Samstag, 20. April 2024

Archiv

Versöhnungstreffen der Union
CDU und CSU suchen die Gemeinsamkeiten

Beim "Zukunftstreffen" wollen CSU und CDU ein Zeichen setzen, dass sie trotz Differenzen mit Angela Merkel als gemeinsamer Kanzlerkandidatin in den Bundestagswahlkampf ziehen werden. Den Streit über die Begrenzung des Flüchtlingszuzugs klammern sie aus. Zu groß ist der Einigungswille mit Blick auf die innere Sicherheit.

Von Falk Steiner und Stefan Maas | 04.02.2017
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer. (dpa-Bildfunk / Rainer Jensen)
    Friedensgipfel? Nein, das Wort findet er nicht passend, erklärte Horst Seehofer letzte Woche in einem langen Interview mit der "Bild am Sonntag". "Zukunftstreffen". Das klingt für den bayerischen Ministerpräsidenten viel mehr nach dem, was für Sonntag und Montag geplant ist. Angela Merkel und weitere Mitglieder der CDU-Spitze werden nach München reisen, in die CSU-Zentrale.
    Und dort gemeinsam mit Horst Seehofer und hochrangigen Vertretern der CSU über Themen für den Wahlkampf sprechen. Und natürlich, sagte Seehofer der "Bild am Sonntag", wird die CDU-Chefin danach die offizielle Spitzenkandidatin der Union für die Bundestagswahl sein. Es ist noch gar nicht so lange her, da waren aus Richtung München ganz andere Töne zu hören. Da ließ der CSU-Chef die Kanzlerin im fernen Berlin wissen:
    "Man kann als politische Partei nicht um jeden Preis Regierungen schließen, Harmonie pflegen. Sondern man muss schon seine Grundsätze auch zum Tragen bringen."
    Die Harmonie zwischen den Christdemokraten und den Christsozialen war ab dem Moment gestört, als die Kanzlerin im September 2015 die Entscheidung traf, die Flüchtlinge, die an der ungarischen Grenze festsaßen, nach Deutschland kommen zu lassen. Es war nicht nur die große Zahl derjenigen, die in den folgenden Monaten ins Land kamen. Es war etwas anderes, das nicht nur Horst Seehofer gegen die Kanzlerin aufbrachte.
    "Das, was zur DNA einer Partei gehört, darf man nicht zur Disposition stellen."
    Kampfbegriff Obergrenze
    Und zur DNA der CSU gehört das Thema innere Sicherheit. Plötzlich, so schien es auch Horst Seehofer, war nichts mehr sicher. Nicht erst seit den Anschlägen von Ansbach und Würzburg, begangen von jungen Flüchtlingen, lautet seine Logik: Mit der Zahl der Flüchtlinge steige die Gefahr eines Anschlags. Der Kampfbegriff: Obergrenze. Angela Merkel aber sagt "Nein" zu dieser Forderung. Und bleibt bis heute dabei, mag die bayerische Unionsschwester auch noch so sehr drohen. Dieses teils lautstarke und wortgewaltige Ringen, lässt den Beobachter leicht einen entscheidenden Punkt übersehen, das erklärt CDU-Innenminister Thomas de Maizière immer wieder – und das sagt auch Stephan Mayer.
    Stephan Mayer, Sprecher der Arbeitsgruppe Inneres der Unions-Bundestagsfraktion (CSU), aufgenommen am 26.05.2016 während der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner".
    "Ich glaube, dass der Datenaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden in Deutschland mittlerweile ganz gut funktioniert", sagt Stephan Mayer, CSU (picture alliance/dpa - Karlheinz Schindler)
    "Im Bereich der Sicherheitspolitik, im Bereich der inneren Sicherheit gibt es vollkommen gleichlautende Interessen und Forderungen zwischen der CDU und der CSU."
    Mayer sitzt für die CSU im Bundestag. Dort sind mit den Stimmen der Regierungsfraktionen inzwischen etliche Gesetze verabschiedet worden, die für mehr Sicherheit im Land sorgen sollen. Der Ruf nach sicheren EU-Außengrenzen, nach zentralen europäischen Datenbanken, die helfen sollen, festzustellen, wer als Flüchtling in die EU gekommen ist, kommt aus beiden Schwesterparteien gleichermaßen. Hier liegt Angela Merkel auf einer Linie mit Horst Seehofer, sagt der CSU-Innenpolitiker Mayer:
    "Und ich habe auch den Eindruck, dass die Kanzlerin sehr vehement drauf drängt, dass insbesondere aus dem Fall Anis Amri und aus diesem schrecklichen Anschlag vom 19. Dezember letzten Jahres am Breitscheidplatz die richtigen und die notwendigen Konsequenzen gezogen werden."
