Amt antritt. Der Historiker Thomas Speckmann hat in der "Süddeutschen Zeitung" geschrieben, die Bilanz der republikanischen Präsidenten falle aus europäischer und aus deutscher Sicht besser aus als die der Demokraten. Und dann hat er Beispiele genannt. Unter Eisenhower wurde der freie Teil Deutschlands in die NATO aufgenommen. Nixons Entspannungspolitik bereitete Willy Brandts Ostpolitik den Weg. Reagan rüstete den Warschauer Pakt in die Knie und Bush Senior half entscheidend bei der Wiedervereinigung. Herr Merz, könnte Trump auch positiv überraschen?
Merz: Ich habe den Beitrag von Speckmann in der "Süddeutschen Zeitung" gestern gelesen, teile ihn weitgehend, und es war eine interessante Analyse nicht nur der amerikanischen Politik, sondern auch der deutschen Befindlichkeit. Die Deutschen haben in ihrer großen Mehrheit reflexartig positiv auf demokratische Präsidenten reagiert und reflexartig auf den größeren Teil der republikanischen Präsidenten abwehrend reagiert. Das hat sich in der Tat historisch meistens als falsch erwiesen, sowohl in die eine wie in die andere Richtung. Deswegen kann es durchaus sein, dass wir heute einen Präsidenten Donald Trump erleben, der bei seiner Amtseinführung eine gute Rede hält. Das schließe ich gar nicht aus. Und es kann durchaus sein, dass von diesem Präsidenten noch manche positive Überraschung ausgeht. Ich rate uns deswegen zu ein bisschen mehr Gelassenheit. Der Präsident ist gewählt, auch das sollte man nicht vergessen. Er hat sich ja nicht ins Amt geputscht. Er ist in der größten Demokratie der Welt gewählt worden und er stellt jetzt seine Mannschaft zusammen und er fängt ab heute an, zu regieren. Also warten wir ab, was daraus wird. Ich finde diese zum Teil hysterischen Reaktionen in Deutschland fehl am Platze, aber wir müssen abwarten, was tatsächlich daraus wird, und etwas nüchtern die Lage betrachten.
Heinemann: Friedrich Merz, der Vorsitzende der "Atlantik-Brücke". Danke schön und auf Wiederhören!
Merz: Auf Wiederhören, Herr Heinemann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.