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Verkehr
Wut auf Stauchaos in Deutschland

Der Staat gibt zu wenig Geld aus für Straßen und den Autoverkehr - aber abgeben will er seine Zuständigkeit dafür auch nicht. Das beklagen zwei Autoren in einer Streitschrift zur deutschen Verkehrspolitik. Dabei ist das Buch "Deutschland im Stau" mit Schaum vor dem Mund geschrieben, findet Mirko Smiljanic.

Von Mirko Smiljanic | 15.09.2014
    Ein Fahrradfahrer fährt zwischen Autos vorbei, die sich an einer Einfallstraße von Frankfurt am Main im Berufsverkehr stauen.
    "Deutschland im Stau. Was uns das Verkehrschaos wirklich kostet", heißt das Buch von Günter Ederer und Gottfried Ilgmann. (picture alliance / dpa / Arne Dedert)
    Wer das Buch "Deutschland im Stau" liest, sollte ganz hinten beginnen, auf Seite 352. Günter Ederer und Gottfried Ilgmann ziehen dort ein Fazit. Mit zwölf Zeilen fällt es zwar mager aus, und die im Untertitel des Buches angedeutete Antwort auf die Frage, "Was uns das Verkehrschaos wirklich kostet", wird auch nicht beantwortet. Genaue Beträge kenne man nicht, schreiben die Autoren. Trotzdem liefert der allerletzte Satz eine entscheidende Aussage. Ändern werde sich an dem allgegenwärtigen Verkehrschaos erst etwas:
    "Wenn nicht mehr partei- und regionalpolitische Egoismen den Umgang mit den ... Verkehrsträgern bestimmen, sondern Markt und Wirtschaftlichkeit."
    Günter Ederer und Gottfried Ilgmann glauben an die Kräfte der Marktwirtschaft und sie verachten den Dilettantismus deutscher Behörden - ein roter Faden, der sich durch das gesamte Buch zieht. "Deutschland im Stau" ist eine mit Schaum vorm Mund geschriebene Streitschrift, wie sie der deutsche Buchmarkt nur selten sieht. Kein smarter Diskussionsbeitrag, sondern bitterböse Enthüllungen über angeblich unfähige Planer und Politiker, angereichert mit selbsterlebten Anekdoten. Gefühlt Monate müssen die Autoren im Stau verbracht haben, bis sich ihre angestaute Wut in diesem Buch Bahn brechen konnte. Dabei, sagt der Wirtschaftspublizist Günter Ederer, lässt sich das Verkehrschaos auf eine Ursache zurückführen.
    "Seit Jahren eine Unterfinanzierung, die zwei Gründe hat. Die eine ist ideologischer Art, eine Bekämpfung der Straße und des Individualverkehrs, und die zweite ist finanzieller Art, die darin liegt, dass der Staat in Deutschland sich mit Händen und Füßen dagegen weigert, auch nur einige Kompetenzen abzugeben, sondern es lieber selbst machen will, es aber nicht kann."
    Kampf gegen den Individualverkehr
    Der Kampf gegen den Individualverkehr sei schon deshalb anachronistisch, weil er auf ganzer Linie verloren wurde. Weder steigende Benzin- und Pkw-Preise, noch die beklagte Umweltzerstörung und fehlende beziehungsweise zerbröselnde Straßen konnten den Siegeszug des Autos stoppen. 43 Millionen Pkw sind in Deutschland angemeldet! Schon deshalb brauchen wir nicht weniger gutausgebaute Straßen, sondern mehr, meinen die Autoren. Dem Argument, Autobahnen versiegelten kostbare Flächen, kann Ederer nichts abgewinnen.
    "Unsere Autobahnen und Schnellstraßen beanspruchen 0,08 Prozent unserer Fläche. Allein das zeigt doch, dass hier etwas völlig Irres in die Welt gesetzt wird."
    Gleiches gelte für die These, zusätzliche Straßen zögen zusätzlichen Verkehr an, brächten also keine nachhaltige Entlastung.
    "Ich weiß nicht, wo diese These herkommt, die wird immer wiederholt. Im Moment sehen wir doch, wir haben keine Straßen gebaut, wir haben es reduziert und der Verkehr ist massiv gewachsen."
