
Der sogenannte "Neue Wehrdienst" hat in den vergangenen Wochen eine gesellschaftliche Debatte ausgelöst. Sollten junge Menschen diesen – und auch andere soziale Dienste – freiwillig leisten oder sogar dazu verpflichtet werden? Und: Sollte es zu einer Pflicht kommen – wie steht es dann um die Verweigerung des Kriegsdienstes?
Das Wehrdienstmodernisierungsgesetz – was steht drin?
Die Bundesregierung will am 5. Dezember das sogenannte "Wehrdienst-Modernisierungsgesetz" beschließen. Damit soll der Grundwehrdienst in neuer Form wieder eingeführt werden. Er wurde 2011 ausgesetzt. Dem bisherigen Entwurf zufolge soll ab Januar 2026 die Wehrerfassung junger Männer beginnen. Das heißt: 18-Jährige müssen auf einem Fragebogen Auskunft über ihre Bereitschaft zum Wehrdienst, ihre körperliche Leistungsfähigkeit und Bildungsabschlüsse geben. Für Frauen sind diese Angaben freiwillig.
Ab Juli 2027 sind die Männer der Jahrgänge ab 2008 außerdem dazu verpflichtet, sich mustern zu lassen. Mit einem neuen Grundwehrdienst wird zugleich auch ein Ersatzdienst verpflichtend wieder eingeführt. Wie dieser konkret gestaltet werden soll, ist noch offen.
Sollte sich für den neuen Wehrdienst keine ausreichende Zahl an Freiwilligen finden, erwägt die Bundesregierung – unabhängig von einem Spannungs- und Verteidigungsfall – eine Wehrpflicht. Allerdings ist derzeit umstritten, wie die Bundeswehr, die nur einen Teil des jeweiligen Jahrgangs benötigt, eine Auswahl treffen soll.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat das „Schwedische Modell“ vorgeschlagen, wo alle Frauen und Männer eines Jahrgangs zunächst einen Fragebogen ausfüllen müssen, der nach Motivation, Gesundheit und Bildung fragt. Nur ein Teil der Befragten wird zur Musterung eingeladen und von diesen wiederum nur eine Gruppe für den Wehrdienst ausgewählt. Die CDU/CSU hat sich dagegen für ein Losverfahren nach dänischem Vorbild ausgesprochen.
Warum soll der Wehrdienst modernisiert werden?
Die Regierungskoalition will die Zahl der Zeit- und Berufssoldaten bis 2035 von rund 180.000 auf 260.000 erhöhen – die Reserve auf 200.000. Im Gegensatz zu den Jahren vor 2011, in denen dafür ganze Jahrgänge verpflichtet wurden, soll dies nun zunächst auf freiwilliger Basis geschehen – während zugleich die nötige Infrastruktur an Kasernen und Ausbildern wieder aufgebaut wird.
Begründet wird dieser Schritt mit der außenpolitischen Sicherheitslage, besonders im Hinblick auf Russland. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu:
Russland wird auf absehbare Zeit die größte Gefahr für die Sicherheit in Europa bleiben und schafft militärisch die personellen und materiellen Voraussetzungen dafür, um innerhalb weniger Jahre in der Lage zu sein, NATO-Territorium angreifen zu können.
Wie ist die Zustimmung für Wehrdienst und Wehrpflicht?
Wie viele Männer verweigern werden, lässt sich aktuell schwer einschätzen. Und wie hoch die Bereitschaft in der Bevölkerung ist, sich freiwillig zu einem neuen Grundwehrdienst zu melden, ist bislang kaum erforscht, sagt Timo Graf vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw).
Die jährliche repräsentative Bevölkerungsumfrage des ZMSBw zeige allerdings, dass seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine eine absolute Mehrheit die Wiedereinführung des Wehrdienstes – in welcher Form auch immer - befürworte. In diesem Jahr seien es sogar sechs Prozent mehr als zuvor. "Wir haben hier 53 Prozent Zustimmung. Wir haben 21 Prozent der Befragten, die noch unentschlossen sind, also die Antwortoption teils, teils gewählt haben und etwas weniger als ein Viertel, die sich explizit dagegen aussprechen", so Politikwissenschaftler Timo Graf.
