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US-Strategie gegen China
"Biden sucht Verbündete, aber er will die Führungsrolle einnehmen"

US-Präsident Joe Biden versucht nach Ansicht von Politikwissenschaftler Thomas Jäger, eine Allianz gegen die Dominanz Chinas zu schmieden und politische Gegenkonzepte zu entwickeln. Das solle langfristig auch der Zweck der G7 werden. Andere Staaten müssten sich dann zwischen beiden Seiten entscheiden.

Thomas Jäger im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
US-Präsident Joe Biden vor einer amerikanischen Flagge
US-Präsident Joe Biden (picture alliance / AP/ Toby Melville)
Die Staats- und Regierungschefs aus sieben Industriestaaten kommen zum G7-Gipfel im südenglischen Cornwall zusammen. Für US-Präsident Joe Biden ist das Treffen Teil seiner ersten Auslandsreise nach Europa. Auf dem G7-Gipfel soll es unter anderem um die Coronakrise und den Klima- und Artenschutz gehen. Die G7 wollen ärmeren Staaten mit einer Milliarde Impfdosen gegen das Coronavirus helfen. Die US-Regierung hatte schon vor dem Treffen eine Spende von 500 Millionen Impfdosen zugesagt.
Zu den G7 gehören Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA. Außerdem ist die Europäische Union bei allen Treffen vertreten. Das G7-Format galt schon als aus der Zeit gefallen, weil aufstrebende Nationen wie China, Indien oder auch Südafrika nicht dabei sind. Aber nicht zuletzt nach Donald Trump und dem zunehmend repressiven Kurs Chinas und Russlands hat G7 eine Renaissance erlebt.

Gegenkonzepte zu Chinas Dominanz entwickeln

Der Politikwissenschaftler Thomas Jäger von der Universität Köln erläutert im Interview, dass die G7 künftig den klaren Zweck verfolgen könnten, die Dominanz Chinas zu verhindern – wenn US-Präsident Joe Biden sich mit dieser Strategie durchsetze. Bidens Europareise habe das Ziel, hier eine Allianz zu schmieden. Es gehe um Gegenkonzepte auf den Feldern, wo China Dominanz anstrebe: im Handel, beim technologischen Fortschritt, in den Wirtschaftsbeziehungen zu anderen Staaten. Bidens Impfdiplomatie sei "ein erster Schritt, anderen Staaten den Vorteil durch die demokratischen Staaten zu organisieren". Damit seien allerdings auch die Zeiten vorbei, in denen andere Staaten sich nicht hätten positionieren müssen zwischen beiden Seiten.
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Das Interview im Wortlaut:
Jörg Münchenberg: Herr Jäger, kann man sagen, Totgesagte wie G7 leben am Ende doch länger?
Jäger: In unterschiedlichen Formaten sind diese G-Formate ja eine Entwicklung gewesen. Die G7 hatten sich irgendwann überholt, als der Ost-West-Konflikt auslief, und dann kamen die G20 mit der Finanzkrise. Die G8 wurden dann wieder zur G7 und was wir jetzt erleben ist ja ein ganz eigentümliches Format: Es ist die Revitalisierung der transatlantischen und transpazifischen Schiene durch die Vereinigten Staaten gleichzeitig, denn neben den europäischen Verbündeten sind auch da das G7-Mitglied Japan, aber auch Australien, Indien und Südkorea, der Kern der amerikanischen Verbündeten im Pazifik.

"Revitalisierung einer demokratischen Organisation"

Münchenberg: Wie wichtig sind trotzdem solche Treffen? Da geht es ja auch darum, dass sich Staats- und Regierungschefs treffen, die die gleichen Werte und Normen letztlich vertreten.
Jäger: Ja! Das war, nachdem man Russland wieder aus dem G-Format draußen hatte, die Revitalisierung einer demokratischen Organisation. Und das ist etwas, was etwa Boris Johnson machen wollte. Der wollte die D10 gründen. Jetzt spricht man von den G11. Mal sehen, wohin sich das entwickelt. Wichtig ist, dass man sich persönlich sieht, weil das eine oder andere wirklich nur in direktem Kontakt der Entscheider beantwortet werden kann, und vor allem, weil man sich darüber immer wieder verständigen muss, in welche Richtung gemeinsam Politik betrieben wird. Da geht es nicht um Details; das arbeiten andere aus. Aber etwa diese Formate, die wir jetzt sehen, die lange Reise von Joe Biden, die hat ja nun den Sinn, eine Allianz gegen die Dominanz Chinas zu schmieden, und da muss man sich ab und zu mal in die Augen schauen, denn wie das im letzten Beitrag gesagt wurde: So immer weiß man nicht, wo die anderen stehen.

