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Von der Stahl- zur Ideenschmiede

Pumpspeicherkraftwerke in alten Stollen, Wärme aus Grubenwasser - wenn 2018 die letzten Zechen im Ruhrgebiet schließen, soll in den Halden und Schächten Strom aus erneuerbaren Energiequellen gespeichert werden. Statt Kohle und Stahl könnten grüne Innovationen zum Exportschlager werden.

Von Britta Fecke | 24.04.2013
    Mit zwölf Metern pro Sekunde rattert der Förderkorb in die Tiefe, hin und wieder blitzt Licht in das Dunkel des Berges, wenn der Korb an einer Sohle vorbei rast. Auf Sohle sieben, rund 1200 Meter unter der Erdoberfläche, wartet Thomas Vollmer auf den Lift, der ihn wieder an den Tag bringt.

    In fünf Jahren wartet hier keiner mehr auf das Licht, dann ist Schicht im Schacht, auch auf Prosper Haniel in Bottrop. Eine 150-jährige Tradition wird endgültig zur Geschichte. 2018 endet der subventionierte Bergbau. Für die Bergmänner im Revier kommt das Ende der Steinkohle zwar nicht überraschend, aber für einige vielleicht doch zu früh? Thomas Vollmer:

    "Ich bin noch jung, ich bin jetzt 42. Ich hab noch bis 2019, dann gehe ich in Vorruhestand. Ich war früher auf Leopold gewesen, jetzt bin ich hier. Tja weiter geht's, wat willste machen?"

    Der Kumpel neben ihm weiß genau, was er machen will:

    "Essen, trinken, schlafen. Mir gefällt dat, ich werd' mir in Ruhe setzen!"

    Viele Bergmänner werden dann - wie Thomas Vollmer - in den Vorruhestand - die sogenannte Anpassung - geschickt. Doch auch wenn nach 2018 in Bottrop keine Kumpel mehr einfahren, ist auf Prosper Haniel noch lange nicht Schluss. Die Ruhr Kohle AG - kurz RAG - muss sich um die alten Anlagen kümmern. Das untertägige Streckennetz aus Flözen und Transportabschnitten misst allein unter Bottrop rund 140 Kilometer. Der ganze Stadtbereich ist untertunnelt. Die Welt unter Tage ist löchrig wie ein Schweizer Käse!

    Neue Technologien in alten Stollen
    Doch die Pflege der Schächte, Flöze und Stollen ist nicht nur eine Aufgabe, sondern auch eine Chance. Und so entwickelt die RAG gemeinsam mit der Universität Duisburg-Essen und der Ruhr-Universität Bochum neue Nutzungsmöglichkeiten für die alte Infrastruktur. Eine Idee: Wo früher die fossilen Energieträger aus dem Berg gehauen wurden, soll in Zukunft unter anderem der Strom aus erneuerbaren Energiequellen gespeichert werden. Neue Technologie in alten Stollen!

    Der überschüssige Strom, der zum Beispiel aus windumtosten Windparks auf dem Meer kommen könnte, soll mit Hilfe von Pumpspeicherkraftwerken im Ruhrgebiet zwischengespeichert werden. Walter Eilert, vom RAG-Servicebereich Standort und Geodienste, erklärt wie:

    "Das Wasser wird in einem Oberbecken gespeichert, das kann jetzt ein See sein, so wie man sich das auch in den Alpen vorstellt, dass da ein See aufgespeichert wird mit 300.000 bis 500.000 Kubikmeter Wasser."

    Aus diesem Becken soll das Wasser dann weiter über Rohrleitungen in die Tiefe fallen, erklärt Walter Eilert weiter.

    "Am Ende der Rohrleitung stehen dann die Turbinen und über diese Turbinen wird dann der Strom erzeugt. Das Wasser würde dann in einem untertägigen Becken wieder aufgefangen werden und da so lange zwischenspeichert, bis man das Wasser über Pumpen wieder zur Tagesoberfläche fördert."

