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Viel literarische Mehlpampe

Diesmal mit Ferkelmädchenbüchern und geriatrischen Road Novels, Neues von führenden Lindwurmautoren aus Zamonien, dänischem Krimimurks, italienischen Weltverschwörungstheorien und dumpfdeutscher Wellnessprosa.

Von Denis Scheck |
    10) Ferdinand von Schirach: "Der Fall Collini"(Piper, 208 Seiten, 16,99 Euro)

    Ein italienischer Werkzeugmachermeister tötet im Berliner Hotel Adlon einen 85-jährigen deutschen Industrieführer. Im Verlauf der Handlung erfahren wir, dass der Industrielle in Wirklichkeit ein Kriegsverbrecher war, und das soll uns zu denken geben. Leider beschreibt von Schirach keinen SS-Obersturmbannführer, sondern bloss ein Hollywood-Monster wie Godzilla oder King Kong, und deshalb ist "Der Fall Collini" kein Roman, sondern eine in dürftige belletristische Fetzen gehüllte Knobelaufgabe aus dem zweiten juristischen Staatsexamen.

    9) Jonas Jonasson: "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" (Deutsch von Wibke Kuhn, 416 Seiten, 14,99 Euro)

    Ein alter Schwede, na, um die Wahrheit zu sagen: ein uralter Schwede hat keine Lust aufs ritualisierte Prösterchen mit der Altenheimleitung und den Stadtoffiziellen. Statt dessen beschließt er, ausgerechnet an seinen hundertsten Geburtstag alles auf Risiko zu setzen und aus dem Altenheim ins wahre Leben auszubüxen. Schwuppdiwupps kommt er in den Besitz eines Koffers voll Geld und erinnert uns begeisterte Leser auf den folgenden 400 Seiten daran, worauf es im Leben wirklich ankommt. Ein gelungener Unterhaltungsroman - nicht mehr, nicht weniger.

    8) Jussi Adler-Olsen: "Schändung" (Deutsch von Hannes Thies, dtv, 460 Seiten, 14,90Euro)

    Ein Krimi über pervertierte Angehörige der dänischen Oberschicht, die Menschenjagden veranstalten. Leider ist der Autor der Versuchung erlegen, das Grundsatzprogramm der Sozialdemokratie in die Form eines Stieg-Larrson-Thrillers zu gießen. Das liest sich dann so:

    "Sie, die ich am meisten auf der ganzen Welt geliebt habe, wurde massakriert. Und die Täter stehen jetzt ganz oben auf der gesellschaftlichen Leiter und grinsen uns an."

    7) Jo Nesbo: "Die Larve" (Deutsch von Günther Frauenlob, Ullstein, 576 Seiten, 21,99Euro)

    Der neunte Roman mit dem - sehr freundlich gesprochen - desillusionierten Ermittler Harry Holes markiert, was im skandinavischem Thriller derzeit möglich ist: intelligente, ja facettenreich gestaltete Serienkonfektion. Wen interessiert schon der Plot um Drogenschmuggel, Beziehungselend in Oslo und wahre Männerfreundschaft angesichts der stupenden Fähigkeit des Erzählers, uns wirklich alle Seelenausstülpungen noch der allerletzten Nebenfigur quicklebendig zu schildern?

    6) S.J. Watson. "Ich.Darf.Nicht.Schlafen."(Deutsch von Ulrike Wasel, Scherz, 464 Seiten, 14,95 Euro)

    Während des Lesens dieses blödsinnigen und ungelenken Thrillers um eine Frau, die nach jedem Schlummer ihr Gedächtnis verliert, hielt ich mich lediglich mit der Frage wach, warum die Macher des Kinofilms "Memento" nicht gegen diesen plumpen Trittbrettfahrer klagen.

    5) Jussi Adler-Olsen: Erlösung (Deutsch von Hannes Thies, dtv, 592 Seiten, 14,90 Euro)

    Vizekriminalkommsar Carl Mørck und sein syrischer Assistent Hafez el-Assad vom Sonderdezernat Q rollen in ihrem dritten Krimi den Fall zweier verschwundener Kinder neu auf; eine mit Blut geschriebene Flaschenpost führt zu einer merkwürdigen Sekte. Schräger als sämtliche Kapriolen der Handlung sind aber die stilistischen Verrenkungen von Jussi Adler-Olsen, der Sätze schreibt wie:

    "Anfangs schlug der Stiefvater nicht. Aber als seine Mutter weniger Schlaftabletten nahm und sich ihm im Bett fügte, erhielt sein Temperament größeren Spielraum."

    Hätte Jussi Adler-Olsen die Aufgabe, einen Notausgang zu beschriften, keiner käme lebend raus.

    4) Umberto Eco: "Der Friedhof in Prag" (Deutsch von Burkhard Kroeber, Hanser Verlag, 528 Seiten, 26 Euro)

    In seinem enorm stoffreichen sechsten Roman erzählt Umberto Eco die Lebensgeschichte eines fiktiven Mörders und Meisterfälscher - und davon, wie Feindbilder entstehen, wie man zum Sündenbock gemacht wird und wer Interesse an der Verbreitung von Verschwörungstheorien hat. Die schöne Ironie dieses seine Leser fordernden Romans liegt darin, dass ausser der Hauptfigur sämtliche Personen real sind und sich alle Ereignisse tatsächlich so zugetragen haben.

    3) Charlotte Roche: Schoßgebete (Piper, 288 Seiten, 16,99 Euro)

    Die Gesetze der Talkshow produzieren immer mehr letztlich begründungsfrei um sich ballernde Meinungsmaschinchen. So ist auch dieses Buch weniger ein nach ästhetischen Prinzipien komponierter Text als ein Gefäß für alles, was seiner von der Ich-Erzählerin ununterscheidbaren Autorin gerade so durch die Birne rauscht: Meinungen zu vegetarischer Ernährung, Meinungen zu ehelicher Treue, Meinungen zur Springerpresse, Meinungen zur Kindeserziehung. Das führt zu schönen Stilblüten, etwa:

    "Deswegen bin ich so sauer auf Christen, genauso wie auf Frauen, die sich Silikon in die Brüste stopfen."

    Alles klar.

    2) Dora Heldt: Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt (dtv, 336 Seiten, 14,90 Euro)

    Aus Panik vor ihrem 50. Geburtstag flieht eine Frau mit zwei Freundinnen in ein Wellness-Hotel, wo sie über Witzchen lachen wie:

    "Wir waren immer schon schwer intellektuell, haben uns für Politik, Gesellschaft, Literatur und klassische Musik interessiert."

    Dumpfe deutsche Unterhaltung, das literarische Äquivalent zu einem panierten Schweineschnitzel mit Mehlpampe.

    1) Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher (Knaus, 432 Seiten, 24,99 Euro)

    Das Erscheinen eines neuen Zamonien-Romans von Walter Moers ist ein Festtag für die deutsche Literatur. Nirgendwo findet man kreativeren Irrwitz, nirgendwo mehr Einfälle pro Romanseite als in Moers Geschichten um den schreibenden Lindwurm Hildegunst von Mythenmetz. Zwar endet dieser Roman mit dem unverschämtesten Cliffhanger, der mir je zwischen zwei Buchdeckel begegnet ist - aber gerade dass man auch nach über 400 Seiten voller Schrecksen und Buchlingen und Mythenmetzscher Abschweifungen zum Thema Puppetismus dem Moerschen Märchen nicht überdrüssig ist, belegt seine Qualität.