Samstag, 27. April 2024

Archiv

Vor 125 Jahren: Erstausgabe des "Simplicissimus"
Politisch bissige Kunst

Die Satirezeitschrift "Simplicissimus" stand im Kaiserreich und in der Weimarer Republik ab ihrer Erstausgabe am 4. April 1896 für scharfe und gleichzeitig künstlerisch ambitionierte Kritik an Politik und Gesellschaft. Später fiel das Blatt indes dem Opportunismus anheim.

Von Andrea Westhoff | 04.04.2021
    Ein Zeitungscover zeigt unter dem großen Schiftzug, Versalien "Simplicissimus", vor schwarzem Hintergrund eine rote Bulldogge – die Kette zerrissen und angriffslustig Erstausgabe der Satirezeitschrift "Simplicissimus", die sich später gleichermaßen angriffslustig und bissig zeigte
    Angriffslustig, bissig – das war das Markenzeichen der Münchener Satirezeitschrift "Simplicissimus" (picture alliance / Photo12/Ann Ronan Picture Library)
    Eine rote Bulldogge – die Kette zerrissen, angriffslustig, bissig – das war das Markenzeichen des Münchener "Simplicissimus". Dabei war das zu Beginn gar nicht so geplant: Bei der Gründung 1896 hat der erst 26-jährige Verleger Albert Langen zunächst eher ein kritisches, illustriertes Literaturforum im Sinn, erzählt Hans Zimmermann vom digitalen "Simplicissimus"-Editionsprojekt:
    "Man muss natürlich bedenken, dass eine satirische Zeitschrift kein ganz ungefährliches Unterfangen war, weil solche Publikationen natürlich ständig bedroht waren durch die staatliche Zensur, und vielleicht liegt darin auch ein Grund, warum er den Titel "Simplicissimus" gewählt hatte, in Anlehnung an Grimmelshausens Romanfigur, um zu dokumentieren, dass hier ein ganz harmloser, naiver Blick auf die politischen Verhältnisse genommen werden soll."

    Kombination von Politik und Kunst

    Allerdings ein Blick mit "Narrenfreiheit". Albert Langen gelingt eine einmalige Kombination von Politik und Kunst, Hans Zimmermann weiter: "Obwohl er selber eigentlich kein Literat war, hatte er ein großes Talent, alle großen Literaten in das Unternehmen des Simplicissimus einzubeziehen: Ludwig Thoma, Rainer Maria Rilke ist hier vertreten ebenso wie Robert Walser, Hermann Hesse, Karl Kraus und vor allen Dingen Gustav Meyrink, der damals ein beliebter Modeschriftsteller war."
    Natürlich gehören auch die Mann-Brüder dazu und Frank Wedekind. Eine Illustration zu dessen Erzählung "Die Fürstin Russalka" ziert das Titelblatt der ersten Ausgabe, die am 4. April 1896 erscheint. Aber weil mit jedem weiteren Heft die Karikaturen ein größeres Gewicht bekommen, wird der "Simplicissimus" bald zum schärfsten Kritiker von Militarismus, Standesdünkel und Bigotterie.
    Simplicissimus-Chefredakteur -Leonhard Frank "Rebell im Maßanzug" - Gefühlssozialist und Snob
    Für seine politischen Überzeugungen ging er gleich zweimal ins Exil: Leonhard Frank, der Autor des bedeutenden Antikriegsbuches "Der Mensch ist gut".

    Des Kaisers Eitelkeiten im Visier

    Immer wieder gibt es Ärger mit der Obrigkeit, wobei die "Palästina-Nummer" von 1898 den Höhepunkt darstellt: Mit der Karikatur von Thomas Theodor Heine auf dem Titel und einem Gedicht von Wedekind verspottet der "Simplicissimus" die verschwenderische Pilgerreise Wilhelms II. ins Heilige Land, die maßlose Eitelkeit und seinen mangelnden Regierungswillen. Wegen "Majestätsbeleidigung" landen Wedekind und Heine im Gefängnis, Albert Langen flieht für einige Zeit ins Exil.
    Mehrere Cover der Zeitschrift Simplicissimus.
    Verleger Albert Langen - Gründer des "Simplicissimus"Albert Langen gründete 1893 in Paris den gleichnamigen Verlag. Ein Jahr später ging es nach München. Das Buchprogramm umfasste vielgelesene französische, deutsche und russische Werke.
    Aber: Dieser Skandal steigert die Auflage der Satirezeitschrift um ein Vielfaches und sichert ihr einen Platz in der deutschen Mediengeschichte: Dazu Zimmermann: "Der "Simplicissimus" war und bleibt Vorbild für alle späteren Generationen von Satirezeitschriften. Der Grund ist sicherlich die Modernität der Aufmachung, die Zeichner haben einen neuen Stil der Karikatur gefunden, die Qualität der Textbeiträge, die Bereitschaft seiner Protagonisten, mutig für die eigene Meinung einzutreten."

    Plötzlich Fähnchen im Wind

    Umso erstaunlicher ist der politische Opportunismus, den der "Simplicissimus" dann im Laufe seiner Geschichte zeigt: 1914, am Vorabend des Weltkriegs, lässt sich die Zeitschrift vom "Hurra-Patriotismus" des Kaisers mitreißen.
    Nach dem verlorenen Krieg steht die Satirezeitschrift dann wieder unbeirrt auf der Seite der Weimarer Republik, schreibt und zeichnet gegen den Aufstieg Hitlers und den immer virulenter werdenden Antisemitismus, wird mehrfach Opfer von SA-Rollkommandos, so Hans Zimmermann: "Es gab hier keinerlei Anbiederung bis zur so genannten Machtergreifung. Umso erbärmlicher ist es natürlich zu sehen, wie die durch die Bank republikanisch gesinnten Karikaturisten auf die Linie der Propaganda einschwenkten."

    Absturz ins Belanglose

    Gleich im März 1933 verpflichten sich die Redakteure in einer Erklärung, dass das Blatt "künftig in streng nationalem Geiste geführt" werde. Von da an kein Wort oder Bild mehr zu Pogromen, Konzentrationslagern oder Kriegstreiberei, stattdessen Alltägliche und kunstvolle Erotik.
    "Von der ‚humoristischen‘ Beilage des ‚Völkischen Beobachters‘ unterscheidet er sich höchstens noch durch die Qualität der Zeichnungen." Schimpft unter anderem Klaus Mann 1937 aus dem Exil. Im September 1944 muss die Zeitschrift ihr Erscheinen einstellen – aufgrund von Papiermangel. Das hätte sich ein Satiriker kaum bissiger ausdenken können.