Archiv

Verhaftungswelle in Belarus
Lukaschenko-Regime geht gegen Kritiker vor

In Belarus greifen nach der Niederschlagung der Massenproteste die Behörden erneut hart gegen kritische Stimmen durch. Vor allem den Druck auf Aktivisten und unabhängige Medien hat das Regime zuletzt massiv erhöht.

Von Sabine Adler |
Ein Mann wird durch einen Flur von mehreren Polizisten vor Gericht geführt.
Verfolgt werden oppositionelle Medien, Menschenrechtsorganisationen, Anwälte und zuletzt auch Aktivisten, die Lebensmittelpakete für Häftlinge in den Untersuchungsgefängnissen packen (Ramil Nasibulin/belta/AFP)
Eine Verhaftungswelle geht durch Belarus. Die Rekordzahl von 563 politischen Gefangenen verzeichnen Menschenrechtsorganisationen, die fast nur noch aus dem Ausland arbeiten, weil sie systematisch verfolgt werden, berichtet Ina Rumianzewa von der belarussischen Exil-Organisation Razan.
Der belarusische Unternehmer und Politiker Viktor Babariko
Lukaschenko-Gegner Babariko in Haft
Aussichtsreichster Herausforderer bei der Präsidentschaftswahl in Belarus im letzten Jahr war Viktor Babariko. Jetzt ist er zu 14 Jahren Straflager verurteilt worden. Ein Urteil, das die internationale Isolation von Machthaber Lukaschenko weiter vorantreiben könnte.
Und die Verhaftungen gehen weiter. Allein 30 Personen, Journalisten, Anwälte, Aktivisten selbst oder ihre Angehörigen mussten am Freitag Beamte der Strafverfolgungsbehörden in ihre Wohnungen lassen:
"Früh ab sechs, sieben ging es dann los, mit weiteren Durchsuchungen bei zehn Journalisten von BelSat und drei von Radio Swoboda. Die Redaktion von Radio Swoboda in Minsk wurde aufgebrochen und es wurde Technik konfisziert und später das Büro versiegelt."
Parallel fällen Gerichte harte Urteile. Im sogenannten Studentenprozess sind zwölf junge Leute mit zwei beziehungsweise zweieinhalb Jahren Haft bestraft worden, weil sie vor knapp einem Jahr an Protestaktionen nach der mutmaßlich gefälschten Präsidentschaftswahl teilgenommen hatten.
Der russische Präsident Wladimir Putin (r.) und der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko sitzen gemeinsam vor einem Kamin
Russland und Belarus
Wenn sich der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko und der russische Präsident Wladimir Putin in Sotschi treffen, wollen sie Geschlossenheit signalisieren. Ihr Verhältnis ist eng, aber zunehmend von Spannungen geprägt. Von einer Begegnung auf Augenhöhe kann nicht mehr die Rede sein.
Alexander Lukaschenko hat der Zivilgesellschaft zuletzt von Sankt Petersburg aus den Kampf angesagt. Vor Kameras im Beisein des russischen Präsidenten Putin, den er zum vierten Mal in diesem Jahr um Wirtschafts- und Finanzhilfe bat, drohte er, 1.500 zivilgesellschaftliche Organisationen zur Verantwortung zu ziehen. Das ist jede zweite der insgesamt 3.000 Vereinigungen oder Stiftungen, die sich sozial, ökologisch oder politisch engagieren. Der im weißrussischen Witebsk geborene Oppositionsaktivist Michail Rubin konstatiert:
"Was in unserer Heimat läuft, ist ein Krieg gegen das eigene Volk."

"Dieses Regime sieht sich von Faschisten umgeben"

