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Völkermord an Armeniern
"Deutschland hat Mitverantwortung"

Die große Koalition muss sich gerade viel Kritik gefallen lassen, weil sie das Massaker an den Armeniern zwar verurteilt, aber nicht "Völkermord" nennt. Vor 100 Jahren hätte Deutschland das Verbrechen sogar verhindern können, sagte der Schweizer Historiker Hans-Lukas Kieser im DLF.

Hans-Lukas Kieser im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich |
    Fotos in einer Ausstellung über die Verfolgung der Armenier im Lepsius-Haus in Potsdam
    Je nach Schätzung zwischen starben 300.000 und mehr als 1,5 Millionen Armenier. (dpa / picture alliance / Bernd Settnik)
    "Deutschland hätte die Druckmittel in der Hand gehabt, die Innenpolitik des jungtürkischen Komitees zu beeinflussen", so Kieser. Bereits 1913 habe das Deutsche Reich an der Seite dieser politischen Bewegung, die erst fünf Jahre zuvor im osmanischen Parlament an die Macht gekommen war, im Zweiten Balkankrieg gekämpft; ein Jahr danach dann auch im Ersten Weltkrieg.
    Der damalige deutsche Botschafter in Konstantinopel, Hans Freiherr von Wangenheim, habe Kenntnis über das Vorgehen gegen die Armenier gehabt, jedoch in "keiner Weise eine Bereitschaft" gezeigt, "auch andere Ziele neben dem militärischen Bündnis ernstzunehmen". Deutschland trage deshalb eine "qualifizierte Mitverantwortung" für die Ereignisse.
    "Türken wollten keinen Vielvölkerstaat"
    Die Hauptverantwortung für den Völkermord trage das Osmanische Reich. Das Innenministerium habe die Armenier auf Zügen in die syrische Wüste geschickt, auf diesem Weg seien viele umgekommen.
    Ziel der Türken sei es gewesen, eine "Koexistenz verschiedener Gruppen" zu beenden. Die Armenier seien dabei als "das Hindernis" erschienen, einen modernen und souveränen muslimischen Staat zu haben. "Die Idee, dass nur nationale Staaten eine Zukunft hatten, war dominant." Vielvölkerstaaten dagegen seien als dekadent erachtet worden.
    Die Deutung der damaligen Geschichte sei "Zeitgeschichte, die einen direkten Zusammenhang mit der lebenden Generation hat", sagte der Historiker mit Blick auf die auch nach 100 Jahren noch immer hitzige Debatte um die damaligen Ereignisse.
    Das Interview können Sie mindestens fünf Monate lang als Audio-on-demand abrufen.