    Innere Sicherheit und Terrorbekämpfung werden Wahlprogramm bestimmen
    An diesem Abend tötet Anis Amri, als Flüchtling über Italien aus Tunesien nach Deutschland gekommen, auf dem Weihnachtsmarkt mitten in West-Berlin zwölf Menschen, etwa 50 werden verletzt. Spätestens seit diesem Moment ist klar, worauf sich die streitenden Schwesternparteien für ihren gemeinsamen Wahlkampf konzentrieren werden. Auch, um der AfD nicht das Feld zu überlassen. Mehr wohl als alle anderen Themen werden die innere Sicherheit und die Terrorbekämpfung das Wahlprogramm der Union bestimmen.
    "Hier ist das Erste deutsche Fernsehen mit der Tageschau…Der mutmaßliche Attentäter von Berlin ist tot. In der vergangenen Nacht wurde Anis Amri bei einem Schusswechsel mit Polizisten in einem Vorort von Mailand getötet. Nach dem 24-jährigen Tunesier war Europaweit gefahndet worden."
    Seitdem kommen immer neue Erkenntnisse über den Attentäter ans Licht der Öffentlichkeit. Amri ist bei tunesischen, europäischen und deutschen Behörden kein Unbekannter, und an der Aufklärung der Frage, wieso er sich dennoch frei bewegen und den Anschlag verüben konnte, haben beide Unionsparteien viel Interesse. Rücksicht müssen sie dabei kaum nehmen: in beiden Bundesländern, die im Fall Amri eine große Rolle spielen, stellt die SPD derzeit die Innenminister.
    "Amri hatte ja in den 18 Monaten, in denen er hier war, mit über 45 öffentlichen Stellen und Behörden in Deutschland zu tun: Ausländerbehörden, Staatsanwaltschaften, Polizei, Nachrichtendienste, Innenministerium Nordrhein-Westfalen, also, über 45."
    Sagt der CDU-Politiker Clemens Binninger, Mitglied im Innenausschuss des Bundestages. Er war selbst Bundespolizist, im Herbst wird er nach 15 Jahren aus dem Bundestag ausscheiden. Innenausschuss, zwei NSA-Untersuchungsausschüsse, Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste: Das Mit-, Gegen- und Nebeneinander von Behörden, Polizei und Nachrichtendiensten kennt Binninger gut.
    Warum wurde Anis Amri nicht als gefährlich eingestuft?
    Keine zehn Kilometer vom Bundestag entfernt, in Berlin-Treptow, war Anis Amri ein Dauergesprächsthema. In Treptow hat das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum von Bund und Ländern, Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz, Kriminalämtern und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seinen Sitz. Dort wird beraten, wie lückenlos sogenannte Gefährder beobachtet werden können. Wie konnte es passieren, dass Amri Anfang November 2016 als nicht konkret gefährlich eingestuft wurde? Zwei Erklärungen werden im politischen Berlin diskutiert. Die eine: Es sei einfach eine Fehleinschätzung gewesen. Die andere ist komplizierter.
    Ein umfassendes Bild eines Verdächtigen zu erlangen, ist eine der großen Schwierigkeiten für die Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern.
    "Mit Blick auf die Frage, was falsch gelaufen ist, so muss ich zum heutigen Zeitpunkt sagen, dass ich das momentan nicht erkennen kann, dass jedenfalls die Berliner Behörden Fehler gemacht haben."
    Sagt der Berliner Innen-Staatssekretär Torsten Akmann. Ein erfahrener Mann, seit fast zwei Jahrzehnten beschäftigt er sich mit öffentlicher Sicherheit, er war im Kanzleramt, im Bundesinnenministerium tätig; gerade eine Woche war er Staatssekretär, als Anis Amri den Anschlag verübte. Akmann meint, dass die Behörden einander gut informiert hätten:
    "Der Informationsaustausch ist unerlässlich. Um grundsätzlich für Sicherheit sorgen zu können, aus meiner Sicht sind die gesetzlichen Grundlagen, die das erfordern, die sind da, das funktioniert auch. Das kann ich zunächst mal grundsätzlich für die nationale Ebene sagen, das heißt der Austausch zwischen den Ländern, aber auch den Ländern und dem Bund. Das ist gegeben. Wir haben da eine enge, permanente Vernetzung."