    Steinkohleindustrie entdeckt die Erneuerbaren Energien
    Seit dem geplanten Atomausstieg wird in Deutschland intensiv nach Möglichkeiten gesucht, um die schwankenden Strommengen aus den erneuerbaren Energiequellen, aus Wind- oder Sonnenkraft, zu speichern. Die Energiewende wird auch ein Thema sein auf dem Bundesparteitag der Grünen in Berlin an diesem Wochenende. Das Problem: So viele Bergseen, wie man für die Zwischenspeicherung bräuchte, hat Deutschland nicht.

    Deshalb hat auch die Bundesregierung über eine Kooperation mit Norwegen nachgedacht. Doch warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah - wenn auch tief? Und so sucht die einst als Klimakiller verschriene Steinkohleindustrie, welche Möglichkeiten ihr die erneuerbaren Energiequellen bieten. Walter Eilert zählt auf:

    "Neben dem Thema Pumpspeicher, also Energiespeichern, befassen wir uns natürlich auch mit den anderen Ressourcen, über die wir verfügen. Dazu gehören eben, neben den Halden, neben den Industriebrachen, auch Themen wie Schachtwärme als Geothermie oder Wärme aus Grubenwasser. Besonders das Potenzial beim Grubenwasser erachten wir als recht groß. Und glauben, dass wir auf dem richtigen Weg sind, wenn wir die Wärme, die im Grubenwasser ist, entziehen und damit Gebäude oder andere Abnehmer versorgen."

    Was so theoretisch klingt, ist an einigen Orten im Ruhrgebiet schon gängige Praxis. Wie in der Zeche Zollverein in Essen. Die einst größte Steinkohlezeche der Welt ist seit 2001 Weltkurerbe der UNESCO und mit seinem Kulturangebot Prestigeobjekt des Ruhrgebiets.

    Auf dem Zechengelände steht auch das sogenannte Sanaa-Gebäude. Der weiße Würfel aus Stahlbeton wird komplett mit Wärme aus Grubenwasser versorgt. Mit den Stadtwerken Bochum hat die RAG außerdem ein Nahwärmesystem aufgebaut. Und Walter Eilert freut sich darüber, dass sich noch viele weitere Anlieger im Ruhrgebiet für dieses Wärmenetz interessieren.

    Denn auch wenn keine Kohle mehr gefördert wird, das Grubenwasser wird nach 2018 an vielen Standorten weiter hochgepumpt. Umweltschützer sind begeistert: Statt CO2-haltiger Steinkohle könnte in naher Zukunft nur noch klimaneutrale Energie aus der Tiefe geholt werden. Die RAG denkt aber bei der Projektentwicklung nicht nur an den Klimaschutz, sondern hofft auch auf die internationale Nachfrage. Frank Kremer, Sprecher der RAG:

    "Weltweit gibt es eine Menge Mienen, Bergwerke, die sich theoretisch und auch praktisch dafür eignen würden, das, was wir hier jetzt erstmals einzigartig entwickeln, auch umzusetzen. Das hier könnte tatsächlich wieder ein Exportschlager werden."

    Neues Image für das Ruhrgebiet
    "Exportschlager!" Das waren lange Zeit Kohle und Stahl, jetzt sind es Innovationen. Das Ruhrgebiet von der Stahl- zur Ideenschmiede, das gefällt auch Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk des Landes Nordrhein-Westfalen. Der SPD-Politiker sieht das Revier an der Ruhr auf einem guten Weg, es braucht allerdings noch ein anderes Selbstbewusstsein und:

    "… ein anderes Marketing. Es ist in Baden-Württemberg oder Bayern nicht alles besser, aber die haben es geschafft, ihr Image anders aufzustellen. Laptop und Lederhose in Bayern, das haben wir verstanden. Und die Realität im Ruhrgebiet ist auch viel moderner als das Image."