"Multilateralismus amerikanischer Art"

Münchenberg: Darauf kommen wir gleich zu sprechen. – Biden hat ja ganz klare Zeichen gesetzt, jetzt auch im Vorfeld dieser Reise. Die USA sind zum Beispiel dem Klimaabkommen wieder beigetreten. Das ist ein Herzensprojekt auch der Europäer. Er hat zum Beispiel auch auf die scharfe Kritik an der umstrittenen Gas-Pipeline Nord Stream 2 verzichtet. Man kann das doch schon so werten, das ist ein klares Signal: Der amerikanische Präsident sucht wieder den Schulterschluss mit den Europäern?
Jäger: Er sucht Verbündete, aber er will die Führungsrolle einnehmen. Das hat er gestern ganz deutlich gemacht. Er hat seine Rede gestern etwa mit dem Begriff begonnen, den Boris Johnson überhaupt nicht mehr hören will, mit der "special relationship". Und er wird den Europäern jetzt im Verlauf der Reise, wenn er auch zur Nato und zur EU geht, das eine oder andere noch mit auf den Weg geben. Die Vereinigten Staaten wollen diese Allianz anführen. Insofern kann man sagen, der Multilateralismus ist zurück, aber es ist ein Multilateralismus amerikanischer Art und da hat einer ein bisschen mehr zu sagen als die anderen. Und die anderen Staaten haben sich in der Zwischenzeit nicht organisiert; sie haben den Trump-Schock einfach nur ausgehalten, nicht politisch verarbeitet, und jetzt ist die Frage, wer reiht sich wie ein.

"Allianz gegen den chinesischen Anspruch auf Dominanz"

Münchenberg: Sie sagen, die Amerikaner wollen die Führungsrolle einnehmen. Da sind wir auch schon bei China, weil Biden wird jetzt auch versuchen, die Partner auf eine gemeinsame Haltung gegenüber China einzuschwören, weil Peking zunehmend aggressiv wie repressiv auftritt. Kann man sagen, China ist der neue Feind des Westens?
Jäger: Nicht Feind und ich würde auch nicht so weit gehen, wie das jetzt mancherorts zu lesen ist, dass man sagt, es ist eine gegen China gerichtete Allianz. Nein, es ist eine gegen den chinesischen Anspruch auf Dominanz gerichtete Allianz, und das beinhaltet zwei Konsequenzen: Die erste ist, dass auf den Feldern, wo China Dominanz anstrebt, nämlich im technologischen Fortschritt, im Handel, in den Wirtschaftsbeziehungen zu anderen Staaten, jetzt auf einmal Gegenkonzepte entwickelt werden. Die "Neue Seidenstraße" wird nicht mehr alleine bleiben, sondern es wird ein Gegenkonzept dafür geben. Und die Impfdiplomatie, die Joe Biden gestern mit dem großen Wurf begonnen hat, ist ein erster Schritt, anderen Staaten den Vorteil durch die demokratischen Staaten zu organisieren. Das was die USA im Innern versuchen ist, die wirtschaftlich stärkste Macht zu bleiben.
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Das zweite ist, dass man weiß, dass man mit China auf ganz vielen Gebieten zusammenarbeiten muss, etwa im Bereich des Klimawandels und anderer Fragen. Aber da gibt es selbstverständlich eine ganze Reihe von Fallgruben auf dem Weg, Taiwan nur zu nennen, bei denen man nicht weiß, wie die sich entwickeln und welche Auswirkungen sie dann wirklich auf das Verhältnis zueinander haben, so dass es feindlich werden könnte. Aber das ist aus meiner Sicht noch nicht ausgemacht.

