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Vor 150 Jahren
Erstes Patent auf Zahnpflege-Kaugummi

Kaugummikauen im Dienste der Zahngesundheit - diesen Gedanke hatte man schon in der Antike. Der erste, der sich darauf ein Patent erteilen ließ, war aber 1869 der Zahnarzt William Finley Semple. Eine andere, fast zeitgleiche Erfindung verhinderte allerdings seinen wirtschaftlichen Erfolg.

Von Irene Meichsner |
    Frau hält Kaugummi zwischen ihren Zähnen
    Kaugummi zur Zahnpflege - das erste Patent auf diese Idee meldete der Zahnarzt William Finley Semple 1869 an (imago/Pixsell/Borna Filic)
    "Hiermit erkläre ich, William Finley Semple, dass ich einen neuen und verbesserten Kaugummi erfunden habe. Meine Erfindung besteht im Wesentlichen darin, Gummi mit einer beliebigen Menge anderer geeigneter Substanzen so zu vermischen, dass dabei nicht nur ein angenehmer Kaugummi entsteht, sondern dieser Kaugummi aufgrund seiner reinigenden Eigenschaften auch als Zahnputzmittel dienen kann."
    Erster großer Kaugummi-Boom in den USA
    Kaugummikauen für gesunde, weiße Zähne und einen frischen Atem - dieser Gedanke ist fast so alt wie der Kaugummi selbst. William Finley Semple, ein Zahnarzt aus Mount Vernon im US-Bundesstaat Ohio, erhielt darauf am 28. Dezember 1869 als Erster ein Patent. Es war die Zeit des ersten großen Kaugummi-Booms in den Vereinigten Staaten. Seit 1848 gab es den "State of Maine Pure Spruce Gum"; er bestand aus Fichtenharz und verkaufte sich inzwischen tonnenweise. Vor allem bei Frauen war das Kaugummikauen äußerst beliebt. Sie hatten sich deswegen schon manch bissige Bemerkung gefallen lassen müssen.
    "Es ist schon interessant zu sehen, wie diese jungen Damen permanent Kaugummi kauen und dabei ihre Unterkiefer mit der Anmut von Kühen in Bewegung halten", hatte ein Journalist aus Milwaukee geschrieben. Ein Kollege aus Iowa hatte innerhalb einer Viertelstunde 70 Frauen gezählt, die auf offener Straße Kaugummi kauten. Ein Reporter aus Indiana sprach von einer regelrechten "Manie" des Kaugummikauens speziell unter den Frauen; ein Kollege aus Ohio von einer der "scheußlichsten Gewohnheiten, die es gibt" – vergleichbar dem von vielen Männern immer noch favorisierten Kauen von Kautabak.
    Kaugummi: Vorläufer bereits bei den alten Ägyptern
    All dies war auch William Finley Semple nicht verborgen geblieben. Semple, 1832 in Canonsburg in Pennsylvania geboren, entstammte einer irischen Einwandererfamilie. Er hatte den Beruf des Zahnarztes bei seinem Vater gelernt und sich 1868 in Cincinnati auch noch einer Prüfung am "Ohio College of Dental Surgery", dem Vorläufer der späteren zahnmedizinischen Fakultät, unterzogen. Semple wusste nur zu gut, wie wichtig es war, sich regelmäßig die Zähne zu putzen. Und er wusste auch, dass schon die alten Ägypter dafür eine Art von Kaugummi verwendet hatten.
    "In der Antike wurden kleine Ästchen benutzt, die zerkaut wurden. Und das war faseriges Holz, dadurch entstanden so kleine Pinsel. Häufig waren in diesen Hölzern auch aromatische Stoffe enthalten, so dass das ganz angenehm oder auch adstringierend oder auch leicht desinfizierend schmeckte", erklärt Thomas Einfeldt, ein Zahnarzt aus Hamburg und Experte für die Geschichte der Zahnmedizin. Arabische Ärzte rieten zu "Mastix", dem Harz von Pistazienbäumen, Asche, Alaun und Hirschhornsalz. Einfeldt: "Man versuchte damit eine Scheuerwirkung einerseits zu erzielen. Und außerdem kann ich mir vorstellen, dass da desinfizierende Zusätze enthalten sind. In Asche, so wie in diesem Hirschhornsalz."
    Kaumasse auf Kautschuk-Basis
    Semple schlug Veilchenwurzel, Myrrhe, Süßholz und Holzkohle als mögliche Ingredienzien für seinen Kaugummi vor; sie sind heute noch Bestandteile natürlicher Zahnpflegemittel. Als Kaumasse sollte Kautschuk dienen. Kautschuk wurde damals, als Rohstoff für die aufstrebende Gummi-Industrie, schon in großen Mengen aus Südamerika importiert und unter anderem für die Herstellung von Zahnprothesen verwendet. Mit Hilfe von Waschbenzin und Alkohol wollte Semple ihn in eine geschmeidige Kau-Masse verwandeln. Sein Patent schloss aber auch andere Herstellungsverfahren nicht aus:
    "Anstelle der genannten Lösungsmittel könnte man auch jedes andere, unschädliche Material verwenden, das imstande wäre, den Kautschuk aufzuweichen, wie zum Beispiel Paraffin, Walrat, Wachs, Gummis, Harze usw."
    Erfindung der Zahncreme sticht den Kaugummi aus
    Das war alles wohl überlegt. Trotzdem war Semple kein kommerzieller Erfolg beschieden - was vor allem daran lag, dass ein Kollege von ihm, Washington Sheffield, auf eine noch bessere Idee gekommen war. Sheffield hatte schon 1850 verschiedene Substanzen, die man als Inhaltsstoffe von Zahnpulvern kannte, mit Glycerin als Feuchtigkeitsspender vermischt und daraus die erste Zahncreme hergestellt.
    Das Problem war anfangs nur die Verpackung. In den Blech- oder Keramikdosen, in die Sheffield seine Creme abfüllte, trocknete sie zu schnell aus. Sein Sohn brachte ihn schließlich auf die Idee, sie in Metalltuben zu pressen. Damit war die moderne Zahnpasta geboren. Und gegen die hatte William Finley Semple mit seinem Zahnputz-Kaugummi keine Chance.