    Und auch viel grüner als so manch einer glaubt: Die Halden sind inzwischen bepflanzt, über ihnen kreist der Milan und im Norden stehen Wald und Heide unter Naturschutz. Seltene Vogel- und Pflanzenarten finden auf den Industriebrachen wieder einen Lebensraum. Auch der Mensch kann sich entfalten.

    Die Aussicht ist grün, dennoch ist die Luft mancherorten dick, besonders im Norden des Ruhrgebiets. Dort verwalten Städte und Kommunen in erster Linie ihre Vergangenheit. Denn als die Kohle ging, kam nicht mehr viel nach - was früher Arbeitsplatz war, ist jetzt Industriedenkmal.

    Auch Marl, eine Stadt am nördlichen Rand des Reviers, kämpft um Arbeitsplätze und Lebensqualität. Nicht leicht bei einer Arbeitslosenquote von zwölf Prozent und einer Verschuldung von 283 Millionen Euro. Wenn hier in zwei Jahren die Zeche Auguste Victoria schließt und die Kaue nur noch für Konzerte genutzt wird, ist zwar ein weiterer Kulturraum gewonnen, aber 3700 Arbeitsplätze sind verloren. Der Marler Bürgermeister Werner Arndt kommt ins Grübeln:

    "Wir sind eine Stadt der Industrie, immer gewesen. Wenn so viele Arbeitsplätze entfallen, dann ändert das auch Strukturen. Es wird kein Bergmann ins Bergfreie fallen, die werden alle in die sogenannte Anpassung gehen, in die Frühverrentung. Aber diese Arbeitsplätze fehlen. Denn man muss ja mal sagen, dass an jedem Industriearbeitsplatz in der Folge ungefähr 2,1 Arbeitsplätze in der Dienstleistungsbranche hängen. Deswegen werden wir hier sicher ein anderes Lohnniveau erhalten."

    Ersatz für Industriearbeitsplätze gesucht
    Mehr als die Hälfte der Industriearbeitsplätze gingen im Ballungsgebiet an der Ruhr in den letzten 30 Jahren verloren. Besonders schwer traf es die Städte wie Marl am nördlichen Rand des Reviers. Das Ruhrgebiet sucht seit dem Niedergang der Montanindustrie nach neuen Arbeitgebern.

    Doch die Ansiedlung anderer Branchen gestaltet sich schwierig – wie das Beispiel Nokia zeigt. Als der finnische Mobilfunkkonzern Anfang der 1990er-Jahre einen Teil seiner Produktion mitten ins Ruhrgebiet - nach Bochum - verlagerte, fanden mehr als 4500 Menschen einen neuen Job. Am Ende verschlang Nokia vor allem mehrere Millionen Euro Unterstützung vom Land Nordrhein-Westfalen. Die Subventionen sind weg, die Arbeitsplätze auch, die Produktion wurde 2008 nach Rumänien verlagert.

    Die Ansiedlung von namenhaften Großkonzernen sollte die Arbeitsplätze unter Tage ersetzen. Doch die Rechnung der Stadtentwickler ging nicht auf - weder mit Nokia noch mit dem Autobauer Opel. Im Wirtschaftsministerium in Düsseldorf glaubt Minister Garrelt Duin deshalb:

    "Dass ein sehr viel kleinteiliger Ansatz erfolgsversprechend ist. Wenn man sich Dortmund anguckt, da ist man weggegangen von den alten Industriearbeitsplätzen. Es ist inzwischen die Stadt mit mehr als 500.000 Einwohnern, die in Deutschland den größten Anteil an Dienstleistungsarbeitsplätzen hat."

    Dienstleistung und Mittelstand lautet nun die Devise:

    "Und in diese Richtung - denke ich - wird sich auch das nördliche Ruhrgebiet entwickeln müssen. Es wird nicht mehr nur um Schornsteine gehen und um großflächige industrielle Produktion."

