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Verfassung gegen Politik in Italien

Immer wieder versucht die italienische Regierungspartei Lega Nord die Grundrechte von Einwanderern mit Gesetzen und Verordnungen einzuschränken. Doch oft genug werden diese Regelungen von den italienischen Gerichten nach kurzer Zeit als verfassungswidrig gekippt.

Von Kirstin Hausen |
    Es begann in Caravaggio. 16.000 Einwohner, Provinz Bergamo in der Lombardei. Die Stadt ist bekannt als Geburtsort des Barockmalers Caravaggio. Ansonsten hat sie keine Berühmtheiten hervorgebracht. Doch seit einiger Zeit steht Caravaggio trotzdem wieder im Rampenlicht. Das liegt an Bürgermeister Giuseppe Previdini, der hier seit 2006 regiert. Der Lega Nord-Politiker will Caravaggio nach eigenen Worten " für Einwanderer unattraktiv machen". Vor zweieinhalb Jahren führte er deshalb in seiner Gemeinde ein Heiratsverbot für Ausländer ohne Aufenthaltspapiere ein. Für Vizebürgermeister Carlo Pirovano ein Instrument gegen Scheinehen:

    "Es ist einfach zu oft in unserem Ort vorgekommen, dass sich Italiener von jungen Damen haben zur Hochzeit verführen lassen, die nichts anderes wollten als eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung. Auf die muss ein legal in Italien lebender Einwanderer zehn Jahre warten."

    Innenminister Roberto Maroni, ein Spitzenpolitiker der Lega Nord, befand das Heiratsverbot für gut und machte es landesweit zum Gesetz: Er nahm es in das sogenannte Sicherheitspaket gegen illegale Immigration auf. Doch jetzt, nach zwei Jahren, muss der Zusatz wieder aus dem Zivilgesetzbuch entfernt werden. Das italienische Verfassungsgericht hat entschieden, dass Heiraten ein unverletzliches Recht ist, sowohl für Italiener als auch für illegale Einwanderer.

    "Unsere Verfassung ist ein hohes Gut, aber die Politiker von heute treten sie mit Füßen" empört sich diese ältere Dame auf der Piazza Cadorna in Mailand. Dass nach Urteilen wie dem gegen das Heiratsverbot für Ausländer ohne Aufenthaltsberechtigung regelmäßig die Richter als "rote Roben" beschimpft werden, findet sie beunruhigend.

    "Ich kann mich noch an den Faschismus erinnern und er war schrecklich. Aber mir scheint, er kommt im neuen Gewand zurück."

    Von Respekt und Liebe gegenüber der Verfassung sprechen in Italien nur noch die linken Parteien. Für die rechten Regierungsparteien ist die "Costituzione" nichts anderes als ein Hindernis auf dem Weg zur Umgestaltung Italiens. Dabei gehörten die Verfassungsväter und -mütter nicht nur linken Partisanenbewegungen an, sondern auch dem katholischen Bürgertum, das die Regierungsparteien angeblich politisch vertreten. Zum Hüter der Verfassung ist Staatspräsident Giorgio Napolitano geworden. Im Zusammenhang mit dem Aufruf an Ärzte, illegale Notfallpatienten der Polizei zu melden oder dem Versuch, Moscheen zu verbieten erinnert er an die Verfassung als Basis allen politischen Handelns.

    "Die außergewöhnliche Suche nach einer Einigung auf einen gemeinsamen Text in der verfassungsgebenden Versammlung hat alte Gräben geschlossen und uns alle auf Werte und Ideale verpflichtet, die durch Nationalismus und Faschismus verschüttet worden waren."

    Doch diese Ideale, zu denen auch die Gleichheit aller vor dem Gesetz gehört, werden in der Praxis immer wieder verletzt: von beiden Regierungsparteien. Lega Nord und Berlusconis "Volk der Freiheit" machen regelmäßig Tauschgeschäfte miteinander. Wenn Silvio Berlusconi maßgeschneiderte Immunitätsgesetze braucht, um sich vor Gerichtsprozessen zu schützen, kassiert er die Zustimmung der Lega Nord-Abgeordneten im Parlament. Dafür ist seine Partei kompromissbereit, wenn die Lega Nord an Gesetzen gegen Einwanderer feilt.

    Am Ende werden jedoch die Gesetze beider Parteien häufig durch die Verfassungsrichter gekippt. Es reicht, dass ein Bürger Beschwerde einreicht, um die Justiz einzuschalten. So war es bei Berlusconis Immunitätsgesetzen, so war es bei den Versuchen der Lega Nord, Einwanderer schlechter zu stellen als italienische Bürger. Die Soziologin und Immigrationsexpertin Laura Zanfrini:

    "Ich glaube, die italienischen Gesetze zählen zu den großzügigsten der Welt, was die sozialen Rechte von Einwanderern betrifft. Sie werden den Italienern faktisch gleichgestellt, und das trotz der Krise unseres Sozialstaates."

    Auch Ausländer, die sich illegal in Italien aufhalten, haben das Recht auf akute Krankenversorgung und auf den Schulbesuch ihrer Kinder. Die Lega Nord bekämpft diese Rechte, doch an der italienischen Verfassung kommt sie nicht vorbei.