"Neutral in der Mitte bleiben - das ist vorbei"

Münchenberg: Sie sagen, man versucht, hier eine Strategie zu entwickeln. Aber die Frage ist: Wir haben die extremen wirtschaftlichen Abhängigkeiten, gerade wenn man auf die deutschen Autobauer schaut, die in China sehr stark vertreten sind. Die Frage ist schon: Wieviel Geschlossenheit ist da tatsächlich möglich? Weil die Europäer gerne auch über Menschenrechte zum Beispiel reden, auch gerne über Strategien, aber wenn es dann konkret wird, duckt man sich doch gerne weg oder stellt sich gerne hinter den Rücken der USA?
Jäger: Ja, und die Fragen liegen jetzt auf dem Tisch, sodass diese Politik, die in den letzten Jahren ja gemacht wurde, man kann mit beiden gut, man will sich nicht entscheiden, man bleibt neutral in der Mitte, man versucht, die Beziehungen nicht politisch werden zu lassen - das ist vorbei. Das ist aus der Zeit gefallen, das ist weg. Jedenfalls solange die Amerikaner unter Joe Biden die Strategie verfolgen, die sie jetzt aufgelegt haben.
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Sein großes Problem ist, dass seine Partner nicht wissen, wie sieht das denn in vier Jahren aus. Ist das wirklich verlässlich? Ist das eine amerikanische Strategie für die nächsten Jahrzehnte, oder nur eine Biden-Strategie, die dann von einem anderen Präsidenten wieder umgedreht werden kann? Aber diese Vorstellung, man kann in diesem Konflikt sich so weit herausziehen, dass man gar nicht wählen muss, wo gehört man hin, mit wem hat man die besseren Beziehungen als mit den anderen, die Zeit ist vorbei und das werden die deutschen Autobauer dann irgendwann spüren.

"Bidens Impfstoff-Diplomatie ist glaubwürdig"

Münchenberg: Sie haben die Impfdosen-Spenden schon angesprochen. Insgesamt sollen ja eine Milliarde Impfdosen weitergegeben werden an ärmere Staaten. Aber da stellt sich schon die Frage: Wie glaubwürdig ist das? Die USA als auch Großbritannien haben ja lange Zeit erst mal einen nationalen Kurs gefahren, haben gesagt, unsere Bevölkerung zuerst. Jetzt plötzlich kommt dieser Schwenk. Wie glaubwürdig ist das?
Jäger: Das ist glaubwürdig aus zwei Gründen. Der erste ist: Etwa in den Vereinigten Staaten gibt es momentan mehr Impfstoff als Impfbereitwillige. Insofern gehen die ersten 25 Millionen Dosen jetzt auch schon aus dem Land heraus, weil man den Impfstoff nicht braucht. Die sind in einer anderen Lage als in Deutschland, wo hier immer noch Mangel herrscht und die Versorgung nicht ausreichend ist. Das zweite ist: Diese 500 Millionen, von denen Biden gesprochen hat, die sind gestreckt bis zum nächsten Sommer. Er wird die Zusage von Pfizer haben, dass man das bis dahin produzieren kann. Wenn die Produktion entsprechend hochgefahren wird, dann ist das glaubwürdig. Da kommt er nicht mehr hinter zurück.
Und vielleicht noch ein Aspekt, der ganz interessant dabei ist: Es war ja immer so, dass die Demokratien ihre Hilfen an ärmere Staaten mit Bedingungen verknüpft haben – Menschenrechte, gutes Regieren. Joe Biden hat gestern definitiv gesagt, es wird keine Bedingungen geben, jeder bekommt das. Und das ist etwas, das war bisher das Markenzeichen Chinas zu sagen, uns ist egal, wie ihr regiert.
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Münchenberg: Herr Jäger, noch eine letzte abschließende Frage und anknüpfend an den Beginn unseres Gesprächs: Wird der Westen, wird G7 damit auch am Ende wieder attraktiver für die Welt, für andere Staaten?
Jäger: Ja, man wird stärker darauf schauen. Sie werden wichtiger, weil sie sich schärfer organisieren und dann auch einen klaren Zweck haben, nämlich die Dominanz Chinas zu verhindern, wenn sich die Amerikaner damit durchsetzen. Das muss man ja abwarten und da liegt dann der Teufel nicht nur im Detail, sondern in der Entwicklung zwischen den Treffen. Hält man sich wirklich daran oder aber wird das Gegenhandeln Chinas, das ja darauf bestrebt ist, diese Staaten eng an sich zu binden und wirtschaftlichen, politischen Einfluss zu finden, das konterkarieren können? Das ist das, was wir in den nächsten Jahren beobachten werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.