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Völkermord-Debatte
Zentralrat der Armenier fordert Anerkennung von Genozid

In diesem Monat jährt sich der Völkermord an den Armeniern zum 100. Mal. Dabei werden auch die Verstrickungen des Deutschen Reiches in den Genozid neu untersucht – Deutschland und das Osmanische Reich waren im Ersten Weltkrieg Bündnispartner. Der Zentralrat der Armenier fordert nun die Anerkennung als Völkermord.

Von Kemal Hür | 15.04.2015
    Gedenkstätte an den Völkermord in Jerewan, Hauptstadt von Armenien
    Gedenkstätte an den Völkermord in Jerewan, Hauptstadt von Armenien (picture alliance / dpa / Foto: Abaca 106804)
    Weltweit haben 22 Parlamente die massenhafte Vertreibung und Ermordung von Armeniern im Osmanischen Reich als Genozid eingestuft, darunter auch Frankreich, Italien, Griechenland und die Niederlande in Europa. Das Europaparlament stimmt heute über eine Resolution ab, in der die Türkei aufgerufen wird, den Völkermord an den Armeniern anzuerkennen. Das Europaparlament selbst verwendet den Begriff "Völkermord" bereits seit 1987. Deutschland hingegen verzichtet auf diese Bezeichnung. Der Bochumer Geschichtsprofessor Mihran Dabag hat dafür eine einfache Erklärung.
    ''Man soll nicht drum herum reden. Es gibt nur eine Erklärung: Weil Bundesrepublik Deutschland befürchtet, dass die politische Kommunikation mit der Türkei gestört wird.''
    Kaum ein Unterschied zwischen 1915 und heute
    Dabag weiß als Genozidforscher um die Verstrickung Deutschlands in den Völkermord als Bündnispartner des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg. Die Ermordung von rund 1,5 Millionen Armeniern geschah mit Wissen des Kaiserreiches. Der deutsche Reichskanzler sagte damals, die Bündnispartnerschaft mit dem Osmanischen Reich sei wichtiger als das Schicksal der Armenier. Der deutsche Bundestag sei nach einem Jahrhundert nicht weit entfernt von dieser Haltung, kritisiert Mihran Dabag.
    ''Wenn ich sozusagen etwas historisch argumentieren darf, so könnte ich sagen, dass diese Haltung 1915 und heute sich wenig unterscheiden.''
    Am Gedenktag des Völkermordes, am 24. April, wird sich der Bundestag mit eben diesem Thema beschäftigen. Gestern appellierte der Zentralrat der Armenier an die Parlamentarier, den Völkermord anzuerkennen. Die stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats, Madlen Vartian:
    ''Wir erwarten, dass die Parlamentarier der einzelnen Fraktionen sich nicht durch eine Entscheidung der Bundesregierung gebunden fühlen, sondern ihr freies Mandat ausüben und nur ihrem Gewissen folgen und den Völkermord als solchen anerkennen.''
    Bundestag vermeidet Festlegung
    Der Bundestag hatte vor zehn Jahren in einem Beschluss den Begriff Genozid vermieden, aber darauf hingewiesen, dass viele Historiker die Massendeportationen und Tötungen als solchen einstufen. Wenn der Bundestag nächste Woche dazu debattiert, steht bereits fest, dass wieder nicht von einem Völkermord gesprochen wird, sagt Madlen Vartian, die als Rechtsanwältin in Köln arbeitet. Die Fraktionsspitzen der Regierungsparteien hätten den Begriff in ihren Vorlagen gestrichen.
    ''In allen ursprünglichen Anträgen ist der Begriff des Völkermordes eindeutig erwähnt worden. Nachdem das aber an die Fraktionsspitze und an das Auswärtige Amt weitergegeben worden ist, verschwand der Begriff und wurde ersetzt durch die Begriffe Vertreibung und Massaker.''
    Vartians armenische Eltern stammen aus dem Süden der Türkei. Sie ist in Deutschland geboren. Mittlerweile ist sie selbst Mutter. Die deutsche Politik dürfe die veränderte gesellschaftliche Realität nicht außer acht lassen, meint die armenische Kölnerin.
    ''Es ist im Grunde unhaltbar, diese Haltung einzunehmen angesichts dessen, dass Menschen aus der Türkei hier bereits in der dritten Generation leben und auch in Zukunft hier leben werden und dass ihre Geschichte, die sie hier nach Deutschland eingebracht haben, auch nun als Teil der deutschen Erinnerungskultur wahrgenommen werden muss.''