    In sieben Kapiteln gehen die Autoren dem Verkehrschaos in Deutschland auf den Grund. Drei Kapitel beschäftigen sich mit dem Straßennetz, eines mit dem Nahverkehr, die restlichen drei mit dem Schienen-, Wasser- und Luftverkehr. Überschriften wie "Anleitung zum Straßenkampf", "Autobahnplanung in Absurdistan"; "Teuer und Langsam: Hochgeschwindigkeit in Deutschland", "Staatlich organisierte Geldvernichtung" erinnern daran, dass Tacheles geschrieben wird. Und zwar detailreich und gut lesbar! Mit dem Wirtschaftswissenschaftler Ilgmann und dem Journalisten Ederer haben sich zwei gefunden, die der lahmenden Diskussion um Verkehrskonzepte neuen Schwung geben könnten. Über die Maut zum Beispiel.
    "Der Widerstand gegen eine Maut wäre zu überwinden, wenn den Autofahrern glaubhaft versichert werden könnte, dass diese Gelder nie in den Haushalt fließen und dort zweckentfremdet verwendet werden könnten - auch nicht für die Schiene und die Wasserstraßen. Denn irgendwie wird der mobilitätsabhängige Bürger - und das sind wir fast alle - sowieso zur Kasse gebeten: Entweder steht er im Stau und verbraucht seinen Sprit im Stand, ... oder wir bringen mit Gebühren das Straßennetz in einen ordentlichen Zustand, wie es mittlerweile in fast allen unseren Nachbarstaaten üblich ist."
    Es läuft im Ausland besser?
    Mit Blick über Deutschlands Grenzen hinweg zeigen Ederer und Ilgmann, was im Ausland besser läuft: Warum der Tunnelbau in der Schweiz segensreich ist; welche Vorteile das österreichische Mautkonzept hat; warum in Japan auf Straßen parkende Autos abgeschleppt werden; wie China es hinbekommt, jedes Jahr 2.000 Kilometer Autobahnen zu bauen, deren Kosten zu 80 Prozent private Investoren und Kommunen übernehmen. Ob allerdings im autokratisch geführten China jemals der Bau einer Trasse wegen eines Kammmolches gestoppt wurde - so wie auf der A 44 zwischen Kassel und Eisenach - darf bezweifelt werden. In China locken die Verdienstmöglichkeiten die Investoren an. Und die Einnahmen führten wiederum dazu, dass die Verantwortlichen alle Straßen in gutem Zustand hielten. Für Günter Ederer ein nachahmenswertes Modell! Immerhin wurde vor wenigen Wochen ein erstes privat finanziertes Teilstück der A 9 in Thüringen dem Verkehr übergeben.
    "Dort ist der Investor verantwortlich, dass die sechsspurige Straße unbegrenzt zur Verfügung steht. Und jedes Mal, wenn er beim Bau gepfuscht hätte oder die Brücken gingen kaputt, muss er das alles selbst bezahlen."
    Bund und Länder wären mit dem Aufbau funktionierender und gleichzeitig wirtschaftlich effizienter Verkehrskonzepte heillos überfordert, so Ederer und Ilgmann, ein Blick auf die Berliner Flughafenbrache zeige das ganze Ausmaß des Dilettantismus'.
    "Was sich jetzt in Berlin abspielt, resultiert ausnahmslos aus politischer Ignoranz und gnadenlosem Provinzialismus. Der eigentliche Skandal nämlich ist die Entscheidung, den neuen Berliner Flughafen nicht in Sperenberg zu bauen, sondern in Schönefeld, und der zweite Skandal ist, dass bis heute aus dieser Fehlentscheidung keine Konsequenzen gezogen wurden. Der dritte Skandal ist das Wegducken der Verantwortlichen, die meist von der Öffentlichkeit auch noch geschont werden."
    Den Thesen und Argumenten des Buches "Deutschland im Stau" wird nicht jeder folgen. Lesenswert ist es aber trotzdem. Es ist eine Streitschrift in bester Tradition, es bezieht klare Positionen, ist detailreich und - so etwas ist rar bei Sachbüchern - es besitzt Unterhaltungswert.
    Günter Ederer/Gottfried Ilgmann: "Deutschland im Stau. Was uns das Verkehrschaos wirklich kostet",
    BerlinVerlag, 352 Seiten, 19,99 Euro, ISBN: 978-3-827-01232-6