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US-Präsidentschaftswahl
"Kein rechtlicher Anknüpfungspunkt für die Klagen von Trump"

Es gebe keine Anhaltspunkte, die die Klagen von US-Präsident Donald Trump stützen würden, sagte der Staatsrechtler Alexander Thiele im Dlf. Trump wolle damit vermutlich die Auszählungen verlangsamen. Denn sollte am 12. Dezember kein Ergebnis feststehen, könne Trump vermutlich durch einen Gerichtsentscheid im Amt bleiben.

Alexander Thiele im Gespräch mit Sandra Schulz |
Der Supreme Court, das höchste Gericht der USA.
Der Supreme Court ist aktuell überwiegend mit konservativen Mitgliedern besetzt (picture alliance/dpa/Yegor Aleyev/TASS)
Donald Trump spricht von einer gestohlenen Wahl, sieht sich als Sieger und möchte gegen die Ergebnisse klagen. Beweise für den angeblichen Wahlbetrug hat er aber bisher nicht vorgelegt. Welche juristischen Optionen hat Trump nun? Darüber haben wir mit Alexander Thiele gesprochen. Er ist Staatsrechtler an der Universität Göttingen und auch Fachmann fürs US-Verfassungsrecht.
Sandra Schulz: Diese Ankündigung Trumps, vor den Supreme Court zu ziehen, können Sie sich inzwischen einen genaueren Reim darauf machen?
Alexander Thiele: Unmittelbar zum Supreme Court kommt er nicht. Ich glaube, das ist mittlerweile auch bekannt, dass er, da wir ja eine Wahl in 50 Einzelstaaten quasi haben, wenn er Unregelmäßigkeiten rügen möchte, erst mal zu den bundesstaatlichen Gerichten muss, und das hat er ja auch schon getan. Er hat ja seine Anwälte schon losgeschickt und einzelne Entscheidungen gibt es auch, die die Auszählung betreffen, dass die stoppen soll, und Ähnliches. Am Ende könnte er natürlich, wenn er verliert und soweit er verliert, immer weitergehen, und das ginge dann theoretisch auch bis zum Supreme Court. Das heißt, am Ende könnte der tatsächlich auch eine Rolle spielen.
"Rechtlich, glaube ich, ist da nichts dran"
Schulz: Es war im Jahr 2000 ja auch so, dass dort faktisch die Entscheidung vor dem Supreme Court getroffen wurde. Halten Sie das jetzt auch für wahrscheinlich?
Thiele: Die Fälle sind nur auf den ersten Blick sehr ähnlich. Im Jahr 2000 gab es ein anderes Wahlsystem in Florida vor allen Dingen. Da gab es Loch- und Stanzkarten. Das war ein bisschen problematisch zu erkennen bei manchen der Stimmen, weil die Wahlmaschinen alt waren, welche Stimme ist jetzt schon gültig abgegeben, oder ist hier nur halb angestanzt. Das heißt, das war eine wirkliche Frage, und da war auch rechtlich unklar, welche Standards man da eigentlich anlegen muss. Um diese Frage ging es dann letztlich und da hat dann irgendwann der Supreme Court gesagt, das können wir jetzt nicht abschließend endgültig klären, sondern wir machen jetzt Schluss mit der Nachzählung, Bush hat gewonnen.
US-Präsident Donald Trump bei einem seiner Statements.
Donald Trump wiederholt seinen Vorwurf des Wahlbetrugs
US-Präsident Donald Trump sieht sich als Sieger, viele Stimmen gegen ihn seien illegal. Beweise dafür lieferte er nicht. Ranghohe Republikaner gehen inzwischen auf Distanz zum Präsidenten, sein Vorgehen sei gefährlich.