Pauschal hat Lukaschenko die Organisationen des individuellen Terrors beschuldigt, ohne irgendeinen Beweis zu liefern. Michael Rubin, der der Orgnaisation "Land zum Leben" angehört, versteht den Terrorvorwurf als eine furchterregende Ansage:
"Wir haben Angst. Wir können immer noch nicht vergessen Bombenanschlag in U-Bahn in Minsk vor zehn Jahren und wir haben tatsächlich Befürchtung, dass so etwas wieder provoziert wird, um dann den Notzustand in dem Land aufzurufen. Und dann leider wird auch mit Menschenleben bezahlt. Weil, die Rhetorik mit Terrororganisationen und so weiter wird irgendwann mal vorgeführt beziehungsweise initiiert."
Verfolgt werden neben oppositionellen Medien und Menschenrechtsorganisationen Anwälte, die Oppositionelle vor Gericht vertreten, und zuletzt auch viele Aktivisten, die Lebensmittelpakete für die vielen Häftlinge in den Untersuchungsgefängnissen packen. Zudem etliche Vereine, die sich nicht als politisch verstehen, wie eine Hotline für Opfer von häuslicher Gewalt, Behindertenverbände, Umweltorganisationen oder Wissenschaftler.
Protestanten halten die rot-weiße Flagge von Belarus während einer Demonstration in Kiew, auf einem Plakat steht: "Belarus is nor Russia"
Die belarussische Diaspora in Europa
Hunderttausende Belarussen leben im europäischen Ausland. Durch die Proteste in der alten Heimat sind viele von ihnen zu Aktivisten geworden, die die Protestbewegung unterstützen. Aber ihr Einfluss auf die Politik in Belarus ist begrenzt.
Das Regime setze die Demokratiebewegung mit Faschisten gleich, erklärt Ina Rumianzewa:
"Es gab jetzt mehrere Gesetzesänderungen, wo gerade auch die weiß-rot-weiße Flagge und auch das Wort 'Es lebe Belarus' soll jetzt als faschistisches Attribut eingetragen werden. Und das ist auch die Rhetorik, die wir bei Lukaschenko am 22. Juni gehört haben, einen Tag, nachdem die Sanktionen in Kraft traten. Und wirklich: Dieses Regime sieht sich von Faschisten umgeben und das ist nochmal eine ganz andere Qualität."

Verfolgung auch im Ausland

Imke Hansen von der Organisation Libereco, die in der Ostukraine ein Hilfszentrum für Trauma-Opfer betreibt, macht die Erfahrung, dass sich geflohene Aktivisten und Oppositionelle selbst im Ausland nicht sicher fühlen. Erst recht seit der Entführung der Ryan-Air-Maschine, die auf dem Flug von Athen nach Vilnius war und in Minsk zur Landung gezwungen wurde:
"Das war ein klares Zeichen an die Exil-Community: Ihr seid nirgendwo mehr sicher. Seitdem sehen wir, dass gezielt Gerüchte gestreut werden, dass beispielsweise Belarus einen Auslieferungsantrag für bestimmte Leute gestellt hatte. Leute, die da auf dieser Liste sind, sind bei uns in Betreuung. Und selbst wenn man dann rausfindet, das ist alles nur eine Ente oder ein Gerücht - diese Gerüchte über Auslieferungen, über Vergiftung und so, das passiert so systematisch, dass man hier sehr stark davon ausgehen kann, dass es sich um eine zielgerichtete Destabilisierung der Exil-Communities handelt."
Roman Protasevich addresses the crowd next to a famous Gdansk's Shipyard Gate number 2 on August 31, 2020 during 'Free Poland To Free Belarus' support rally to express the solidarity with Belarusians people (FILE PICTURE). Belarusian authorities forced a Ryanair plane flying from Greece to Lithuania to land in Minsk. Oppositionist Roman Protasewicz, who was arrested, was on board. On Sunday, May 23, 2021 in Dublin, Ireland. (Photo by Artur Widak/NurPhoto)
Lukaschenko kapert Flugzeug mit Regierungskritiker
Belarus hat eine Ryanair-Maschine mit einem Kampfjet abgefangen und zur Landung in Minsk gezwungen. Eine angebliche Sicherheitsbedrohung soll der Grund dafür gewesen sein. Doch dann wurde nach der Landung der Regierungskritiker Roman Protasewitsch abgeführt, der sich unter den Passagieren befand.
Wer noch nicht im Ausland ist, habe kaum noch Möglichkeiten, das Land zu verlassen. Die allermeisten internationalen Airlines meiden Überflüge über die Ex-Sowjetrepublik, die belarussische Fluggesellschaft Belavia darf in der EU weder starten noch landen. Russland, das ohne Visum erreicht werden kann, ist für belarussische Oppositionelle kein sicherer Hafen, weil Moskau sie an Minsk ausliefert.