    In Bottrop – im Herzen des Ruhrgebiets - kann diese Entwicklung in Echtzeit beobachtet werden. 2018 schließt hier einer der beiden letzten Schächte im Ruhrgebiet. Die Stadt nimmt dann endgültig Abschied vom Bergbau. Wo früher Schlacken und Abraum geschüttet wurden, entstehen bald Naherholungsgebiete und Speicherseen. Wer soll sie ersetzen, die vielen verlorenen Arbeitsplätze der Schwerindustrie? NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin:

    "Wir haben verschiedene Initiativen auf den Weg gebracht. In Bottrop entwickelt sich etwas unter dem Titel Innovation City, wo wir versuchen, dass gerade das nördliche Ruhrgebiet bei der jetzt anstehenden Revolution - hin zu erneuerbaren Energien – ganz weit vorne ist. Das Ruhrgebiet war ganz weit vorn, als es um Stahl und Kohle ging - jetzt hat es wieder nochmal eine Chance, die man auch ergreifen muss."

    "Blauer Himmel - grüne Stadt", unter diesem Motto hat der Initiativkreis Ruhr, ein Zusammenschluss von 60 Wirtschaftsunternehmen, einen Wettbewerb für die Klimastadt der Zukunft ausgeschrieben. Bottrop hat den Ruhrgebietswettbewerb gewonnen. Auf der Website der InnovationCity Ruhr heißt es:

    "Mit über 125 Einzelprojekten verfolgt die InnovationCity Ruhr das Ziel, einen klimagerechten Stadtumbau bei gleichzeitiger Sicherung des Industriestandortes voranzutreiben. Konkret sollen die CO2-Emissionen halbiert und die Lebensqualität gesteigert werden."

    Dabei ziehen Wirtschaft, Politik und auch die Wissenschaft an einem Strang. Es ist auch in Bottrop wie auf dem Bau: Man muss mit dem arbeiten, was da ist. Zum Beispiel mit Abraumhalden, davon hat der Zechenstandort genug.

    Bottrop als umweltbewusste Modellstadt
    Wie das Zeugnis vergangener Schwerindustrie zu einem zukunftsfähigen Energieprojekt wird, erklärt Rüdiger Schumann. Der Marketingleiter der InnovationCity Ruhr bewegt ein paar Steinchen mit der Schuhspitze von links nach rechts und weist dann mit dem Fuß auf den künstlichen Berg - die Abraumhalde:

    "Bei dem Projekt Schöttelheide geht es um eine Studie, um die Speicherung von Erdwärme. Dort werden Schläuche in der Halde verbaut und in diesen Schläuchen zirkuliert Wasser. Das Prinzip ist einfach, dass im Sommer dieses Wasser aufgeheizt wird, um dann in den Wintermonaten diese Wärme über einen Wärmetauscher wieder abzugeben."

    Mit der so gespeicherten Sonnenkraft sollen dann naheliegende Wohngebiete versorgt werden. In Bottrop liegen Wohn- und Gewerbegebiete in einigen Ortsteilen nah beieinander, auch die Schwerindustriestandorte sind zum Teil im Stadtbereich.

    Die bringen Schadstoffemissionen, mit denen Bottrop im Moment noch kämpft. Das birgt aber auch Chancen beim Umbau zu einer umweltbewussten Modellstadt. Welche klimaschonenden Aspekte man zum Beispiel einer Kokerei abgewinnen kann, erklärt Rüdiger Schumann und zeigt über die Straße:

    "Im Prinzip werden in der Kokerei regelmäßig riesige Wärmemengen frei. Und dort muss man eben nur einen Kanal schaffen, wo diese Wärme kanalisiert wird und dann durch den Container geleitet wird. Und dann eben den Container aufheizt. Sobald er aufgeheizt ist, kommt ein Sattelschlepper, der den Container auflädt und zu einer benachbarten Institution bringt."