    Schlechter Informationsfluss
    Dass Berlin alles richtig gemacht habe, daran zweifelt der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer zwar. Aber wenn es um den Informationsfluss geht, stimmt er zu:
    "Ich glaube, dass der Datenaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden in Deutschland mittlerweile ganz gut funktioniert, das gemeinsame Terror-Abwehr-Zentrum ist jetzt über zehn Jahre alt. Die Kinderkrankheiten sind aus meiner Sicht ausgemerzt, es funktioniert im Grunde gut. Nur, es geht nicht nur darum, dass die relevanten Informationen die richtigen Sicherheitsbehörden erreichen, sondern es geht dann auch darum, dass aus diesen Informationen auch die richtigen Rückschlüsse gezogen werden."
    Nein, Kinderkrankheiten sind es nicht, die Bundesinnenminister Thomas de Maizière in der gewachsenen, föderalen Struktur der Datenhaltung mit ihren vielen unterschiedlichen Zuständigkeiten sieht. Für ihn ist der heutige Zustand eher Altersschwäche:
    "Die informationstechnische Struktur des Bundeskriminalamtes und der Zusammenarbeit mit den Ländern fußt im Grunde auf der […] Systemarchitektur, die Horst Herold vor etwas mehr als 40 Jahren im Zusammenhang mit dem RAF-Terrorismus eingeführt hat."
    "Es ist Zeit für einen Neubau"
    Für den Bundesinnenminister von der CDU ist klar:
    "Seitdem hat es Umbauten, Anbauten, Erneuerungen gegeben. Jetzt ist Zeit für einen Neubau."
    Das Bundeskabinett hat dies am Mittwoch mit dem neuen BKA-Gesetz beschlossen, mit den Stimmen der drei CSU-Minister. 250 Millionen Euro sollen in den kommenden Jahren dafür ausgegeben werden, dass die bisherigen Systeme von Bundes- und Länderpolizeien durch ein neues, mächtiges Datenbanksystem für die Wiesbadener Behörde ersetzt werden. Aus dem bisherigen Informationsverbund soll ein Zentralsystem werden – eine Datenbank für alle Fälle, mit Zugriffsrechten für die deutschen Behörden in Bund und Land. Die Zuständigen sollen wissen, wenn eine Person der Polizei bereits bekannt ist – und welche Behörde sie auf dem Schirm hat. Die Bundesländer sollen per Gesetz zur Mitwirkung an dieser Datenbank verpflichtet werden.
    Eines soll bei der neuen BKA-IT eine besonders wichtige Rolle spielen: internationale Zusammenarbeit. Die Wiesbadener Behörde soll spätestens im Jahr 2021 so arbeiten, dass ihre Datenbanken mit den Systemen der europäischen Polizeibehörde Europol kompatibel sind. Eine Forderung, die die Innenpolitiker von CDU und CSU seit Monaten äußern. Spricht man ihn auf den Datenaustausch in Europa an, wird Clemens Binninger ungehalten:
    "Auf europäischer Ebene haben wir seit 2011 das Prümer Abkommen als verpflichtend umzusetzen für alle Mitgliedsländer. Prümer-Abkommen bedeutet, alle Mitgliedsstaaten schließen ihre Datenbanken mit den Fingerabdrücken und DNA zusammen, so dass da ein Abgleich erfolgen kann, um eben etwa zu erkennen, eine unbekannte DNA, die beim BKA gespeichert ist, zu der liegt in einem anderen Land die Person vor. Oder umgekehrt."
    Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Clemens Binninger, spricht in Mikrofone.
    Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Clemens Binninger. (imago / Christian Ditsch)
    Der Prümer Vertrag gilt als Paradebeispiel dafür, wie die Zusammenarbeit in Europa nicht funktionieren kann – einige Mitgliedsstaaten haben ihre Daten nur zögerlich den anderen zur Verfügung gestellt, Italien und Griechenland bis zum vergangenen Jahr gar nicht, berichtet Binninger. Dort begangene Straftaten, Fingerabdrücke von Verdächtigen, DNA-Daten bleiben so dem Rest Europas unbekannt. Anis Amri zum Beispiel war in Italien bereits 2011 wegen verschiedener Delikte verurteilt worden. Doch bis Ende 2015 wussten die deutschen Behörden davon nichts. Und auch nichts von einem Einreiseverbot in den Schengen-Raum für Amri, das die Italiener ausgesprochen hatten.
