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Von Syrien in die Türkei
Omars Flucht

Die türkischen Behörden sichern die Grenze zu Syrien immer schärfer ab - gegen IS-Terroristen und Flüchtlinge. Ganz im Westen, in der Nähe des Mittelmeeres, schlängelt sich die Grenze durch eine gebirgige Landschaft. Genau dort versuchen syrische Flüchtlinge immer wieder, an allen Kontrollen vorbei in die Türkei zu kommen - so auch der 20-jährige Omar.

Von Thomas Bormann | 18.12.2015
    Einwohner der syrischen Stadt Kobani (Arabisch: Ain al-Arab) flüchten am 30.09.2014 vor den Attacken Terrormiliz Islamischer Staat (IS) über die Grenze in den türkischen Ort Suruc.
    Um der chaotischen Zustände an der Grenze Herr zu werden, setzt die türkische Regierung ein Großaufgebot von Soldaten ein. (picture alliance / dpa / Sebastian Backhaus)
    Omar hatte lange gezögert, ob er seine syrische Heimat verlassen soll. Doch vor ein paar Monaten wollte der syrische Staat ihn zur Militärdienst verpflichten; der 20-jährige Omar sollte gleich an die Front und für den Diktator Assad kämpfen. Das aber kam für Omar nicht in Frage. Er entschloss sich zur Flucht. Allein kommst Du aber nicht über die Grenze, sagt Omar, du musst einen Schleuser engagieren. "Ich hab viel bezahlt, um die 200 Dollar", sagt er.
    Minuten, die wie eine Ewigkeit erscheinen
    Der Schleuser lotste Omar zusammen mit anderen Flüchtlingen während der Nacht immer näher an die Grenze heran. "Wir mussten über einen Fluss und über drei oder vier Berge – und immer war ein Wachtposten der türkischen Armee in Sichtweite." Es war sehr gefährlich und riskant, meint Omar. Vor allem, als sie dann endlich im Schutz der Dunkelheit die Grenze überquert hatten. Die türkischen Grenzsoldaten müssen irgendetwas bemerkt haben: "Ich hab Schüsse gehört, die haben auf uns geschossen, aber wir konnten entkommen und uns im Gebüsch verstecken", erzählt Omar. Dann hörte er, wie ein Motor gestartet wird. Die Soldaten fuhren mit ihrem Jeep die Grenze ab und suchten mit Scheinwerfern nach den Flüchtlingen.
    Die Minuten im Versteck kamen Omar wie eine Ewigkeit vor. Ständig musste er an die Fotos und an die Videos denken, die er vorher im Internet gesehen hatte, Fotos, die zeigen, wie die türkischen Grenzsoldaten hier manchmal mit Flüchtlingen umgehen: "Da gibt es ganze Gruppen, die von den Grenzsoldaten aufgegriffen werden. Das passiert vor allem dann, wenn da alte Leute oder kleine Kinder dabei sind, die sich nicht so schnell verstecken können. Die Soldaten jagen die Leute dann zurück über die Grenze. Im Internet kannst Du sehen, wie die Soldaten die Flüchtlinge schlagen." In dieser Nacht aber fanden die Soldaten weder Omar noch einen der anderen Flüchtlinge, die mit ihm unterwegs waren. "Wir haben gewartet, bis die Soldaten mit ihrem Jeep vorbeigefahren waren und dann: Los, weiter. Weiter über Hügel und durch Wälder, geführt von ortskundigen Schleusern."
    Human Rights Watch: Flüchtlinge werden zurück in die Kriegszone abgeschoben
    Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat die Lage an der türkisch-syrischen Grenze untersucht. Das Ergebnis: Immer mehr syrische Flüchtlinge scheitern bei dem Versuch, dem Krieg im eigenen Land zu entkommen und in der Türkei Schutz zu finden. Emma Sinclair-Webb von Human Rights Watch: "Manche werden direkt an der Grenze aufgegriffen und sofort zurückgeschickt oder gar nicht erst über die Grenze gelassen. Andere werden festgenommen, in Gruppen von 50 oder mehr Personen, und dann in Haftanstalten eingesperrt, bevor sie später zur Grenze gebracht und nach Syrien abgeschoben werden." Syrische Flüchtlinge werden zurück in die Kriegs-Zone abgeschoben, kritisiert Human Rights Watch und fordert die türkische Regierung auf, diese Praxis sofort zu beenden.
    Omar, der 20-jährige Flüchtling, hatte sich am Morgen nach seiner geglückten Flucht in der nächsten größeren Stadt in der Türkei gleich als Flüchtling registrieren lassen. Das war überhaupt kein Problem, meint Omar. Der Beamte habe ihm eine Bescheinigung gegeben und gesagt: "Wir wissen nicht, wer Du bist, aber Du darfst bleiben." Die Türkei ist also bereit, Flüchtlinge wie den 20-jährigen Omar aufzunehmen. Sie macht es ihnen allerdings immer schwerer, ins Land zu kommen.