Hier ist es anders, weil wir eigentlich keinerlei rechtlichen Anknüpfungspunkt haben für die Klagen von Trump. Das ist ja in der CNN-Kopfzeile auch schon deutlich geworden. Es läuft ja alles nach Plan. Er behauptet zwar, dass ganz viel schiefläuft, aber es läuft eigentlich bisher, soweit man das überblicken kann, alles so, wie es sein soll. Und für ein Gericht braucht man schon irgendeinen Anknüpfungspunkt, um eine Entscheidung jetzt für Trump zu treffen, und den sehe ich einfach nicht. Das heißt, rechtlich, glaube ich, ist da nichts dran. Trotzdem könnte die Verzögerung allein schon für Trump ein Erfolg sein und vielleicht auch seine Strategie sein, um ihn im Amt zu halten.
"Die Verzögerung allein könnte schon die Strategie sein"
Schulz: Wir wissen jetzt aber, dass Trumps Anwälte, sein Anwaltsteam versuchen, in so vielen Wahllokalen, in so vielen Auszählungsorten wie möglich präsent zu sein, und wir wissen auch aus früheren Wahlen, dass es da durchaus Schlampigkeiten gegeben hat. Wenn die jetzt auf der Suche sind nach einem falsch gesetzten Komma, ist die Wahrscheinlichkeit dann nicht durchaus da, dass sie da auch was finden werden?
Thiele: Ja, die ist da, und ich glaube nicht, dass am Ende was da dran ist. Aber wie ich gerade sagte: Die Verzögerung allein könnte schon die Strategie sein, und das wiederum hängt mit dem seltsamen Wahlsystem für den Präsidenten zusammen. Denn wenn es tatsächlich so ist, dass es unklar ist, nicht abschließend geklärt ist, wer den Staat gewonnen hat, dann haben wir trotzdem Fristen, bis zu denen dieses Ergebnis feststehen muss. Die Gesetzgeber der Bundesstaaten könnten auf die Idee kommen zu sagen, das Ergebnis der Wahl ist unklar in unserem Staat, wir müssen aber jetzt langsam ein Ergebnis liefern, weil bis Anfang Dezember müssen die Wahlmänner und Wahlfrauen irgendwann stehen, das entscheiden wir jetzt einfach selber, so wie es die Verfassung eigentlich vorsieht. Da steht nämlich gar nicht drin, dass die Bundesstaaten eine Wahl abhalten müssen. Das machen die alle. Aber eigentlich steht da drin, dass der bundesstaatliche Gesetzgeber die Wahlmänner entsendet. Nun gibt es tatsächlich einige konservative Richter auch am Supreme Court, die sagen, wenn das Wahlergebnis unklar ist zu einem Zeitpunkt, wo das Ergebnis aber feststehen muss, dann könnte theoretisch der Gesetzgeber des Bundesstaates die Wahlmänner einfach selber entsenden. Das sind konservative Gesetzgeber und die schicken dann die Trump-Leute. Das ist vielleicht die Strategie, die Trump gerade fährt.
Demonstrant mit "Count all votes"-Plakat am Abend der Präsidentschaftswahl auf der Black Lives Matter Plaza in Washington D.C.
Wo die Wahl jetzt entschieden wird
Donald Trump hatte den Wahlsieg schon früh für sich reklamiert, aber auch Joe Biden gibt sich siegesgewiss. Noch ist die Wahl nicht entschieden, Donald Trump aber wiederholte den Vorwurf des Wahlbetrugs, Beweise legte er nicht vor.
Früher waren die Wahlleute nicht weisungsgebunden
Schulz: Es würden in diesem Szenario Politiker und Politikerinnen, wenn ich Sie richtig verstehe, darüber entscheiden, wie der Bundesstaat abstimmt. Ist das nicht ein Punkt, an dem das US-Wahlrecht Grundsätze von Demokratie und Rechtsstaat ad absurdum führt?
Thiele: Das kann man heute so sehen. Aber die ursprüngliche Idee war eine andere. Die ursprüngliche Idee der Verfassung war nicht, dass die Wahlmänner bereits wissen, wen sie wählen sollen, sondern ursprünglich war die Idee, dass dieses Gremium zusammenkommt und sich auch die Person des Präsidenten selber überlegt, also wirklich eine Wahl und eine Diskussion führt. Das ist heute anders. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts haben wir dieses System, wo wir vorher schon Kandidaten haben, die dann irgendwie verbindlich gewählt werden sollen. Vorgesehen war das anders in der Verfassung und deswegen auch die etwas seltsame Regelung, dass eigentlich die bundesstaatlichen Gesetzgeber entscheiden, wen sie da hinschicken.