    Banale Probleme bei den Grenzkontrollen
    Eigentlich gilt: Wer in den Schengen-Raum einreist, muss nachweisen, wer er ist. Vor allem die CSU wird nicht müde dies anzumahnen. Beim Überqueren der Außengrenze muss der Pass oder Personalausweis vorgelegt werden. Doch es gibt viele Gründe, warum Menschen ohne oder mit einem gefälschten Pass kommen, sagt Frank-Jürgen Weise, der bis Mitte Januar vom Bundesinnenminister mit der Leitung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge beauftragt war. Aus manchen Ländern könne man nur mit falschen Papieren flüchten. Manche Flüchtlinge kämen aber auch ganz ohne Papiere – deren Identität festzustellen, sei oft schwierig. Und die Probleme dabei seien teilweise sehr banal:
    "Deshalb sind wir jetzt dabei neben dem Fingerabdruck zum Beispiel die Frage der Sprache, auch der Schrift, die ja übersetzt wird in unsere IT-Systeme, in eine lateinische Schrift von einer arabischen Schrift, bei der auch nicht genügend Felder für alle Namen manchmal vorhanden sind, wenn jemand viele Namen hat - das zu verbessern."
    Dann wird eine Identität zugewiesen – ob diese aber wirklich stimmt?
    Vor allem der Fingerabdruck kann bereits bekannte Personen identifizieren – wenn es diesen bereits in einem System gibt. Im Datenbankverbund von EuroDac zum Beispiel. Das steht für Europäische Daktyloskopie-Datenbank. Hier sollen eigentlich die Daten inklusive Fingerabdrücke derer landen, die in Europa in einem Asylverfahren bereits einmal registriert worden sind. Doch die Daten dieses Systems gelten teils als mangelhaft, teils sind die Fingerabdrücke nur in schlechter Qualität digitalisiert und damit unbrauchbar, heißt es in Sicherheitskreisen.
    Komplizierter Datenabgleich
    Die Eurodac-Daten dürfen in besonders schweren Kriminalitätsverdachtsfällen für Ermittlungen genutzt werden. Allerdings darf in Eurodac erst gesucht werden, wenn nationale Fingerabdruckdatenbanken, der Datenabgleich mit den Mitgliedstaaten des Prümer-Vertrags und die Datenbank des europäischen Visa-Informationssystems keine Treffer ergaben. Führt der Abgleich dann zu einem Fund, bemängelt das Bundeskriminalamt, dürfen von der suchenden Behörde aber keine weiteren Daten aus dem System selbst abgerufen werden. Sondern müssen über einen weiteren Anfrageweg aus dem jeweiligen Mitgliedstaat erfragt werden.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer.
    Nicht immer einer Meinung: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer. (AFP / ODD ANDERSEN)
    Doch wer keinen Asylantrag stellt, sondern nach unbemerkter Einreise einfach so da ist, der wird auch in Eurodac nicht erfasst. Ein Punkt, den die CSU immer wieder ein Sicherheitsrisiko nennt. Weshalb Bundesinnenminister de Maizière im vergangenen Sommer angekündigt hat:
    "Wir haben eine grenzfreie Situation im Schengen-Raum, wir haben allerdings an der Außengrenze der Schengener Grenze zu viele Sicherheitslücken, das haben wir bei der Flüchtlingsfrage festgestellt, etwa bei der Registrierung in Eurodac-Daten. Ich schlage auch vor, dass wir ein so genanntes Ein- und Ausreiseregister für alle diejenigen führen, die in den Schengen-Raum hineinkommen."
    Mit dem EES, dem Ein- und Ausreisesystem, soll die Ein- und Ausreise von Bürgern aus den 42 Staaten der Welt, die für Kurzaufenthalte kein Visum benötigen, in das Schengen-Gebiet erfasst werden. Sie sollen künftig ihre Einreisen in einem weiteren neuen System mit Namen ETIAS voranmelden, vergleichbar dem elektronischen Voranmeldesystem für Europäer, die in die USA einreisen. Anmeldungen über ETIAS sollen dann mit dem Visainformationssystem VIS, dem EuroDac-Fingerabdruckregister, den Datenbanken von Europol und Interpol und dem Schengen Informationssystem abgeglichen werden, so der Plan der EU-Kommission.
    Umfangreichere Datenbanken für mehr Sicherheit
    Nur eine der vielen Baustellen auf europäischer Ebene, bei der bessere, mehr und umfangreichere Datenbanken Sicherheit herstellen sollen. Eine Expertengruppe, an der auch das deutsche Innenministerium beteiligt ist, erarbeitet derzeit Vorschläge, wie die Datenbanken Europas künftig gestaltet werden sollen – im Mai wird sie ihren Abschlussbericht vorlegen.