    Die "benachbarte Institution" ist in diesem Fall eine Bottroper Grundschule. Der aufgeheizte Block, groß wie ein Seecontainer, hat die flüchtige Energie aus der Kokerei mit Hilfe von Pökelsalz gespeichert und gibt sie nach und nach in die Klassenzimmer ab. Früher ging die Energie ungenutzt in die Atmosphäre, erklärt Rüdiger Schumann von der Innovation City Ruhr.

    Damit an der Ruhr die Wende von der fossilen Energiegewinnung hin zur Nutzung der Erneuerbaren nicht nur auf alten Industriestandorten geprobt wird, sondern auch auf dem Mehrfamilienhaus gelingt, hat die Stadt Bottrop einen Solaratlas erstellt. Auf der Karte sind die besten Sonnenlagen verzeichnet.

    Wo sich Solaranlagen lohnen und die Einstrahlung perfekt ist, weiß auch das mittelständische Unternehmen Technobox, es nutzt die Energie der Bottroper Sonne zur Metallverarbeitung, zum Schweißen, Drehen und Fräsen. "Sonne schweißt Stahl" lautet der wortmalerische Slogan der Firma, Ulrich Kaak von Technobox:

    "Wir haben die Fertigungshalle mit Fotovoltaikmodulen belegt, wir produzieren dort im Jahr circa 60.000 Kilowattstunden und haben für die Fertigung einen Verbrauch von circa 40.000 Kilowattstunden. Das heißt unsere Bilanz ist auf jeden Fall übers Jahr positiv."

    Die Firma produziert im Jahr mehr Strom als sie verbraucht, sagt Ulrich Kaak. Dieser Stromüberschuss wird dann ins öffentliche Netzt eingespeist, wo er anderen Haushalten und Betrieben zur Verfügung steht. Und selbst wenn der Bottroper Himmel einmal trübe ist, bleibt das Unternehmen seiner Philosophie treu, sagt Ulrich Kaak:

    "Wenn die Sonne nicht scheint und wir haben den kontinuierlichen Stromverbrauch, dann beziehen wir Strom aus dem Netz. Und dabei nehmen wir einen Versorger, der zertifizierten Naturstrom anbietet, sodass die gesamte Produktion mit Ökostrom oder Naturstrom funktioniert."

    Der Mut der Mittelständler
    Es ist vor allem die Initiative und auch der Mut dieser Mittelständler, auf den das Revier bauen kann. Denn die Umstellung auf Solarkraft war für das Unternehmen eine teure Investition. Unsicher wird die Finanzierung auch durch die gekürzten Solarsubventionen in Deutschland.

    Am Bottroper Beispiel wird deutlich, dass es die eine Lösung für das Ruhrgebiet nicht geben wird, denn der Strukturwandel ist ein kleinteiliges Puzzle. Das wohl nur fertig wird, wenn es die Region schafft, viele Unternehmen vom Format der Technobox anzusiedeln. NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin:

    "Ich glaube, dass Politik generell jahrzehntelang den Fehler gemacht hat, sich auf die großen Konzerne zu konzentrieren. Darüber hinaus ist nicht geguckt worden, was gibt es an mittelständischer Struktur dahinter. Das hat sich aber nun geändert."

    Geändert hat sich nicht nur die Einstellung zum Mittelstand, sondern auch die Wertschätzung der Umwelt. Die ökologische Situation zwischen Lippe und Ruhr hat sich deutlich verbessert. Besonders sichtbar wird das bei der Gewässerqualität. Viele Flüsse haben sich von der Kloake der Großindustrie wieder zur Kinderstube für empfindliche Flusskrebse entwickelt. Mit Renaturierung kennt man sich hier schließlich aus.

    Auch wenn der Kohlenstaub schon lange nicht mehr die Wäsche verdreckt, wollen Industrie und Anwohner in Bottrop oder Essen weiter die Emissionen senken. Aus den Schloten kommen bald keine mehr, aber aus Lastern und Autos. Deshalb erforschen im Revier mehrere Verkehrsverbünde - im Schulterschluss mit Wissenschaftlern der Universität Duisburg-Essen - die Chancen der Elektromobilität.

