Freitag, 19. April 2024

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US-Verhandlungen mit den Taliban
"Dieses Abkommen werden viele sehr problematisch finden"

Eine Einigung zwischen den USA und den Taliban bedeute noch keinen Frieden für das Land, sagte der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig im Dlf. Nun müssten auch Kabul sowie andere politische und zivilgesellschaftliche Kräfte eingebunden werden – und die seien in Afghanistan sehr fragmentiert.

Thomas Ruttig im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 30.08.2019
Members of Afghan delegations gather during the second day of the Intra Afghan Dialogue talks in the Qatari capital Doha on July 8, 2019. - Dozens of powerful Afghans met with a Taliban delegation on July 8, amid separate talks between the US and the insurgents seeking to end 18 years of war. The separate intra-Afghan talks are attended by around 60 delegates, including political figures, women and other Afghan stakeholders. (Photo by KARIM JAAFAR / AFP)
Kann ein Frieden mit den Taliban funktionieren? Anfang Juli kam es in Doha bereits zu einem ersten Treffen zwischen einer afghanischen Delegation und Vertretern der Taliban (AFP / Karim Jaafar)
Ann-Kathrin Büüsker: Noch immer verhandeln die USA und die Taliban in Doha über den Frieden, Frieden für Afghanistan. Der Krieg des Westens gegen die Terroristen dort hält mittlerweile seit fast 18 Jahren an. Der US-Verhandlungsführer Zalmay Khalilzad ist weiterhin optimistisch. Bis Sonntag sollte ursprünglich ein Abkommen stehen. Beinahe täglich heißt es, eine Einigung steht unmittelbar bevor. Aber sie ist noch nicht verkündet.
Gestern erklärte US-Präsident Trump in einem Interview, er wolle angesichts der bevorstehenden Einigung die Zahl der US-Soldaten auf 8.600 reduzieren. Einen Zeithorizont nannte er nicht. Eigentlich will er ja alle Soldaten möglichst schnell abziehen. Das würde dann wohl auch ein Ende des NATO-Einsatzes zur Unterstützung der Ausbildung afghanischer Kräfte bedeuten, bei dem Deutschland größter Truppensteller ist.
Wie kann ein Frieden mit den Taliban überhaupt funktionieren? Darüber möchte ich jetzt mit Thomas Ruttig sprechen, seit vielen Jahren Kenner des Landes. Er arbeitet für das Afghanistan Analysts Network, einer Non-Profit-Organisation. Einen schönen guten Morgen!
Thomas Ruttig: Guten Morgen, Frau Büüsker.
Büüsker: Wie optimistisch blicken Sie auf die Verhandlungen mit den Taliban?
Ruttig: Mitteloptimistisch. Es sieht tatsächlich so aus, dass das Abkommen jetzt demnächst zustande kommen wird. Es gibt Anzeichen dafür, dass die Verhandlungen in Doha vorbei sind und es noch letzte Abstimmungsrunden gibt. Dieses Dokument soll in drei Sprachen herauskommen, Englisch und den beiden Landessprachen, Dari und Paschtu. Da gibt es immer Probleme, wenn man das übersetzen muss. Aber der Punkt ist: Dieses Abkommen zwischen den USA und den Taliban, das bilaterale Abkommen, ist noch kein Friedensabkommen. Vor allen Dingen, weil auch die afghanische Regierung und andere politische und zivilgesellschaftliche Kräfte Afghanistans nicht mit am Tisch gesessen haben und jetzt eine zweite Runde von Verhandlungen, nämlich zwischen diesen verschiedenen afghanischen Akteuren beginnen muss. Das wird wohl auch in diesem Abkommen stehen.
"Der Krieg geht weiter"
Büüsker: Wie kann das denn tatsächlich gelingen, jetzt die afghanische Regierung einzubinden, weil die Taliban lehnen die ja schlichtweg ab?
Ruttig: Ja, genau. Deswegen besteht das Abkommen bisher ja auch nur aus zwei Punkten, nicht aus diesen vier Punkten, die Khalilzad eigentlich vorgesehen hatte, nämlich eine Einbindung der afghanischen Regierung und auch eine permanente landesweite Feuereinstellung. Er hat eine neue Formel gefunden sogenannter innerafghanischer Verhandlungen, an denen ein sogenanntes inklusives breites Verhandlungsteam aus Kabul anreisen soll, in dem nicht nur die Regierung vertreten ist, sondern auch die politische Opposition, zivilgesellschaftliche Kräfte, Frauen.
Thomas Ruttig Afghanistan Analysts Network
Thomas Ruttig, Co-Direktor des Afghanistan Analysts Network (dpa / picture alliance / AAN)
Man muss jetzt sehen, ob es tatsächlich in dieser Zusammensetzung dazu kommt. Angeblich soll dieses Team aus 15 Mitgliedern schon benannt worden sein, aber die Namen sind noch nicht öffentlich, und wir müssen jetzt sehen, ob tatsächlich die Unterschrift unter dieses Abkommen geleistet wird. Khalilzad will auch nach Kabul fahren, falls er nicht schon da ist - das ist im Moment noch nicht ganz klar -, um es mit der afghanischen Regierung abzustimmen oder es ihr vorzulegen. Da gibt es wahrscheinlich dann kaum noch Einspruchsrechte, obwohl in der letzten Zeit auch konsultiert worden ist. Dann könnte es zumindest nach seinen Vorstellungen relativ schnell gehen, dass diese interafghanischen Gespräche beginnen.
Büüsker: Wie sehr kann man denn den Taliban tatsächlich überhaupt vertrauen? Es gab ja auch parallel zu den Verhandlungen in Doha immer wieder Anschläge.
