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Verspätung ist Verspätung

Auch wenn Hochwasser, Eis oder Schnee einen Zug aufhalten, muss die Bahn ihren Fahrgästen künftig den Fahrpreis teilweise erstatten. Bei Fällen höherer Gewalt gelten die gleichen Regeln, wie bei selbst verschuldeten Verspätungen, entschied der Europäische Gerichtshof.

Von Jörg Münchenberg |
    Wieder einmal hat der Europäische Gerichtshof zugunsten der Verbraucher geurteilt. Demnach haben Bahnreisende Anspruch auf eine teilweise Fahrpreiserstattung, auch wenn die Verspätung auf höhere Gewalt zurückzuführen ist. Ein Urteil, das erhebliche Konsequenzen haben dürfte, meint der Verkehrsexperte bei der Verbraucherzentrale Bundesverband, Ottmar Lell:

    "Es heißt ab jetzt, dass sich die Deutsche Bahn eben nicht mehr auf höhere Gewalt berufen darf. Wenn ein Verbraucher sagt, ich bin mehr als eine Stunde zu späte gekommen, dann muss die Bahn bezahlen, egal ob da jetzt eine Flutkatastrophe, ein Selbstmörder oder sonst etwas auf der Strecke gewesen ist."

    Tatsächlich gibt es auch in Deutschland seit 2009 gesetzlich verbriefte Rechte für Bahnfahrer. Doch die Entschädigungsrechte greifen nicht, wenn die Zugverspätung auf höhere Gewalt, also etwa Streiks oder schlechtes Wetter zurückzuführen ist. Ähnliche Klauseln haben die meisten europäische Bahnunternehmen in ihren Beförderungsbedingungen, die nun aber überarbeitet werden müssen.

    Zwar haben sich die Luxemburger Richter heute zu einem Streitfall in Österreich geäußert. Doch der Urteilsspruch gilt für die gesamte Union, weshalb inzwischen auch die Deutsche Bahn erklärt hat, sie werde das Gerichtsurteil zügig umsetzen. Von einem guten Tag für die Verbraucher sprach deshalb auch der SPD-Verkehrsexperte im Europäischen Parlament, Ismail Ertug:

    "Das ist ein gutes Urteil, insbesondere weil es beim Verkehrsträger Schiene noch gefehlt hat. In der Vergangenheit war es so, dass man sich gerne auf die Begrifflichkeit der höheren Gewalt zurückgezogen hat, um nichts zu bezahlen, um nicht zu entschädigen. Von daher ist es eine gute Nachricht für alle Bahnfahrer."

    Freilich bezieht sich das Urteil ausschließlich auf eine Teilerstattung des Fahrpreises und nicht auf einen Ausgleich für einen erlittenen Schaden. Es gehe zunächst um die Kompensation für eine nicht erbrachte, aber bereits bezahlte Dienstleistung, so die EuGH-Richter. Nach der gültigen EU-Verordnung aus dem Jahre 2007 müssen Bahnunternehmen bei einer Verspätung von mehr als einer Stunde zunächst 25 Prozent, ab zwei Stunden Verspätung dann 50 Prozent des Fahrpreises erstatten.

    Nach Ansicht von Experten könnte die Neuregelung jedoch zu höheren Fahrpreisen führen, denn die Bahngesellschaften dürften die höheren Kosten wohl auf die Kunden umwälzen, warnt selbst Verbraucherschützer Lell:

    "Es ist ein Urteil, das auf den ersten Blick für die Verbraucher großartig ist. Wie gut es dann langfristig sein wird, ist die Frage. Es ist sicherlich gut und sinnvoll, dass sich Bahnunternehmen auch im Falle von höherer Gewalt um die Fahrgäste kümmern müssen. Ob es dann in allen Fällen auch sinnvoll ist, dass die Fahrgäste ihre Fahrpreise teilweise erstattet bekommen, ist eine andere Frage. Zumal es hier eben um Fälle geht, gegen die sich Bahnunternehmen unter keinen Umständen hat wehren können."

    Zudem betonten die Luxemburger Richter heute ausdrücklich, dass sich das Urteil allein auf Bahnreisende bezieht. Eine Anwendung auf die Förderbedingungen auch im Flug-, Schiffs- und Omnibusverkehr sei nicht zulässig, denn dort gelten andere Regelungen. Bei Verspätungen im Flugverkehr, bedingt durch höhere Gewalt, besteht weiterhin kein Anrecht auf eine Ticketpreiserstattung.