    In Bottrop wird zudem das Car-Sharing-Angebot mit einer Flotte von 30 Elektroautos ausgebaut. Ladesäulen sind über das Gebiet der beiden Städte verstreut. Dörthe Hoffman, eine Projektleiterin von der Vivawest:

    "Wir haben inzwischen 150 Nutzer, die sich eingeschrieben haben."

    Andreas Morisse ist einer von ihnen, er hat sich Anfang des Jahres registrieren lassen. Will er künftig umsteigen, auf die klimaschonenden Leihfahrzeuge?

    "Wenn die Versorgung so ist, dass ich problemlos an ein Auto komme, wenn in der Siedlung eine Station ist, dann ist das eine Alternative. Dann würde ich mir das auch überlegen."

    Dieses Projekt - kurz Ruhrauto genannt - wird mit 1,8 Millionen Euro vom Bundesverkehrsministerium unterstützt. Das Revier fährt voran, die Ergebnisse sollen die Elektromobilität im ganzen Land antreiben. Und so ist das Ruhrgebiet mit seinen vielen Umbrüchen und Baustellen für Politik und Forschung so etwas wie ein Freiluftlabor.

    Allerdings sind diese "Laborbedingungen" am nördlichen Rand des Ruhrgebietes erheblich schlechter als im Herzen des Reviers. Das weiß keiner so gut wie der Marler Bürgermeister Werner Arndt, denn auch wenn die Luft wieder besser ist:

    "Es gibt einige Krisenwölkchen am Himmel, aber wir sind frohen Mutes und stecken den Kopf nicht wie der Vogel in den Sand."

    Strukturwandel im Team bewältigen
    "Sand" ist ein gutes Stichwort, an dem die Situation der Stadt auch deutlich wird: Vor dem Rathaus - ein Betonkomplex aus der Zeit, als Marl noch ein aufstrebender Industriestandort war - steht ein Brunnen. Der ist ebenso in die Jahre gekommen wie der Rest der Anlage, und vor allem ist er trocken. Die klamme Stadt hat kein Geld, um ihn wieder instand zu setzen. Werner Arndt blickt dennoch zuversichtlich aus seinem Büro im zweiten Stock auf das trockene Becken:

    "Es gibt schon erste Ideen, ihn vielleicht mit Sand zu befüllen und vielleicht ein Kinderparadies daraus zu machen."

    Man kann den Menschen im Revier vielleicht einen eigenwilligen Umgang mit der Sprache nachsagen, aber schlecht geredet wird hier nichts, auch nicht bei einer Verschuldung von rund 283 Millionen Euro. Pessimismus: Fehlanzeige. Pragmatismus trifft es schon eher.

    In Marl und Bottrop schließen bald die beiden letzten Zechen des Ruhrgebiets, Schicht im Schacht auf Auguste Victoria und Prosper Haniel. Generationen von Bergmännern haben hier geschuftet mit dem Bauch auf Stein und den Lungen voller Staub. Sie haben ihre Gesundheit und einige auch ihr Leben gelassen. Dabei zählt immer nur der Mann und nicht der Name, egal ob er Ernst, Marek oder Oktu heißt. In der Hitze des Berges wurde wohl ein besonderer Menschenschlag zusammengeschweißt, dessen Fähigkeiten die Region noch antreibt, wenn das Förderrad schon stillsteht. Michael Sagenschneider von der RAG:

    "Also Bergleute zeichnet die Teamfähigkeit aus. Bergleute können zusammenarbeiten. Sie sind ja hier unten in der Grube, wo man sich auch aufeinander verlassen muss."

    Auch über Tage zählt nun das Team, denn die Energiewende müssen Bürger, Unternehmen und Politik gemeinsam schultern, in vielen kleinen Projekten, wie das Beispiel in Bottrop zeigt. Der Strukturwandel ist ein zäher und kleinteiliger Prozess, doch wo viele kleine an einem Strang ziehen, kann vielleicht Großes geschehen.