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Volksentscheid über den Flughafen Tegel
Das Kürzel TXL spaltet Berlin

Eigentlich soll der Berliner Flughafen Tegel geschlossen werden, wenn der neue Großflughafen BER einmal eröffnet wird. Aber dagegen gibt es inzwischen Protest. Am Sonntag soll per Volksabstimmung entschieden werden, wie es weitergeht. Das könnte für die Berliner Stadtregierung zum Problem werden.

Von Thomas Weinert |
    Ein Flugzeug fliegt dicht über ein Wohnhaus in Berlin-Tegel.
    Ein Flugzeug fliegt dicht über ein Wohnhaus in Berlin-Tegel. (dpa / Kai-Uwe Heinrich)
    Diesen Fluglärm haben die Demonstranten vorgestern selbst mitgebracht, als sie auf dem Kurfürstendamm demonstrieren für die Schließung des Flughafens Tegel. Sie halten Transparente hoch, auf denen zu lesen ist "Lärm gegen den Lärm" oder "Gib mir den Himmel zurück". Prominente Unterstützung gibt es auch: Auf einer Bühne spricht die Schauspielerin Jasmin Tabatabai zu den Menschen, die sich auf dem Bürgersteig versammelt haben.
    "Liebe Berliner, liebe Berlinerinnen! Lasst euch bitte nicht missbrauchen von Populisten, die euch vorgaukeln, dass es hier etwas zu entscheiden gibt. Wo jeder, der sich auch nur ein bisschen mit der Rechtslage auskennt, sagt: Es ist nicht möglich, ohne dass Berlin in ein Chaos gestürzt wird."
    Übermorgen wird in Berlin nicht nur der Deutsche Bundestag neu gewählt, die Bürgerinnen und Bürger der Stadt sollen in einem Volksentscheid auch darüber abstimmen, ob der Flughafen Tegel wie geplant geschlossen wird oder in Betrieb bleibt. Tegel liegt im Nordwesten der Stadt, ist eine Gründung der französischen Besatzungsmacht und stellte ab den 70er-Jahren sicher, dass West-Berlin angebunden blieb an den modernen internationalen Luftverkehr. Seit Mitte der 90er-Jahre, als die Planungen begannen für den neuen, aber bis heute nicht fertiggestellten Flughafen BER, rechnet man in Berlin damit, den Flughafen Tegel zu schließen. Und zwar ein halbes Jahr, nachdem der Flughafen BER eröffnet ist.
    Prognosen sehen nur knappe Mehrheit
    Umfragen im Frühjahr deuteten noch auf ein klares Ergebnis hin zugunsten der Tegel-Befürworter. Derzeit stehen die Prognosen nur noch für eine knappe Mehrheit.
    "Wenn der Volksentscheid durchgeht, und da sind wir ziemlich sicher, weil es ja mit den Bundestagswahlen auf einen Tag fällt und damit kein Problem besteht, das Quorum zu erreichen, dann haben wir eine sehr starke Empfehlung an den Senat von Berlin und das Abgeordnetenhaus, Tegel offen zu halten."
    Michael Kromarek ist Rentner und hat "Tegel bleibt offen e.V." gegründet. Eine Bürgerinitiative, die im Frühjahr mehr als 200.000 Unterschriften in einem Volksbegehren sammelte für diesen Volksentscheid am Sonntag.
    Und so spaltet das Kürzel TXL seit gut einem halben Jahr die Stadt Berlin. Die einen wollen einen Airport erhalten, der neben Tempelhof auch als Symbol dient für die Freiheit West-Berlins, die anderen halten diesen Plan für einen ökologischen und ökonomischen Irrsinn.
    "Ich sehe in Tegel überhaupt keine Zukunft. Wir können nicht Unsummen in zwei Flughäfen stecken. Das rentiert sich auch nicht als Drehkreuzkonzept, das macht einfach auch wirtschaftlich und planerisch keinen Sinn."
    Über 300.000 Menschen leben in der Einflugschneise
    Diese Rentnerin wohnt in Pankow, also in der Einflugschneise. Der Tegel-Befürworter kommt aus Steglitz, einem Stadtteil ohne Fluglärm.
    "Weil es unmöglich ist, als Weltstadt nur einen Flughafen zu haben. Der Neue wird kaum fertig. Man spekuliert schon darauf, dass er gar nicht fertig wird. Also eigentlich unmöglich."
    Aber es gibt auch Tegel-Fans, die in der Nähe des Flughafens wohnen und ihn dennoch behalten wollen. Und sich nicht vorstellen wollen, in Brandenburg abzufliegen, um in Mallorca zu landen.
    "Weil wir doch als Hauptstadt unseren eigenen Flughafen brauchen. Wir leben jetzt 50 Jahre damit. Ich bin Teglerin. Und ich finde, die Alternative nur Schönefeld, das ist einfach zu wenig. Wenn Tegel eine Entlastung bekommt und nur noch minimal für Geschäftsflieger und so offen ist, aber für den Notfall immer noch verfügbar ist."
    Stimmt das Wahlvolk nun für die Offenhaltung, hat die recht junge Regierung von Berlin ein großes politisches Problem. Denn über 300.000 Menschen leben in der Einflugschneise des Flughafens, so viele wie Karlsruhe Einwohner hat. Nirgendwo in Deutschland dröhnen Flugzeuge so laut wie in den Stadtteilen Wedding und Pankow oder wie in Spandau.
    Viele strittige Themen
    Hier lebt Familie Fahrun. Ein schmuckes Reihenhaus am Wasser. Und Keimzelle einer Bürgerinitiative, die sich jetzt wehrt gegen den Höllenlärm. Auf der Dachterrasse erzählt Michael Fahrun, wie sehr er sich darauf verlassen habe, dass Tegel schließt.
    "Ich habe mir das Haus gekauft mit meiner Familie zusammen, um hier zu leben und zwar in Ruhe zu leben. Ich wollte das Haus eigentlich nicht verkaufen, wenn der Flughafen weg ist, dann hätte ich Gewinn machen können, aber das ist nicht der Plan. Ich bin ein normaler Mensch mit normaler Familie und wir wollen hier Leben – in Ruhe."
    "Wenn man in Tegel landet, dann hat man ja oft das Gefühl, dass es ganz gut wäre, wenn jetzt mal die Landebahn kommt, das heißt, man fliegt in einer Intensität über Wohngebiete, das merkt man ja." - "Haben Sie auch Angst?" - "Ja, habe ich. Besonders, wenn irgendwie man das Gefühl hat, dass durchgestartet wird. Wir haben hier Situationen schon erlebt, wo man denkt, oh, das ist jetzt aber knapp - das ist kaum auszuhalten"
    Als Heike Fahrun erzählt, ist es einer dieser sehr windigen Tage, an denen die Flugzeuge über dem Tegeler See mit den Flügeln wackeln und bei der Landung seitwärts wegschmieren, in unmittelbarer Stadtnähe ein in der Tat beängstigendes Bild. Vor der Abstimmung am kommenden Sonntag beschäftigen Sicherheit, Lärmbelastung, juristische und damit auch wirtschaftliche Risiken rund um das Thema Tegel die Stadt wie nie zuvor.