    Doch mit Datenbanken allein kann man natürlich keine Terroristen fassen – dafür braucht es am Ende Personal, das mit diesen Datenbanken korrekt arbeitet. Und die richtigen Standards, die immer wieder nachgearbeitet werden müssen. Die Realität des Schengen-Informationssystems SIS ist hierfür ein Beispiel:
    Mehdi Nemmouche, der im Mai 2014 im jüdischen Museum von Brüssel vier Menschen erschossen hat, sitzt derzeit in Belgien in Haft. Der Attentäter soll in Syrien dem IS angehört haben, darauf hatten die französischen Behörden bereits Hinweise, als Mehdi Nemmouche im März 2014 mit einer Maschine aus Bangkok am Flughafen in Frankfurt ankam. Deshalb schlug das Schengener Informationssystem SIS an. Der Franzose ist vermerkt in eben diesem System – ein sogenannter Artikel 36-Eintrag: der besagt, dass die Information von der Einreise Nemmouches sofort an die französischen Behörden weitergegeben werden muss.
    Schilder mit der Aufschrift "Passkontrolle" und "Europäische Union" am Flughafen Frankfurt am Main.
    Das Schengener Informationssystem SIS dient der automatisierten Personen- und Sachfahndung in der Europäischen Union. Die Datenbank gibt Informationen über unerwünschte oder zur Fahndung ausgeschriebene Personen. (imago / Rolf Braun)
    "Was aber dort noch der Mangel war, den hat man danach behoben: für die kontrollierenden Beamten der Bundespolizei war nicht erkennbar, warum ist der ausgeschrieben", erläutert der Innenpolitiker der CDU, Clemens Binninger.
    "Dann ist ja die ganze Palette des Strafgesetzbuches denkbar: von Schadensersatzforderungen, Strafbefehl nicht bezahlt, gesucht wegen irgendwas. Aber es war ja kein Haftbefehl, er war nur ausgeschrieben zur Aufenthaltsermittlung, man wusste nicht warum."
    Die Bundespolizei informierte im Fall des späteren Brüsseler Attentäters zwar ordnungsgemäß die französischen Behörden – ansonsten passierte jedoch nichts.
    Viele Defizite bei Datenbanken
    Clemens Binninger wirkt etwas frustriert, wenn man mit ihm über die Datenbanken spricht, die für Sicherheit heute so unerlässlich sein sollen. Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste und Mitglied im Innenausschuss sieht viele Defizite, auch wenn es Verbesserungen gegeben habe, zum Beispiel nach dem Fall Nemmouche.
    "Dann hat man den Merker Foreign Fighter eingesetzt. War auch schwierig umgesetzt, ich hoffe, dass ihn alle praktizieren. Aber wie er natürlich in den einzelnen Ländern angewandt wird, ist natürlich auch wieder außerhalb der Einflussmöglichkeiten."
    Wer also dem internationalen Terrorismus zugerechnet wird, ist in den Datenbanken als 'Foreign Fighter' gekennzeichnet.
    Das Attentat von Brüssel, das erste, das in Europa dem sogenannten Islamischen Staat zugeschrieben wird, ist bald drei Jahre her. Aber erst Ende 2016 wurde bei einem Arbeitstreffen von 13 EU-Mitgliedstaaten, Norwegen und der Schweiz konkret vereinbart, bei welchen Fällen der ‚Foreign Fighter‘-Eintrag ins SIS und die Europoldatenbank erfolgen soll. Strittig aber blieb zum Beispiel, ob die Markierung auch bei Nichteuropäern erfolgen soll, die im Verdacht stehen, sich oder andere zu radikalisieren. Für den CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer nur eines von vielen Beispielen für seine Forderung, dass Terrorbekämpfung nicht an nationalen Grenzen Halt machen kann.
    "Aus meiner Sicht kommt es ganz entscheidend darauf an, dass man auf europäischer Ebene das notwendige Bewusstsein in den einzelnen Mitgliedsländern und in den Hauptstädten schafft. Dass es erforderlich ist, und im Sinne aller in Europa ist, wenn beispielsweise bekannte Gefährder oder Foreign Fighters in die Datenbank eingepflegt werden."
    Es gibt also viel zu tun, für CDU und CSU. Die Schwesterparteien haben viel zu verlieren – noch halten die Wähler sie für kompetent in puncto innere Sicherheit. CDU und CSU wissen das. Der CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer ist schon wegen der vielen Baustellen in Europa sicher, dass man weiterhin gemeinsam agiert. Denn da gilt für die beiden Parteien mit dem C im Namen:
    "Egoismen und Befindlichkeiten können wir uns angesichts der jetzigen Bedrohungssituation bei Gott nicht mehr leisten."
    Und selbst für den ewigen Streit um die Obergrenze gibt es eine Lösung: Sie wird im gemeinsamen Wahlprogramm nicht auftauchen – sondern nur im CSU-Programm.