Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Verfassungsreform in Russland
Lebenslange Straffreiheit für Putin

Das russische Parlament behandelt vor Jahresende eine Reihe wichtiger Gesetze, die die größte Verfassungsreform mit Leben erfüllen soll. Der russische Präsident Wladimir Putin war dabei nicht nur Vordenker, sondern wird auch selbst großer Nutznießer sein. Ungemütlich soll es hingegen für seine politischen Gegner werden.

Von Sabine Adler | 09.12.2020
Der russische Präsident Wladimir Putin sitzt hinter einem Schreibtisch und blickt in die Kamera. Hinter ihm sind zwei Flaggen zu sehen.
Russlands Präsident Wladimir Putin könnte bis 2036 im Amt bleiben (dpa /AP /Pool Sputnik Kremlin/ Alexei Nikolsky)
Die zwei in der Duma behandelten Gesetzesentwürfe sind zwei Seiten einer Medaille. Das eine Gesetz sichert dem Präsidenten eine lebenslang währende Immunität. Etwas, was bislang zwischen Vorgänger und Nachfolger lediglich politisch verabredet worden war, wird demnächst in der Verfassung verankert sein.
Präsident Putin samt Familie wird nach seinem Ausscheiden nicht angeklagt oder verurteilt werden können. Das andere Gesetzespaket soll den Druck auf die politischen Kräfte weiter erhöhen, die außerhalb des Parlaments und der Regierung tätig sind. Dafür stimmten in der ersten Lesung 337 Duma-Abgeordnete, nur einer dagegen, mutmaßlich Sergej Iwanow.
"Ich frage Sie", so sagte er gestern im Parlament: "Sie haben 192 Organisationen mit dem Vermerk 'ausländischer Agent'. Und welchen Effekt hat das? Kollegen! Keinen! Beantworten Sie mir bitte, was das mit der Souveränität zu tun hat. Das Vertrauen in die Regierung ist ohnehin gleich null. Was Sie erreichen ist, dass diese Organisationen noch eine Reklame bekommen."
Das russische Parlament, die Staatsduma. Ministerpräsident Dmitry Medwedew hält eine Rede vor deen Abgeordneten.
Russland - Der Druck auf Menschenrechtsorganisationen wächst
Menschenrechtsorganisationen hatten es in Russland bislang schon nicht einfach, doch jetzt wird im Parlament über ein ganzes Paket von Gesetzesänderungen beraten, das den Nichtregierungsorganisationen weitere Steine in den Weg legen würde.
Adalbi Schchagoschew, Vize-Fraktionschef der Regierungspartei Einheitliches Russland, die über eine Dreiviertelmehrheit in der Duma verfügt, erklärt nicht, warum die Diffamierung politischer Gegner als "ausländische Agenten" der Souveränität Russlands nützt, sondern tut so, als könnten die Betroffenen trotz dieses Label ihre Arbeit ungestört fortsetzen: "Jeder Staat muss seine Interessen schützen, dem dient das Gesetz. Der Ehrliche fürchtet die Wahrheit nicht. Wenn es eine ausländische Finanzierung gibt, muss man das kundtun. Ob eine Organisation oder eine natürliche Person - sie müssen sich registrieren lassen und können dann weitermachen mit ihrer politischen Tätigkeit."
Putin bis 2036?
Weder der eine noch der andere Abgeordnete ging auf die Folgen dieser Etikettierung als ausländischer Agent ein. Die früheren Verschärfungen haben gezeigt, dass russische Organisationen die Verbindungen zu ihren langjährigen ausländischen Partnern kappen oder ihr Arbeit ganz einstellen. Künftig müssen sie sich jeden Schritt genehmigen lassen und jederzeit mit ihrem vollständigen Verbot rechnen. Wer einmal den Stempel "ausländischer Agent" bekommen hat, und das soll künftig auch natürliche nicht nur juristische Personen treffen können, darf nicht mehr in staatlichen Strukturen arbeiten und kommt auch für ein politisches Amt nicht mehr infrage.

Die Duma räumt somit für ihre Wahl im kommenden Herbst unliebsame Konkurrenten wie den Korruptionsaufklärer Alexej Nawalny aus dem Weg.
Alexej Nawalny vor russischen Flaggen bei einem Gedenkmarsch in Moskau am 29.02.2020.
Wie der Fall Nawalny internationale Beziehungen verändert
Die Vergiftung des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny ist eine Belastungsprobe für die deutsch-russischen Beziehungen, eine von mittlerweile zahlreichen. Vieles steht auf dem Prüfstand.
Beide Lesungen gestern haben mit dem Verfassungsreferendum vom Sommer zu tun, der 78 Prozent der Wählerinnen und Wähler zustimmten. Nicht zuletzt, weil darin der Glaube an Gott festgeschrieben wurde, auch die jährliche Anpassung der Rentenhöhe und das Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe.
Obendrein aber ermöglicht die Verfassungsänderung Wladimir Putin zwei weitere Amtszeiten von je sechs Jahren. Er könnte nicht nur bis 2024, sondern bis 2036 regieren. Initiator der Verfassungsänderung, die nun die Duma Schritt für Schritt in Gesetzesform gießt, war der Präsident selbst. Anfang des Jahres reichte Putin die geplanten Änderungen beim Parlament ein, sowohl Unter- als auch Oberhaus stimmten dem Verfassungsentwurf zu, der nun peu á peu Gesetz wird.