Schulz: Die Frist läuft bis Anfang Dezember, oder? Helfen Sie uns da mal weiter.
Thiele: Genau. Das ist diese Safe Harbor Rule, die ist bundesstaatlich festgelegt. Das ist deswegen so, weil das Wahlmänner-Gremium abstimmen muss – am 14. Dezember ist das, glaube ich, in diesem Jahr vorgesehen –, und am 6. Januar werden die dann im Kongress gezählt. Das ist immer so. Und am 20. Kommt dann die Vereidigung des neuen Präsidenten.
Das heißt: Wenn wir bis zum 8. Dezember kein Ergebnis haben, oder sagen wir mal Ende November kein feststehendes Ergebnis, könnte dieses Szenario eintreten. Ich hielte das für eine fundamentale Verfassungskrise, wenn das tatsächlich ein Bundesstaat so machte. Nur rechtlich könnte das tatsächlich von den konservativen Richtern gehalten werden. Was das dann für die Gesellschaft bedeutet und wie das akzeptiert wird, ist eine andere Frage, aber rechtlich könnte das der Weg sein, den Trump hier anstrebt.
"Tatsächlich ein Weg, wie Trump am Ende die Präsidentschaft halten könnte"
Schulz: Und es gäbe dann nicht, so wie wir es aus dem deutschen Recht ja kennen, die Möglichkeit, wenn dieser Termin im Dezember bevorsteht zu sagen, das hat jetzt aber wirklich Eile und dann einen Eilantrag zu stellen?
Thiele: Ja, das ist schwierig. Das ist nicht so ganz leicht, weil der Verfassungstermin mit dem 20. Januar 2021, der steht in der Verfassung. Den kann man auch nicht einfach so übergehen. Von daher war es ja auch beim letzten Mal so, dass der Supreme Court im Jahr 2000, insofern durchaus vergleichbar, gesagt hat, tut mir leid, bis heute müssen die Ergebnisse feststehen, jetzt ist Schluss mit Nachzählen. Das war damals der 12. Dezember. Deswegen gehe ich auch davon aus, dass die Gerichtsentscheidungen bis zum 12. fertig sind und abgeschlossen sind. Das Problem ist, was ich sehe, dass vielleicht diese Strategie gefahren wird, dass Trump dann zum Gesetzgeber in Pennsylvania sagt, entscheide Du das doch bitte jetzt, ist unklar, also mach das bitte, und die Mehrheiten sind dann pro Trump möglicherweise.
Schulz: Und wenn wir vorher beim Supreme Court sind, dann kommt auch die Neubesetzung ins Spiel, die wir ja zuletzt gesehen haben: die konservative Richterin, die Trump noch ganz kurz vor der Wahl durchgebracht hat.
Thiele: Genau. Wir haben da eine konservative Mehrheit, eine klare konservative Mehrheit mit einer Richterin, die dem sogenannten Originalism anhängt, die Verfassung so verstehen will, wie die Gründungsväter das verstanden haben, und das spricht natürlich schon dafür, dass sie dann auch sagen würde, na ja, hier in Artikel zwei – das ist der Artikel, um den es geht – steht drin, die bundesstaatlichen Legislativen entscheiden, das machen die jetzt, ist doch alles gut. Vor dem Hintergrund wäre das vielleicht auch tatsächlich ein Weg, wie Trump am Ende die Präsidentschaft halten könnte – rechtlich. Ob er sie wirklich dann behält, weil die Gesellschaft möglicherweise in Aufruhr gerät, ist eine andere Frage.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das Bild zeigt die amerikanische Flagge, Dossier zur US-Wahl 2020 
Wahlen in den USA (picture alliance / Wolfram Steinberg)