Ruttig: Ja, das ist richtig. Aber auch nicht alle Anschläge stammen von den Taliban, sondern viel hat mit dem örtlichen Ableger des "Islamischen Staates" zu tun, der ja nicht Gegenstand – doch, Gegenstand der Verhandlungen wahrscheinlich schon ist, aber nicht an den Verhandlungen beteiligt ist. Der Krieg geht weiter. Er ist aber auch von den Amerikanern und den afghanischen Streitkräften sehr stark eskaliert worden. Im ersten Halbjahr diesen Jahres haben die mehr Zivilisten in Afghanistan getötet als Taliban und "Islamischer Staat" zusammen. Das darf man auch nicht vergessen.
Kompromisse auf Kosten der fortschrittlichen Staatsverfassung möglich
:!! Das heißt aber: Selbst wenn jetzt ein Frieden mit den Taliban gelingt, ein Frieden für ganz Afghanistan wird nicht möglich sein, weil es noch viele andere terroristische Akteure im Land gibt?
Ruttig: Ja, das ist richtig. Allerdings muss man dazu sagen, dass der "Islamische Staat" und einige andere kleine Gruppen bei Weitem zusammen das Gewicht nicht haben, das die Taliban haben. Kommt es wirklich zu einem Frieden - und hier geht es jetzt erst mal um einen Waffenstillstand -, dann könnte sich die Lage in Afghanistan schon relativ weitgehend beruhigen. Aber es kann sein, dass der "Islamische Staat" weiter Terroranschläge verübt. Aber wie gesagt, der Waffenstillstand wird jetzt erst Gegenstand dieser innerafghanischen Verhandlungen sein. Die sind sehr kompliziert und können sich lange hinziehen. Deswegen kann man das jetzige Abkommen noch nicht als Friedensabkommen bezeichnen. Und vor allen Dingen wird den Afghanen das auch nicht so vorkommen. Die wünschen sich ja nichts mehr, als dass jetzt nach 40 Jahren Krieg tatsächlich die Kämpfe in ihrem Land und natürlich auch der Terror in ihrem Land aufhören.
Büüsker: Was bekommen Sie denn tatsächlich von den Menschen in Afghanistan gespiegelt? Wie nehmen die diese Verhandlungen wahr?
Ruttig: Diese Verhandlungen ziehen sich ja schon mindestens seit Oktober vergangenen Jahres hin, und das wird natürlich sehr, sehr aufmerksam in Afghanistan verfolgt, sowohl von der sogenannten politischen Klasse, aber natürlich auch von den einfachen Leuten, die einfach dadurch, dass sie und ihre Familien von diesem Krieg am meisten betroffen sind, politisiert worden sind und das verfolgen. Aber das Meinungsspektrum ist natürlich breit. Das reicht von Leuten, die sagen, bloß Frieden jetzt, Ende des Krieges, egal was uns das kostet. Bis hin zu denjenigen, die vielleicht auch am meisten jetzt im positiven Sinne von den Entwicklungen der letzten 18 Jahre profitiert haben. Nämlich bestimmte politische und Menschenrechte errungen haben, die Frauen, die wieder arbeiten gehen können, jedenfalls dort, wo es die Familien erlauben. Es sind ja nicht immer nur die Taliban, die solchen Dingen im Wege stehen. Eine Verfassung, die relativ fortschrittlich ist, auch wenn sie an allen Ecken und Enden immer wieder zurückgerollt und nicht eingehalten wird. Das alles könnte in Verhandlungen verlustig gehen, denn eins ist klar: Die Taliban, wenn mit denen jetzt gesprochen wird, sind ein sehr starker Akteur. Sie verlangen, dass das politische System inklusive der Verfassung geändert wird, "reformiert", sagen sie. Und dann muss man Kompromisse eingehen und diese Kompromisse werden natürlich nicht in Richtung fortschrittlicher Staatsverfassung aussehen.
Frauen mit Kopftuch sitzen in einem großen Raumund klatschen.
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"Es herrscht Misstrauen"
Büüsker: Glauben Sie denn, dass die Menschen in Afghanistan, die ihre demokratischen Freiheiten bedroht sehen, einen solchen Frieden dann überhaupt akzeptieren können und wollen?
Ruttig: Dieses Abkommen, wie es sich jetzt in Konturen abzeichnet, werden viele wahrscheinlich sehr problematisch finden und man wird jetzt sehen, wie sich diese Bevölkerungsgruppen artikulieren werden und können. Afghanistan hat ja gerade auch durch den Krieg natürlich nicht eine Kultur des öffentlichen und sonstigen Protestes, weil die Gesellschaft sehr zersplittert ist. Es herrscht Misstrauen, es ist sehr schwierig, dass verschiedene Kräfte zusammenfinden und sich äußern. Deswegen hängt sehr viel davon ab, dass die afghanische Regierung ihr Versprechen wahrmacht, zivilgesellschaftliche, unter anderem dann auch Frauen-Akteurinnen mit zu diesen Verhandlungen zu nehmen, und ihnen dort tatsächlich auch eine Stimme verleiht. Das ist deswegen fraglich, weil auch die politische Szenerie in Afghanistan so fragmentiert ist, dass natürlich die Leute, die dort politisch großes Gewicht haben – das sind meistens die, die auch über bewaffnete Milizen verfügen; die gibt es ja nicht nur auf der aufständischen Seite -, Plätze beanspruchen in dieser Verhandlungsdelegation und dann vielleicht zumindest eine symbolische Beteiligung der Zivilgesellschaft stattfindet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.