Doch gerade jüngere Menschen zwischen 16 bis 29 Jahren – die also betroffen wären – sprechen sich nur zu 42 Prozent für einen neuen Wehrdienst aus. Ein Viertel bis ein Drittel sind dagegen – die Frauen etwas häufiger als die Männer. Knapp die Hälfte ist der Meinung, dass das neue Gesetz ihre Freiheitsrechte einschränken würde.
Quentin Gärtner, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz fordert, besonders die Menschen in die Diskussion einzubeziehen, die vom neuen Wehrdienstgesetz betroffen sind: Man müsse „junge Menschen anhören, wenn man etwas von ihnen abverlangt.“ Zur geplanten öffentlichen Anhörung zum neuen Wehrdienstgesetz im Bundestag ist der Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz eingeladen.
Wer kann den Kriegsdienst verweigern?
Grundsätzlich können alle den Kriegsdienst verweigern. Denn: "Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden." So steht es im Grundgesetz, Artikel 4, Absatz 3. Berufssoldatinnen und -soldaten können den Kriegsdienst verweigern, ohne aus der Bundeswehr ausscheiden zu müssen. Reservisten können ebenso verweigern wie Ungediente. Letztere sind Menschen, die nie einen Wehrdienst geleistet haben.
Tatsächlich ist das Interesse an einer Verweigerung seit dem russischen Angriff auf die Ukraine stark gestiegen. Laut dem Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA), das über Anträge auf Verweigerung entscheidet, haben in den 15 Monaten bis September 2025 rund 200 aktive Soldatinnen und Soldaten einen Antrag auf Verweigerung gestellt. Zwischen Januar und August 2025 verweigerten 926 Reservisten und 1.030 Ungediente den Kriegsdienst. Insgesamt haben 2023 rund 1.100 Menschen die Verweigerung beantragt, im Jahr danach waren es knapp 2.250 und im laufenden Jahr bis 31. August rund 2.100.
Kriegsdienst verweigern – wie geht das?
Wer verweigern möchte, schickt den Antrag an das zuständige Karrierecenter der Bundeswehr. Darin muss er sich auf das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung im Sinne des Grundgesetzes berufen, einen vollständigen tabellarischen Lebenslauf und eine ausführliche persönliche Begründung für die Gewissensentscheidung beifügen. Wird bei der anschließenden verpflichtenden Musterung die gesundheitliche Eignung festgestellt – stehen also die Wehrdiensttauglichkeit und Verfügbarkeit rechtskräftig fest – leitet das Karrierecenter den Antrag an das BAFzA, das darüber entscheidet.
Ratsuchende können sich an die „Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen“ wenden. Auf ihrer Internetseite finden Zivilisten, Reservisten und Soldaten die für sie passenden Informationen. Außerdem berät auch die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung. Sie will ab 2026 verstärkt Online-Gespräche anbieten.
Welche Möglichkeiten für einen Ersatzdienst gibt es?
Noch steht nicht fest, ob und wann aus dem freiwilligen Wehrdienst eine Wehrpflicht werden könnte. Sie würde das Recht auf Kriegsdienstverweigerung noch relevanter werden lassen und auch einen zivilen Ersatzdienst zwingend nötig machen. Doch die Strukturen für einen neuen Zivildienst als Pendant zum neuen Wehrdienst müssten erst wieder aufgebaut werden.
Vor dem Aussetzen der Wehrpflicht hat ein Großteil der Verweigerer Zivildienst geleistet. Die „Zivis“ haben viele Tätigkeiten im Pflege- und Betreuungsbereich übernommen, in Krankenhäusern und Pflegeheimen gearbeitet. Als 2011 mit dem Aussetzen der Wehrpflicht auch der Zivildienst wegfiel, protestierten die Wohlfahrtsverbände und äußerten die Sorge, der Pflegebereich sei nun personell unterbesetzt.
Aktuell ist in den Debatten in Politik und Öffentlichkeit von Ersatzdiensten noch kaum die Rede. Das müsse sich dringend ändern, fordert Ursula Schoen. Die Direktorin des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz setzt sich dafür ein, dass das freiwillige Engagement junger Menschen allgemein gestärkt wird – pädagogisch, personell und finanziell. Die Gesellschaft profitiere von Freiwilligendiensten, sozialem Jahr oder Ersatzdiensten – dafür müsse das Bewusstsein wachsen und das müsse auch breiter diskutiert werden, so Schoen.


















